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Offenlegungspflicht und unsichere Bilanzposten

Die Offenlegungspflicht sieht keine Ausnahmen für Fälle vor, in denen einzelne Bilanzpositionen mit Unsicherheit behaftet sind.

Vielmehr enthält das Rechnungslegungsrecht ausreichend Möglichkeiten, gegenüber Dritten wahrscheinlich bestehende Verbindlichkeiten oder drohende Verluste aus schwebenden Geschäften auszuweisen. Erkennbare Risken und drohende Verluste sind in die Bilanz aufzunehmen, sobald sie entstanden und erkennbar geworden sind, obgleich der endgültige Eintritt oder das endgültige Ausmaß der Belastung ungewiss ist. Ein Unternehmer darf für die am Stichtag bestehenden, dem Betrag nach aber noch nicht feststehenden Schulden sowie für zu erwartende Aufwendungen und Verluste Rückstellungen in der Bilanz ansetzen. Dabei gebietet das Vorsichtsprinzip, auch solche Schulden auszuweisen, die mit Elementen der Ungewissheit behaftet sind (6 Ob 225/11y).

Grundsätzlich nichts anderes gilt für (im Anlassfall von der Gesellschaft behauptete, aber bestrittene) Forderungen: Bestrittene sind ab rechtlicher Durchsetzbarkeit (Rechtskraft eines Urteils oder Unwiderruflichkeit eines Vergleichs) auszuweisen. Soweit bloß die Fälligkeit bestritten wird, weil zB noch Gewährleistungsarbeiten gefordert werden, oder lediglich die Höhe strittig ist, zB wegen Preisminderungsansprüchen, ist die Forderung grundsätzlich auszuweisen und das Risiko durch eine Rückstellung zu berücksichtigen. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass behauptete Forderungen, sofern sie sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach strittig sind, (derzeit) nicht zu aktivieren sind. Jedenfalls ergibt sich aus der Unsicherheit von Forderungen keineswegs die Notwendigkeit, im Jahresabschluss „Fantasiebeträge“ auszuweisen.

Die Rechtsansicht, eine Gesellschaft könne wegen der Unsicherheit von Forderungen keinen Jahresabschluss erstellen und offenlegen, würde dazu führen, dass die Offenlegung des Jahresabschlusses überhaupt unterbleibt und damit die Gläubiger bzw andere interessierte Dritte keinerlei Informationen über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft erhielten. Ein derartiges Verständnis des Gesetzes läuft aber dem Zweck der Bilanzpublizität diametral zuwider (6 Ob 225/11y).

Aus der Aufnahme oder Nichtaufnahme einer Forderung in den Jahresabschluss allein kann eine besondere zivilrechtliche Wirkung gegenüber einem Dritten (wie etwa Anerkenntnis oder Verzicht) nicht abgeleitet werden (8 ObA 340/97a; vgl auch 9 ObA 121/00k).

Anmerkung: Die Entscheidung des 6. Senats verdient Aufmerksamkeit, weil sie – soweit zu sehen – die erste Äußerung des OGH zur Frage ist, wie strittige bzw streitige Forderungen im Jahresabschluss auszuweisen sind. Dies ist für die Insolvenzpraxis dann bedeutsam, wenn Ansprüche gegen Gesellschaftsorgane oder Abschlussprüfer damit begründet werden, dass der Jahresabschluss kein „möglichst getreues Bild der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens“ vermittelt (§ 195 UGB), weil tatsächlich uneinbringliche Forderungen angesetzt wurden. In Übereinstimmung mit der wohl hL (vgl Sopp/Grünberger in Zib/Dellinger, UGB II/1 [2013] § 224 Rz 115; Nowotny in Straube/Ratka/Rauter, UGB II3 [57. Lfg.; 2018] § 196 Rz 37; Hirschler/Sulz/Schaffer in Hirschler, Bilanzrecht I2 [2019] § 224 Rz 39) stellt der OGH dazu klar, dass Forderungen, die dem Grunde nach bestritten werden, erst „ab rechtlicher Durchsetzbarkeit (Rechtskraft eines Urteils oder Unwiderruflichkeit eines Vergleichs) auszuweisen“ und so lange „nicht zu aktivieren sind“, als sie „sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach strittig sind“. Dem ist schon deshalb zuzustimmen, weil bei Ansatz solcher (strittiger bzw streitiger) Forderungen der Bilanzleser nicht erkennen kann, dass hinter dem Bilanzansatz nicht ein durchsetzbarer gegenwärtiger Vermögenswert (wie zB die für eine mangelfreie Lieferung gelegte Rechnung), sondern letztlich nur vom Gegner bestrittene und vom bilanzierenden Unternehmen erst zu beweisende und in einem unter Umständen jahrelangen Rechtsstreit durchzusetzende Anspruchsbehauptungen stehen. Ein Jahresabschluss, der eine dem Grunde und der Höhe nach bestrittene Forderung ansetzt, vermittelt daher insofern kein „möglichst getreues Bild der Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens“. Das gilt meines Erachtens (Univ.-Prof. Dr. Andreas Konecny/Stephan Riel) genauso, wenn der Ansatz einer strittigen bzw streitigen Forderung mit einer sog Rechtsanwaltsbestätigung (dazu Steiner/Wolf, Bestätigungen von Dritten, in Bertl/Hirschler/Aschauer, Handbuch Wirtschaftsprüfung [2019] 1615 ff) begründet wird. Denn solche „Bestätigungen“ ändern nichts an der einen Ansatz ausschließenden Qualität der behaupteten Forderung. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass zwar die Beurteilung, ob eine Abschlussprüfung lege artis durchgeführt ist, eine quaestio mixta ist (RIS-Justiz RS0130434), aber die hier interessierende Frage, ob eine strittige bzw streitige Forderung angesetzt werden kann, meines Erachtens (Univ.-Prof. Dr. Andreas Konecny/Stephan Riel) eine reine Rechtsfrage darstellt und Abschlussprüfern als Sachverständigen die Rechtslage bekannt sein muss (vgl 6 Ob 207/20i Rz 60).

 

ZIK 2022/84
UGB: § 201 
OGH 6.8.2021, 6 Ob 126/21d 

 

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