Konflikte sind wie Eisberge, von denen nur die Spitze sichtbar ist. Eine Mediation bringt zutage, was unter der Oberfläche liegt. Erst dann können die eigentlichen Probleme bearbeitet werden.
Wer darf Urlaub nehmen? Warum wird Kollegin Maier befördert und bekommt Kollege Huber einen Bonus? Der Arbeitsalltag ist voll potenzieller Anlässe für Streite und Feindseligkeiten. Richtig schlimm wird es, wenn Konflikte vor sich hinbrodeln, bis sie eskalieren. So weit muss man es nicht kommen lassen, sagen Mediatoren, unabhängige Vermittler zwischen Streitparteien. Sie greifen bei Konflikten unter Kollegen, Auseinandersetzungen zwischen Geschäftsführern oder bei Spannungen im Zusammenhang mit Unternehmensnachfolgen unterstützend ein – das sind laut Mediator Stephan Proksch die häufigsten Einsatzgebiete. Nicht immer, aber meistens gelingt eine Lösung.
Akzeptanz vorausgesetzt. Laut Stephan Proksch, Gesellschafter des Beratungsunternehmens trialogis, werden Mediatoren meist von übergeordneten Instanzen, also Abteilungs- oder Personalleitern, herangezogen, wenn es in ihrem Bereich oder Team ein Problem gibt. Als Involvierter einen Mediator ins Boot zu holen ist schwierig: Beide Seiten müssen ihn akzeptieren, und Mediatoren sind unabhängig. Die Tatsache, dass eine Mediation in der Regel von beiden Konfliktparteien bezahlt wird, macht es nicht einfacher. Eine Stunde mit zwei Mediatoren kostet rund EUR 300 bis 500. In der Regel dauern die Prozesse vier bis zehn Sitzungen, wobei eine Sitzung mehrere Stunden beanspruchen kann.
Hat man sich darauf eingelassen, geht es los: Zunächst spricht der Mediator separat mit den Streitparteien und eruiert, ob sie zu einer Mediation bereit sind. Anschließend wird überlegt, welche Bearbeitungsformen am besten passen: Es kann helfen, ein Coaching anzudenken oder bei Fachfragen Experten wie Architekten, Juristen oder Psychotherapeuten einzubeziehen. In der ersten Mediationssitzung wird ein gemeinsames Ziel definiert – das kann etwa die Verbesserung der Zusammenarbeit oder eine Trennung ohne Schaden sein. In einem Mediationsvertrag werden die Rahmenbedingungen wie Ort und Zeitpunkt der Meetings oder die Verschwiegenheit der Beteiligten festgehalten. Damit Aussicht auf Erfolg besteht, muss es Proksch zufolge „eine Bereitschaft geben, sich auf den Mediationsprozess einzulassen“, die Beteiligten müssen „dazulernen wollen und eine Fähigkeit zur Selbstkritik mitbringen“ und es müsse Verhandlungsspielraum geben. Zudem verhindere „ein völlig einseitiges Machtgefälle“ eine Mediation.
Problem hinter dem Konflikt. Oft stellt sich heraus, dass sich die wahren Konfliktverursacher hinter dem Streitanlass verstecken. Proksch: „Konflikte sind wie Eisberge: Das Eigentliche liegt unter der Wasseroberfläche.“ In den meisten Fällen werde erst nach und nach sichtbar, worum es geht. Ein Beispiel aus seiner Praxis: Ein Team von drei Kollegen konnte kaum noch miteinander reden. Der Personalchef initiierte die Mediation, bei der sich herausstellte, dass zwei Teammitglieder einmal ein Paar waren. Die in die Brüche gegangene Beziehung machte eine Zusammenarbeit nahezu unmöglich. Weil eine Person das Problem konsequent leugnete, konnte es auch nicht gelöst werden. Eine Trennung war die Folge. In einem weiteren Fall, an dem rund 30 Personen beteiligt waren, brodelten sogar mehrere Probleme. Unter anderem bestanden innerhalb einer Konfliktpartei grundlegend unterschiedliche Zielsetzungen, was die Verhandlung mit der Gegenseite erschwerte. Dennoch konnte der Fall gelöst werden. Es ging um die Übernahme eines Unternehmens und die Kündigung von 24 Mitarbeitern, welche einen Sozialplan und Abfertigungen forderten, was nach teils schwierigen Verhandlungen ohne Gerichtsprozess erreicht wurde.
Dieses Beispiel zeigt, dass eine Mediation auch eine Alternative zu einem Gerichtsprozess sein kann. Im genannten Fall waren schon Einzelprozesse der Mitarbeiter im Gang. Während der Mediation erklärten sie sich bereit, das Verfahren auf Eis zu legen, was sich als der richtige Weg erwies. Mediatoren argumentieren daher mit einer Kostenersparnis, denn langwierige Gerichtsverfahren sind meist ungleich teurer als ein paar Mediationssitzungen.
Nichts totschweigen. Im Unternehmensalltag können Kosten gespart werden, wenn man sich um Streite rechtzeitig kümmert. Nicht zuletzt deshalb sollte ein Konflikt früh angesprochen werden. Immer mehr Unternehmen führen dazu ein internes Konfliktmanagement ein. Die Meduni Wien hat das 2012 getan: Derzeit sind rund 30 Konfliktberater aktiv. Karin Gutiérrez-Lobos, die das System mitinitiiert hat, betont, dass es sich bei den Problemen, mit denen sich Mitarbeiter an interne Berater wenden können, nicht immer um „große Fälle“ handle: „Wir wollen diese damit verhindern.“ Die Reibungsflächen im Alltag sollten gering bleiben. Als Beispiele nennt sie etwa die Nachtdienst- oder Urlaubsaufteilung. Oft reiche es, dass jemand sage: „Ich habe das Gefühl, alle sind gekränkt und beleidigt. Reden wir darüber.“ Konflikte gehören zum Leben, „sie sollen nicht zum Schreckgespenst werden“, so Gutiérrez-Lobos. Es gehe dabei oft um Emotionen und Wertschätzung: „Man kann akzeptieren, wenn jemand anders ist.“ Vor allem solle man Probleme nicht totschweigen.
Es lohnt sich. An der Meduni wurden die Effekte seit Einführung des Konfliktmanagements erhoben: Schon nach einem Jahr zeigte sich in jenen Einheiten, die damit begonnen haben, „ein statistisch signifikanter positiver Effekt auf die Organisationskultur“. Auch Herbert Drexler, Präsident des Österreichischen Bundesverbands für Mediation (ÖBM), bestätigt die positiven Auswirkungen guter Konfliktkultur auf Teams. Das hat er selbst erfahren: Am Ende einer fast 30-jährigen Karriere im Top-Management von Siemens und einer Ausbildung zum Mediator reflektierte er seine Erfahrungen und kam zum Schluss: Gehen Unternehmen konstruktiv mit Konflikten um, sparen sie nicht nur Geld, sondern entfalten „große Potenziale“. Der Lohn einer gesunden Streitkultur ist ein gutes Arbeitsklima. Und „wo es ein gutes Arbeitsklima gibt, ist die Produktivität hoch“, so Drexler. Aus seiner Sicht besteht derzeit ein hoher Bedarf an Mediation. Wenn Gesellschaften vielfältiger werden, sind Probleme vorprogrammiert. Diversität bedeute Konflikte: „Wenn verschiedene Einstellungen aufeinandertreffen, gibt es Konfliktpotenzial.“ Diversität und der Umgang mit den Problemen, die sie mit sich bringt, beschäftigen nicht nur Unternehmen, sondern auch die Gesellschaft allgemein. Die aktuelle Krise biete Europa die Chance, Resilienz, also Widerstandsfähigkeit, zu entwickeln. Drexler sieht daher Mediation „als kulturellen Resilienzfaktor“.
Autor: Alexandra Rotter
Diesen und weitere Artikel finden Sie im forum.ksv 2/2016.