Das Premi­um­seg­ment kennt keine Krise

Premium- und Luxusprodukte erzielen trotz Inflation und geringen Wirtschaftswachstums hohe Umsätze, teilweise sogar auf Rekordniveau. Das liegt nicht nur am Wertewandel zu mehr Nachhaltigkeit und Qualität, sondern auch an sozialen Aspekten. 

Text: Gerlinde Maschler 

Es scheint paradox: Ob die mit Pistaziencreme und engelshaargleichen Teigfäden gefüllte Dubaischokolade zu schlanken 30 US-Dollar pro Riegel oder die tausende Euro teure Chanel-Tasche – die Nachfrage nach Premium- und Luxusprodukten quer durch alle Branchen und Produktgruppen ist ungebrochen hoch. Das Segment kennt trotz Inflation und Nullwachstum offensichtlich keine Krise.  

Schon Luxus oder noch Premium? 

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Premium- und Luxusgut, erklärt Thomas Loszach, Gründer des Investmenthauses Montis Finance, der den seit Jahren boomenden Sektor als Investmentspezialist beobachtet. Bei wahrem Luxus, wie etwa einer sündteuren Handtasche der Nobelmarke Hermes oder einem Ferrari, spiele Geld absolut keine Rolle. Luxusprodukte zeichnen sich durch Exklusivität und außergewöhnliche Qualität aus und sind für eine ausgewählte Elite bestimmt. Premiumprodukte sind zwar ebenfalls hochwertig und teuer, aber leichter zugänglich und richten sich an eine größere Gruppe von Verbrauchern. Die Grenze zwischen beiden Begriffen ist fließend. Abgesehen davon kennt Loszach für das Segment seit Jahren nur einen Weg, nämlich den nach oben. Die Widerstandskraft gegen konjunkturelle Schwächephasen sei extrem hoch, sagt er. Dazu passt eine weltweite Statistik über die Gesamtausgaben für teure Produkte und Dienstleistungen, welche das internationale Beratungsunternehmen Bain & Company regelmäßig veröffentlicht. Demnach gab es zwar im Vorjahr einen minimalen Rückgang, der langfristige Trend zeigt jedoch stabil nach oben. Das gilt auch für Österreich. Hierzulande werden, so das Statistikportal Statista, heuer knapp 2,5 Milliarden Euro für Luxus und Premium ausgegeben werden. Das Wachstum wird bis zum Jahr 2029 rund 2 % pro Jahr betragen. 

Soziale Aspekte im Vordergrund. 

Wenn das Geld für einen längeren Luxusurlaub nicht reicht, bucht man stattdessen eine kürzere, aber ebenso luxuriöse Reise. 

Die Gründe sind so bunt und vielfältig wie das Spektrum der Premium- und Luxusprodukte. „Man gönnt sich ja sonst nichts“ lautet die Devise – nicht nur bei Produkten, sondern auch bei Erlebnissen und Reisen, weiß Dieter Scharitzer, Professor für Marketing an der Wirtschaftsuniversität Wien und Geschäftsführer von TQS Research & Consulting KG: „Wenn das Geld für einen längeren Luxusurlaub nicht reicht, bucht man stattdessen eine kürzere, aber ebenso luxuriöse Reise.“ Etwas Einzigartiges und Hochwertiges zu kaufen sei nicht nur Ausdruck eigener Bedürfnisse, sondern auch eine soziale Differenzierung, nach dem Motto „Schau, was ich mir leisten kann“, sagt er. Das gelte für alle Gesellschaftsschichten. Dieser „demonstrative“ Konsum vermittle auch Zugehörigkeit zu einer Gruppe – ein wichtiges Argument in allen Altersgruppen, sagt Meinungsforscher und Werbeprofi Michael Nitsche. Er nennt als typisches Beispiel einen jungen Autokäufer, der auf Kredit einen teuren BMW erwirbt, gleichzeitig aber aus Geldknappheit bei seiner Mutter wohnt. Der „soziale Status reagiert nicht auf Inflation“, sagt der Eigentümer des Gallup-Instituts.   

Emotionale Differenzierung. 

So nebenbei hat in der Gesellschaft längst ein Wertewandel stattgefunden, der ebenso den Griff zu teureren Produkten begünstigt. Das Schlüsselwort heißt „Nachhaltigkeit“. Vor allem die jüngere Generation greift gerne zu Produkten, die fair, biologisch oder regional produziert werden, und ist bereit, dafür höhere Preise zu akzeptieren. Diese „postmaterielle“ Haltung ortet Scharitzer auch bei alltäglichen Versorgungsprodukten. „Wenn sich im Supermarktregal neben einem 08/15-Mehl zu 50 Cent ein Premiumprodukt zu drei Euro findet, wird beim Konsumenten eine emotionale Differenzierung ausgelöst.“ Die Marke verspricht durch gutes Marketing – etwa durch eine ansprechende Verpackung und die Etikettierung „Kein Importmehl“ – einen Mehrwert, der zwar nicht unbedingt einen Unterschied zu anderen Waren macht, doch vom Käufer oder der Käuferin angenommen wird.  

Der Weg zur Preisgestaltungsmacht.

„Kommunikation macht die Marke“, erklärt Nitsche mit Verweis auf die seinerzeit von ihm begleitete Werbekampagne für den Telekomanbieter mit dem – angeblich – besten Handynetz Österreichs. Mittels aufwendiger Werbefilme mit teurer Originalmusik schafft es dieser über Jahre, seine Spitzenposition zu behaupten. Dem Konsumenten wird bessere Qualität zu einem höheren Preis suggeriert. „Das ist ein jahrelanges, konsequentes Investment“, sagt Nitsche. Der Aufbau einer Marke und die damit verbundene Preisgestaltungsmacht, die sogenannte „pricing power“, manifestiert sich auch beim von Dietrich Mateschitz kreierten Energydrink, für den seine Fans gerne tiefer in die Tasche greifen als für das ähnliche No-Name-Produkt. Kein Geheimnis ist, dass Mateschitz als Marketingprofi Unsummen in die Werbung für das süße Getränk investierte.   

Die wunderbare Welt der Influencer. 

Wobei zu Mateschitz’ Gründerzeiten ein heute unumstrittener Marketingfaktor fehlte: und zwar die wunderbare, spontane und kurzlebige Welt der Influencer, die heutzutage – wie der Name schon sagt – Trends und Kaufverhalten beeinflusst, wie es kaum zuvor reine Produktwerbung schaffte. Wenn Stars und Sternchen auf Instagram & Co in kurzen Videoclips die Unentbehrlichkeit und Attraktivität mancher Produkte anpreisen, wird nicht ein Produkt, sondern ein Gefühl des „Haben-Müssens“ verkauft. Fatal ist aber, dass im digitalen Raum auch unbeabsichtigt groteske Hoppalas passieren können. So geschehen bei einer der renommiertesten Sportschuhfirmen der Welt. „Als der französische Präsident Emmanuel Macron einen Schuh dieser Marke zum Anzug trug, war das Modell für die junge Zielgruppe tot“, erzählt Nitsche schmunzelnd.

 

Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 01/2025.