Wien, 19.8.2010
Europaweit gab es im Jahr zwei nach Beginn der Krise ca. 177.000 Unternehmensinsolvenzen, in Österreich waren es 6.902. Der internationale Vergleich zeigt damit eine Zunahme in Österreich von 9 %, gegenüber Westeuropa gesamt, das 19 % Zuwachs zu verzeichnen hatte. Auch die Prognose für 2010 lässt hoffen, dass der nun positive Trend fortgesetzt werden kann.
Die Pleiten in Westeuropa lagen 2009 spürbar über dem Niveau des Jahres 2008 und werden im Jahr 2010 auf hohem Niveau stagnieren bzw. fallweise nur mehr leicht ansteigen. Insolvenzexperte Dr. Hans-Georg Kantner sieht die Zeit nach den teilweise exorbitanten Zuwächsen in Zentral- und Osteuropa als erste wirkliche Bewährungsprobe der Unternehmen in diesen Ländern, die „nach vielen Jahren des Turbowachstums gewisse Korrekturen wohl auch benötigt haben. Das Wachstum in dieser Region wird aber zweifellos weitergehen und damit auch die Insolvenzwelle wieder abebben".
Das derzeit billige Geld hilft hoch verschuldeten Unternehmen, die Gegenwart zu meistern. Es können jedoch bereits jetzt wieder Inflationsphänomene beobachtet werden, und zwar am Rohstoffsektor und im Bereich der Grundnahrungsmittel, die primär aus der Überliquidität auf den Finanzmärkten resultieren. Die Geldmengenpolitik wird daher bald zu vernünftigen Geldmengenaggregaten zurückkehren müssen, was unweigerlich einen Anstieg des Zinsniveaus und damit auch der Insolvenzen zur Folge haben könnte. Die wirtschaftspolitische Gratwanderung der Zentralbanken ist noch nicht zu Ende.
Analyse
Der Ausblick auf 2009 stand unter düsteren Vorzeichen: Im 4. Quartal 2008 brachen in manchen Branchen die Aufträge um 20 - 50 % gegenüber den Vergleichszeiträumen ein, sogar der Totalzusammenbruch der Finanzmärkte wurde prophezeit. Das konzertierte Eingreifen der OECD-Regierungen und Notenbanken konnte dies verhindern, auch die Sanierung der Banken läuft auf Hochtouren. Die Einbußen, die es schließlich trotzdem gab, wurden durch den Fall der Rohstoffpreise gemindert.
Wie vom KSV1870 erwartet, erholen sich nun jene Branchen am schnellsten, die zu Beginn der Krise als erste betroffen waren. Die Exportgüterindustrie, allen voran der Sektor Automotive, verzeichnet wieder Aufwind und kann Zuwächse verbuchen, die auf eine langsame, aber nachhaltige Erholung hoffen lassen.
Die Aufholjagd der neuen Volkswirtschaften in Zentral- und Osteuropa nach der Wende hatte großteils mithilfe erheblicher Fremdmittel stattgefunden, die nach dem September 2008 manchen dieser Länder entsprechende Probleme bereitet haben.
Die Verschuldungsquote eines Staates ist ein relevantes Merkmal für die Volkswirtschaften und die finanzielle Stabilität der Unternehmen:
- Der Staat ist üblicherweise bester Kreditnehmer eines Landes. Hohe Staatsschulden drücken daher die Kreditfähigkeit der in einem Land tätigen Unternehmen.
- Eine hohe Staatsschuld reduziert die politische Eingriffsmöglichkeit (Manövriermasse) eines Staates, bei Bedarf die Wirtschaft durch öffentliche Aufträge anzukurbeln.
- Eine hohe Staatsschuld belastet den laufenden Staatshaushalt und treibt daher die Steuern in die Höhe. Diese wiederum dämpfen die Inlandsnachfrage und drücken auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.
Die untenstehende Tabelle zeigt die aktuell (geschätzten) Staatsschuldenquoten europäischer Länder im Vergleich.
Staatsverschuldung in % des Brutto-Inlandsproduktes (geschätzt)
|
2010 | 2010 | ||
Griechenland | 124,9 | Polen | 59,9 | |
Italien | 118,2 | Norwegen | 59,0 | |
Belgien | 99,0 | Finnland | 50,5 | |
Portugal | 85,8 | Lettland | 48,5 | |
Frankreich | 83,6 | Dänemark | 46,0 | |
EU (15) | 82,3 | Schweiz | 45,0 | |
EU (27) | 79,6 | Schweden | 42,6 | |
Großbritannien | 79,1 | Kroatien | 42,5 | |
Ungarn | 78,9 | Slowenien | 41,6 | |
Deutschland | 78,8 | Slowakei | 40,8 | |
Irland | 77,3 | Tschechien | 39,8 | |
Malta | 71,5 | Litauen | 38,6 | |
Österreich | 70,2 | Rumänien | 30,5 | |
Niederlande | 66,3 | Luxemburg | 19,0 | |
Spanien | 64,9 | Bulgarien | 17,4 | |
Zypern | 62,3 | Estland | 9,6 |
Quelle: Eurostat, OECD
Mit Ausnahme von Ungarn befinden sich alle jungen Volkswirtschaften in der unteren Hälfte der Statistik. Da aber davon ausgegangen werden kann, dass diese Volkswirtschaften in den nächsten 5 bis 10 Jahren weiterhin überdurchschnittlich wachsen werden, sind Staatsverschuldung und Steuerquote dort jedenfalls kein volkswirtschaftlicher Bremsklotz.
Österreich im Vergleich zu ausgewählten Ländern
Österreich:
Die Entwicklung der Pleiten im Jahr 2009 lag nicht nur unter dem Schnitt, sondern auch leicht unter der Erwartung. Die meisten insolventen Unternehmen hatten schon geraume Zeit vor dem „Lehman crash" vom 15.9.2008 Ertragsprobleme und sind daher keine Opfer der Krise im eigentlichen Sinn. Das Jahr 2010 liegt bereits spürbar unter den Zahlen 2009, sodass es im Gesamtjahr 2010 insgesamt einen Rückgang der Pleiten von jedenfalls 5 % geben wird können.
Deutschland:
Lag mit ca. 12 % Zuwachs an Insolvenzen ebenfalls deutlich unter dem Schnitt von Westeuropa: Die deutsche Wirtschaft erlebte zwar einige spektakuläre Großinsolvenzen (z. B. Arcandor-Quelle), die aber zum Teil nicht ursächlich mit der Krise zusammenhingen. Die beherzte Verschrottungsprämie konnte sogar der Automobilindustrie als eine der Schlüsselbranchen der deutschen Volkswirtschaft zur Jahresmitte 2009 einen spürbaren Aufwind verschaffen. Der befürchtete Nachzieheffekt ins Jahr 2010 ist bisher nicht eingetreten.
Finnland:
Ein Land, das Österreich in mancher Hinsicht ähnlich ist - was Größe und Schwerpunkte der Volkswirtschaft anlangt - verzeichnete mit über 25 % Zuwachs an Insolvenzen einen deutlich über dem Durchschnitt liegenden Insolvenzverlauf. Finnland wird dafür aber 2010 keinen oder nur einen geringfügigen Anstieg verzeichnen.
Italien:
Dieses wichtige Nachbarland Österreichs verzeichnete mit 23 % Zuwachs ebenfalls einen deutlich über dem Mittel liegenden Wert im Jahr 2009 und wird voraussichtlich 2010 im Gefolge der Finanzprobleme der Staaten weiterhin deutliche Zuwächse ausweisen. Die italienische Staatsschuldenquote (in % des BIP) stellt nach Griechenland den zweithöchsten Wert in Europa dar und engt den Spielraum der Regierung erheblich ein. Wirklich schwierig für diese Volkswirtschaft wird eine Anhebung des Zinsniveaus.
Großbritannien:
Ebenfalls einen Zuwachs von 23 % verzeichneten die Unternehmensinsolvenzen in Großbritannien und lagen damit über dem westeuropäischen Durchschnitt. Die offenbar rasche Erholung der Finanzdienstleistungsbranche im Großraum London wird im Jahr 2010 für einen spürbaren Aufwind sorgen, sodass mit keinem weiteren Anwachsen der Insolvenzen gerechnet werden muss.
Niederlande:
Mit 73 % Zuwachs an Insolvenzen im Jahr 2009 lag dieses Land im Vorjahr an dritter Stelle - hinter Irland und Spanien. Die holländische Wirtschaft ist extrem export- und handelsorientiert und hat daher den Einbruch der Weltwirtschaft 2009 sehr rasch und sehr deutlich gespürt. Mit einer Erholung darf für 2010 gerechnet werden, weshalb sich die Insolvenzen 2010 möglicherweise sogar rückläufig entwickeln könnten.
Die Detailzahlen finden Sie in der nachstehenden Tabelle.
Für den Inhalt verantwortlich:
Dr. Hans-Georg Kantner, Leiter KSV1870 Insolvenz
Tabelle Internationale Insolvenzstatistik 2009
Land |
Unternehmens- insolvenzen 2009 |
Unternehmens- insolvenzen 2008 |
Verän-derung in % | Privat- insolvenzen 2009 |
Privat- insolvenzen 2008 |
Verän-derung in % |
Österreich**) | 6.902 | 6.315 | 9,3% | 10.220 | 9.564 | 6,9% |
Belgien | 9.382 | 8.476 | 10,7% | |||
Dänemark | 5.710 | 3.709 | 53,9% | |||
Deutschland **) | 32.687 | 29.291 | 11,6% | 130.220 | 125.911 | 3,4% |
Finnland | 3.275 | 2.612 | 25,4% | |||
Frankreich | 53.299 | 49.743 | 7,1% | |||
Griechenland | 360 | 359 | 0,3% | |||
Großbritannien | 19.077 | 15.535 | 22,8% | 134.142 | 106.544 | 25,9% |
Irland | 1.406 | 773 | 81,9% | |||
Italien | 9.255 | 7.523 | 23,0% | |||
Luxemburg | 698 | 595 | 17,3% | |||
Niederlande | 8.040 | 4.635 | 73,5% | 2.519 | 2.212 | 13,9% |
Norwegen | 5.013 | 3.637 | 37,8% | |||
Portugal | 4.450 | 3.267 | 36,2% | |||
Schweden | 7.639 | 6.298 | 21,3% | 254 | 304 | -16,4% |
Schweiz | 5.215 | 4.221 | 23,5% | 5.691 | 6.007 | -5,3% |
Spanien | 4.984 | 2.528 | 97,2% | |||
Gesamt Westeuropa | 177.392 | 149.517 | 18,6% | |||
Bulgarien | 360 | 277 | 30,0% | |||
Estland | 1.055 | 423 | 149,4% | |||
Kroatien | 229 | 152 | 50,7% | |||
Lettland | 3.229 | 1.250 | 158,3% | |||
Litauen | 1.800 | 957 | 88,1% | |||
Polen | 662 | 425 | 55,8% | |||
Rumänien | 13.543 | 11.005 | 23,1% | |||
Slowakei | 1.062 | 849 | 25,1% | |||
Slowenien | 448 | 680 | -34,1% | |||
Tschechien | 9.329 | 5.255 | 77,5% | |||
Ungarn | 12.663 | 9.455 | 33,9% | |||
Gesamt Osteuropa | 44.380 | 30.728 | 44,4% | |||
Japan | 13.306 | 12.681 | 4,9% | |||
Kanada | 5.420 | 6.164 | -12,1% | 116.381 | 90.610 | 28,4% |
USA | 60.837 | 43.546 | 39,7% | 1.412.838 | 1.074.225 | 31,5% |
** inkl. Abgewiesene Konkursanträge
Anmerkung: Die Zahlen sind durch unterschiedliche Insolvenzgesetzgebungen nur bedingt vergleichbar. Quelle: KSV1870, Coface Central Europe, Cerved Group