Internationale Insolvenzstatistik 2011 - Ein Viertel mehr Pleiten in Osteuropa

Die nun vorliegenden Zahlen zur internationalen Insolvenzstatistik 2011 zeigen, dass Westeuropa mit einem minimalen Zuwachs von 0,5 % an Firmeninsolvenzen praktisch unverändert (stark) dasteht, während Osteuropa einen Gesamtzuwachs von ca. 25 % verzeichnet. Die wichtigen Überseemärkte USA (mit minus 15 %) und Japan (mit minus 2,5 %) konnten entsprechend punkten.

Blick nach vorne?
Die Befassung mit Insolvenzen stellt kein Prognoseinstrument dar, sondern man analysiert, wie sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auf die Wettbewerbssituation und das "Überleben" der Unternehmen ausgewirkt haben. Aus der Analyse der Korrelation dieses wirtschaftlichen Umfeldes mit den Firmeninsolvenzen lassen sich dann Schlüsse über die Robustheit der Wirtschaft des jeweiligen Landes ziehen, wobei auch die Rechtsordnung hier hineinspielt. Nicht in jedem Land werden Insolvenzphänomene gleich abgehandelt. In Spanien werden zum Beispiel Fälle mit einem erwarteten Massevermögen von unter EUR 50.000 gar nicht über ein Insolvenzverfahren abgewickelt, sondern im Rahmen des Exekutionsrechtes. Da darf es dann nicht wundern, wenn es zahlenmäßig so wenige Insolvenzen in Spanien gibt. befassen

Erst aus den Erkenntnissen, die durch die Befassung mit der Vergangenheit gewonnen werden, kann dann eine Prognose für die nähere Zukunft zumindest versucht werden.

Wettbewerb und Scheitern
Eine Volkswirtschaft ist nicht schon automatisch gut, wenn es dort wenige Insolvenzen gibt. Auch ein Rückgang der Insolvenzen muss nicht unbedingt etwas Gutes verheißen, wenn die näheren Umstände nicht bekannt sind, die dazu geführt haben. Grundsätzlich ist ein hohes Aufkommen an Insolvenzen ein Symptom einer dynamischen Wirtschaft mit Gründungen, Marktverdrängung und Wettbewerbsverlierern. Gibt es kaum Insolvenzen in einem Land, muss man sich daher auch fragen, wieviel Wettbewerb dort herrscht oder wieviel Verzerrung der wirklichen Wettbewerbsbedingungen, etwa durch öffentliche Maßnahmen (Steuern, informelle Eingriffe der Politik), dort stattfindet.

What goes up must come down
Dieser Erfahrungssatz aus der Welt der Börsen hat natürlich auch für die Insolvenzentwicklung eines Landes Gültigkeit: Ein Unternehmen, das heute insolvent wird, kann morgen nicht mehr insolvent werden, und umgekehrt. Insolvenzverläufe bilden oftmals die Abarbeitung von Strukturdefiziten einer Volkswirtschaft ab, so geschehen in Österreich in der ersten Hälfte der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts. Damals hat sich die sogenannte Insolvenzquote, also der Anteil insolventer Firmen an der gesamten "Unternehmenspopulation", nahezu verdoppelt und ist seither mit einem Wert um 1,5 % unverändert hoch. War die Insolvenzwelle der Jahre 1990 bis 1995 noch ein Ausdruck der Strukturdefizite unserer Wirtschaft (Preisregelungen, Gebietskartelle, sogenannte nicht tarifarische Handelshemmnisse - also alles was Österreich zu einer Insel machte), so sind die heute beobachteten hohen Insolvenzzahlen in Österreich eher Ausdruck einer neuen Wirtschaftsdynamik, die in den vergangenen 10 bis 12 Jahren von einem Gründerboom und laufend gesteigerten Exporterfolgen geprägt war. Die Feststellung, dass sich Österreichs Wirtschaft mit dem Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum im Jahr 1994 stärker gewandelt hat, als in den 20 Jahren davor, ist angemessen.

Länder mit rückläufigem Insolvenzgeschehen

Österreich: minus 8 %: Die starke Erholung der Exportwirtschaft und ein Wirtschaftswachstum 2011, das letztlich über den Erwartungen lag, haben es möglich gemacht.
Deutschland: minus 6 %: Das Land ist der Exportmotor in Europa und kann jetzt die selbst auferlegte Austerity-Politik der vergangenen 10 Jahre und die daraus erfließenden Produktivitätsgewinne lukrieren. Es wird allerdings dafür von Ländern wie z. B. Frankreich stark kritisiert und wird im Rahmen der europäischen Staatsschuldendiskussion seinen finanziellen Beitrag („Abbitte“) leisten müssen. Die Weichen dafür wurden in den vergangenen Wochen gestellt – der Zug zu einer „Transferunion“ ist de facto abgefahren.
Dänemark: minus 15 %: Das Land ist stark handelsorientiert und hat in den Bereichen Transport (shipping) und Export punkten können.
Frankreich: minus 1 %: Der französischen Wirtschaft stehen wesentliche Strukturveränderungen noch bevor. Dabei geht es nicht nur um die Verbesserung der industriellen Wettbewerbsfähigkeit, sondern um die Verbesserung der rechtlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen vor allem für den Mittelstand. Frankreich ist zu stark auf Großbetriebe und staatsnahe Unternehmen fokussiert und muss sich hier an Deutschland ein Beispiel nehmen. Ob die gegenwärtige Regierung hier das Richtige tun wird, muss bezweifelt werden, da schon der letzte Präsident, der ja mit genau diesem Programm angetreten war, hier keine wirklichen Erfolge erzielen konnte.
Niederlande: minus 1 %: Es ist jenes Land, das Austerity zum Lebensmotto gemacht zu haben scheint. Die protestantische Sparsamkeit und der Arbeitsethos machen die Niederlande zum Vorbild. Auch die Staatsverschuldung – immer auch ein guter Indikator für die Effizienz einer stattlichen Verwaltung – liegt in den Niederlanden bei „nur“ 65 % (Eurozone mittlerweile 87 %).
Norwegen: minus 2 %: Die Politik der Europadistanz gepaart mit den starken Einnahmen aus Öl- und Gasvorkommen lässt Norwegen traditionell einen eigenen Weg in Europa gehen. Der Rückgang ist allerdings gering, wenn man an die Zuwächse der Jahre 2008 und 2009 (41 % und 38 %) denkt. Norwegen hat damit praktisch immer noch doppelt so viele Insolvenzen wie vor der Krise. Und die Abhängigkeit der Volkswirtschaft von Rohstoffen ist nicht unbedingt positiv zu bewerten.
Schweden: minus 4 %: Der skandinavische Staat ist Musterschüler, wenn es um die Meisterung staatlicher Defizite und die Umkehr aus der vermeintlichen Sackgasse des Sozialstaates geht. Gegenwärtig stehen die Schulden des Staates bei 38 % des BIP und dürfen als beispiellos niedrig angesehen werden.

 

Länder mit Insolvenzzuwächsen

Belgien: plus 7 %: Das Land sucht eine Regierung und einen nationalen modus vivendi – aber bislang ohne großen Erfolg. Die Schulden des Staates explodieren derweil (98 % des BIP) und die Wirtschaft muss das alles irgendwie verdauen. Trotz guter Wirtschaftslage in Europa sind steigende Insolvenzzahlen die Folge.
Finnland: plus 3 %: Nach einem Rückgang von 13 % im Jahr 2010 ist der aktuelle Wert nicht unbedingt signifikant. Finnland hat die Krise 2008/09 ausgesprochen gut gemeistert und zählt weiterhin zu den starken Volkswirtschaften Europas.
Griechenland: plus 27 %: Endlich tut sich dort etwas in der Wirtschaft. So hatte doch Griechenland in den vergangenen beiden Jahren jeweils Rückgänge der Insolvenzzahlen auf lächerlich niedrigem Niveau verzeichnet. Eine Wirtschaft kann sich nicht erneuern, wenn es keine Insolvenzen gibt.
Großbritannien: plus 6 %: Die Maßnahmen der Regierung sind drastisch und mutig gewesen. Das Land steht gut da und wird die Olympischen Spiele 2012 als Wirtschaftsimpuls deutlich spüren können.
Irland: plus 7 %: Irland liegt mittlerweile nahezu auf dem 5-fachen Insolvenzniveau gegenüber 2005. Dieses Land ist zu lange zu stark wirtschaftlich gewachsen und es bedarf einer ordentlichen „Hungerkur“. Mittelfristig sollten die Zeichen aber durchaus gut stehen, sobald die Konsolidierung der Haushalte und die Probleme der Banken verdaut sind. Derzeit liegt die Staatsschuld bei etwa 109 % des BIP. Ob das ohne Schuldenschnitt abgeht?
Italien: plus 8 %: Italien ist viel besser als sein (politischer) Ruf. Das könnte sich durchaus ändern, indem der politische Ruf besser wird. Die richtigen Maßnahmen der Regierung gepaart mit dem mittelständischen Genie der Italiener geben Italien ein gutes Standing und der Zuwachs ist deutlich geringer als in den vergangenen drei Jahren, sodass der Trend möglicherweise schon nächstes Jahr eine Abnahme der Pleiten bringt.
Portugal: plus 18 %: Das Land ist einer der Problemkandidaten der EU, aber auf einem angemessenen Weg. Die Probleme des Landes werden erkannt und berücksichtigt, aber 108 % Staatsschulden vom BIP sind nicht von heute auf morgen abgezahlt.
Schweiz: plus 7 %: Unser Nachbar verzeichnete auch 2009 und 2010 deutliche Zuwächse bei den Insolvenzen. Die Probleme des Finanzsektors lassen diesem wichtigen Bankplatz in Europa nicht ganz kalt und der Ausblick ist auch nicht besonders gut. Vor allem der ständige Aufwertungsdruck bringt Probleme für den nicht finanziellen Sektor, sodass die Schweiz in einer Art Zangenstellung betroffen ist.
Spanien: plus 20 %: Das Land ist ein Modellfall für Misswirtschaft - ausgehend vom Bankensektor, der enorme Probleme zu verdauen hat. Interessanterweise ist der Staat nur unterdurchschnittlich verschuldet (65 % vom BIP), aber die Wirtschaft hat keine klaren Ziele und Visionen. Der Fremdenverkehr und daraus resultierende Bauboom haben Spanien gezeigt, dass nichts ewig in den Himmel wachsen kann. Rückbesinnung auf einen schlanken Staat und eine mittelständische exportorientierte Güterproduktion müssen her. Spanien wird vor allem eine teilweise fremdfinanzierte Sanierung seiner Banken brauchen – Stichwort Bankenrettung – ESM und hunderte Milliarden, die hier zu fehlen scheinen.

Realwirtschaft und Finanzwirtschaft
Im Bereich der Güterproduktion und der Dienstleistungen hat Europa schon lange erkannt, dass "small beautiful" ist - kein Regierungsprogramm und kaum ein Europagipfel, der sich nicht der Förderung des Mittelstandes verschrieben hätte und immer liegt dahinter die richtige Erkenntnis, dass mittelständische Unternehmen nicht nur das Rückgrat der europäischen Wirtschaft darstellen, sondern auch ein unerhörter Motor für Innovation und Expansion sind. Interessanterweise ist es im Finanzsektor praktisch umgekehrt: Die Banken werden immer größer und in ihren Geschäften immer globaler. Die Öffnung der Währungen hat einen Kapitalstrom um den Globus hervorgebracht, der gerade seit der Lehman-Pleite 2008 viele Fragen aufgeworfen hat. Die österreichischen Banken haben z.B. eine gemeinsame Bilanzsumme von ca. 1.000 Milliarden Euro, also einer Trillion - verglichen mit dem Bruttoinlandsprodukt von EUR 280 Mrd. ist das das 3,5-Fache. Die Banken sind überdies extrem miteinander verflochten, da ein erheblicher Teil ihres Geschäftes als Interbankgeschäft geführt wird und daher jede Störung an einer Stelle sich sofort überall bemerkbar macht. Die Krise 2008 war ja bekanntlich nicht so sehr eine Krise der Realwirtschaft (Im Gegenteil: Sie verzeichnete auch noch 2009 satte Gewinne), sondern eine der Finanzwirtschaft, da ein Vertrauensverlust unerwarteten Ausmaßes eingetreten war und zwar in einem Bereich, der für derlei Phänomene vollkommen ungerüstet war.

Wurden die Falschen gerettet?
Spätestens seit den teuren Rettungsmaßnahmen für sogenannte systemrelevante Kreditinstitute quer durch Europa ist der Politik und auch dem Steuerzahler klar geworden, dass wahrscheinlich mit viel verlorenem Geld die Falschen gerettet werden. Genau diese Insolvenzverhinderung stellt eine Wettbewerbsverzerrung der Sonderklasse dar. Eigentlich werden die vorsichtigen Banker ja sogar bestraft. Sie haben wahrscheinlich niemals solche Gehälter und Boni kassiert wie die anderen, haben jetzt aber überhaupt keinen Vorteil daraus - weder persönlich noch für ihre Institute. Die sonst in der Wirtschaft durch das Insolvenzrecht geschaffene Gerechtigkeit, dass der Verlierer gehen muss und dem oder den Gewinnern die Kunden des Insolventen kostenfrei zufallen, wird hier auf vollkommen verfehlte Weise verhindert.

Nur wenn Banken insolvent werden können, werden deren Eigentümer und Manager auch entsprechende Vorsicht walten lassen und die oftmals verführerischen Möglichkeiten zur Spekulation nicht oder nur in sehr geringem Umfang aufgreifen. Wo diese Gefahr aber nicht besteht, bleibt das "moral hazard": "die Guten ins Kröpfchen - die Schlechten ins Töpfchen der Steuerzahler".

Der Blick in die Ferne
Nun scheinen viele Regierungen auf Brüssel zu warten, als ob aus Brüssel jemals so viel oder so schnell Gutes gekommen wäre. Deutschland hat hier einen richtigen Weg aufgezeigt: Wenn man erkennt, dass etwas getan werden muss, ist schnell zu handeln. Eventuelle Verbesserungen können immer noch nachfolgen, aber die erste Arbeit ist einmal erledigt. Seit dem 1.1.2011 gilt in Deutschland ein speziell entwickeltes Bankeninsolvenzrecht, das durch das Restrukturierungsgesetz eingeführt wurde. Vor allem systemrelevante Banken sollen den Staat nicht länger zu Rettungsmaßnahmen zwingen können. Die Banken sollen Schieflagen frühzeitig und in erster Linie eigenverantwortlich bewältigen. Mit dem Restrukturierungsgesetz wurden das Kreditinstitute-Reorganisationsgesetz (KredReorgG) und das Restrukturierungsfondsgesetz (RStruktFG) eingeführt. Weiters gelten seit 15. Dezember 2010 zehnjährige statt der früher fünfjährigen Verjährungsfristen für die Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten börsennotierter Aktiengesellschaften.

Ob die in diesen Gesetzen getroffenen Regelungen die beste und sinnvollste Vorgehensweise darstellen, soll hier dahingestellt bleiben. Bankpraktiker und Insolvenzpraktiker wären zweifellos in der Lage ein abgestimmtes und verfahrensseitig taugliches Instrumentarium zu schaffen, das folgende Ziele verfolgen würde:

  • Rasche Abkoppelung der operativen Teile (Zahlungsverkehr, Filialbetrieb, Gehalts- und Sparkonten, Kleinkredite, Wertpapierdepots). Dadurch könnten die werthaltigen Teile eines Bankbetriebes optimal erhalten und verkaufbar gemacht werden. Zur Erinnerung: Nach dem Konkurs der Diskontbank in Wien mit immerhin ca. 18.000 Kunden mit Wertpapierdepots, dauerte es ca. 4 Monate bis die Übertragung dieses Geschäftsbereiches an eine außenstehende Bank gelang und die Kunden wieder über ihre Wertpapiere disponieren konnten.

  • Abwicklung einer strukturell faulen Bank außerhalb eines Insolvenzverfahrens, da dies lange Zeit in Anspruch nimmt; stattdessen Eingliederung der Aktiven in den operativen Betrieb anderer Institute gegen entsprechende Haftungen und mit Beteiligung der Eigentümer und Gläubiger der Bank.

  • Rückabwicklung substantiell nicht gerechtfertigter Bonuszahlungen an das Senior Management oder Dividenden an die Eigentümer.

  • Option zur Schuldenkonversion in Eigenmittel statt Vollliquidation des Kreditinstitutes. Bankeninsolvenzen in Österreich haben regelmäßig Quoten um oder über 80 % ergeben.

Das österreichische Bankeninsolvenzrecht kennt heute nur die Aufsicht vor der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens und danach den Konkurs mit Vollliquidation. Sanierungs- und Restrukturierungsmechanismen sollten schneller funktionieren können und dem Erhalt lebensfähiger Teile eines Bankbetriebes mehr Augenmerk schenken. Sogenannte "living wills", also Testate zu Lebzeiten durch die Bankenleitung, sollen die guten und die schlechten (überriskanten) Teile der Bankaktiva im Vorhinein analysieren und beschreiben, damit dann in der Restrukturierung mit voller Geschwindigkeit gearbeitet werden kann.

Die Wirtschaft eines Landes steht und fällt mit der Qualität der Versorgung mit Finanzdienstleistungen - diese ist in Österreich extrem gut. Kredite sind billig und Sparbücher hoch verzinst. Die Qualität des Bankensektors verlangt aber auch nach effektiven und vernünftigen Krisenbewältigungsmechanismen. Und hier ist in Österreich definitiv Handlungsbedarf gegen. Auf eventuelle Vorschläge aus Brüssel sollte unser Land nicht warten.

Die Detailzahlen der einzelnen Länder finden Sie im nachstehenden Download zu Verfügung gestellt.

Für den Inhalt verantwortlich:
Dr. Hans-Georg Kantner, Leiter Insolvenz beim KSV1870.

Internationale Insolvenzstatistik 2011