Mann und Frau Hand in Hand mit vielen Einkaufssackerln.

Die Psychologie hinter dem Konsum

Dass Kaufentscheidungen mehr emotional als rational getroffen werden, ist nicht neu. Der digitale Fortschritt stellt das bisherige Marketing aber auf den Kopf.

Text: Markus Mittermüller

Das Match zwischen Online-Shopping und stationärem Handel läuft schon seit Jahren. Das Ziel beider Seiten ist klar: den potenziellen Kunden zum Kauf zu bewegen. Doch das ist heute so komplex wie nie zuvor. Während früher die Customer Journey noch überschaubar war – gute Werbung hat den potenziellen Kunden in den Handel gelockt, wo er sich dann allein oder mithilfe eines Verkäufers ein Produkt ausgesucht hat –, werden Kaufentscheidungen heute von digitalen Marktplätzen, Preisvergleichen oder auch Produktbewertungen mitbeeinflusst. Die Frage für Unternehmen und Marketingexperten ist daher: Welche Elemente sind es, die die Kaufentscheidung tatsächlich beeinflussen, und mit welchen Strategien erreicht man die Käufer am besten?

Emotionale Bindung entscheidet.

Eine entscheidende Antwort gleich vorweg: Rationale Überlegungen sind bei der Kaufentscheidung eher nachrangig. Sogar bis zu 90 % aller Entscheidungen werden unterbewusst getroffen und dem Bewusstsein nur noch zum finalen Abnicken vorgeschlagen. Eine viel wesentlichere Rolle spielt die emotionale Bindung zum Produkt. Der Verbraucher kauft ein Produkt, weil es ihm ein gutes Lebensgefühl vermittelt. Die Möglichkeiten, den Kunden auf emotionaler Ebene abzuholen, sind durch die fortschreitende Digitalisierung nahezu explodiert.

Unternehmen müssen ehrlicher werden.

„In der Kommunikation hat sich in den vergangenen 15 Jahren mehr getan als in den 2.000 Jahren davor“, meint Manfred Gansterer von der Wiener Marketingagentur GrundAuf. Der mehrfach ausgezeichnete Marketer hat diese massiven Änderungen in der Kommunikation nicht nur miterlebt, sondern auch selbst mitgestaltet – als Marketingleiter bei C&A Mode und auch beim Elektrohändler MediaMarkt Saturn Österreich. „Anfang der Nullerjahre waren Prospekte und Werbung in den klassischen Medien noch die wichtigsten verkaufsfördernden Mittel. Mit der Verbreitung des Smartphones ist die Social-Media-Nutzung explodiert. Das hat die Unternehmen auch zu mehr Ehrlichkeit gezwungen“, sagt Gansterer. Warum das? Der heutige Konsument hat durch die digitalen Kanäle viel mehr Informationen zur Verfügung und kann den Wahrheitsgehalt von Werbebotschaften ohne großen Aufwand selbst prüfen. Und sich gleichzeitig vor dem Kauf intensiv über die Produkte informieren. Dieser wichtige Moment im geänderten Kaufverhalten nennt sich im Fachjargon „Zero Moment of Truth“, kurz ZMOT.

Nur wer bewertet wird, existiert.

Wenn man beispielsweise ein Produkt bei der Amazon-Bewertung nicht findet, dann existiert es nicht.

Der wichtige Moment, der entscheidend für einen Kauf ist, liegt also nicht mehr kurz vor dem Kauf selbst, sondern fängt schon bei der Suche nach dem richtigen Produkt an. „Die Unternehmen müssen diesen Zero Moment oft Truth für sich als ausschlaggebend für die Kaufentscheidung entwickeln“, erklärt Stephan Heckmann. Er forscht an der FH Campus 02 an der Studienrichtung Marketing & Sales zum Thema „Digital Platform Management“. Worauf es beim ZMOT ankommt? „Wir informieren uns viel mehr über Google-Bewertungen und -Rezensionen. Wenn man beispielsweise ein Produkt bei der Amazon-Bewertung nicht findet, dann existiert es nicht. Für Werbetreibende ist es daher wichtig, Spitzenrezensionen gezielt zu bewerben oder auch mit Influencern zusammenzuarbeiten“, sagt Heckmann.

Direkte Ansprache der Zielgruppe.

Allein diese Aussage zeigt: Die Werbung hat durch die Digitalisierung ganz andere Formen angenommen. „Die größten Unterschiede liegen in der Individualisierung und Spezifizierung, also der Möglichkeit der gezielten Ansprache der Kundengruppe“, erklärt der Forscher. Zum Beispiel mit gesponserten Postings auf Social Media, die spezifisch auf die Zielgruppe und ihr Suchverhalten ausgerichtet sind.

Apropos Zielgruppe: Die Definition der Zielgruppe gehört laut Heckmann zu den wichtigsten Hausaufgaben eines Unternehmens, das sein Produkt oder seine Dienstleistung erfolgreich vermarkten will. Denn auch die herkömmlichen Definitionen haben sich durch die Digitalisierung geändert. Eine demografische Segmentierung nach Kriterien wie Alter, Einkommen, Bildungsniveau oder Familienstand sei nicht mehr zielführend. „Werte stehen heute mehr im Vordergrund, Interessens- und Lebenswelten sind zu wichtigen Kriterien geworden. Einen ‚urbanen Lebensstil‘ kann sowohl ein junger Mensch wie auch jemand im Alter von 50+ haben, beide können die gleichen Werte verfolgen“, so Heckmann.

Marken geben Sicherheit.

Einen großen Einfluss auf die Kaufentscheidung haben natürlich auch die aktuellen Herausforderungen wie Pandemie, Inflation und steigende Preise. „Die Situation war nie dynamischer als jetzt, daher ist beim Produktkauf auch das Thema Sicherheit wichtig. Dabei spielen die Marken eine entscheidende Rolle, da sie Sicherheit und Vertrauen geben“, erklärt Sebastian Strobel, Geschäftsführer beim Wachstumsberater &US. Hier kommt das Thema der sogenannten Heuristiken ins Spiel. Anhand der Verfügbarkeitsheuristik wählt das Gehirn bei unterschiedlichen Auswahlmöglichkeiten eher jene Option aus, die Ähnlichkeit mit etwas hat, an das sich der Kunde schnell und einfach erinnert. Und Marken haben einen großen Einfluss auf Entscheidungen. „Was ist die mir bekannte Lösung? Was ist sozial akzeptiert? Und kann ich mich mit den Werten der Marke identifizieren? Nach diesen Fragen entscheidet sich der Konsument“, so Strobel.

Chatbot reicht im B2B nicht.

Gibt es dabei Unterschiede im Kaufverhalten in den Bereichen B2B und B2C? Heckmann sieht hier vor allem einen Generationenwechsel bei den Ein- und Verkäufern im B2B-Bereich: „Der Wunsch der Kontaktart hat sich geändert. Viele sind digital affin, ein persönlicher Kontakt ist nicht nötig. 95 % der Einkäufer brauchen bei Investitionen bis 50.000 Euro laut einer McKinsey-Umfrage von September 2020 keine Kontaktperson sehen.“ Eine persönliche digitale Betreuung sei dennoch wichtig, ein Chatbot reicht hier laut dem Experten nicht aus. Viele Ähnlichkeiten bei den Herausforderungen von B2B und B2C sieht hingegen Strobel: „Die Definition von echten Alleinstellungsmerkmalen ist im B2B-Bereich ebenso wichtig wie im B2C-Bereich. Qualität und Zuverlässigkeit sind im B2B-Bereich Nutzenversprechen, die für sich alleine wenig Differenzierung bieten.“

KMU brauchen digitale Präsenz.

Wie sollten nun vor allem KMU auf die geänderten Verhaltensweisen von Konsumenten reagieren? „KMU müssen in erster Linie in ihre digitalen Präsenzen investieren“, sagt Gansterer. Dazu gehört aus seiner Sicht eine userfreundliche Website, bezahlte Werbung auf Google und gesponserte Beiträge auf den geeigneten Social-Media-Kanälen. „Die Kosten für diese digitale Fitness sind überschaubar“, ergänzt der Marketer. Und welche Trends stehen uns kurz bevor? „Die Verbindung von Augmented Reality und Virtual Reality auf dem Smartphone dringt immer stärker bei uns ein“, meint Heckmann. Künftig werden die Kunden online ein Produkt, beispielsweise ein Sofa, aussuchen und es dann mittels Augmented Reality in ihrem Wohnzimmer platzieren. Und das alles in einem einzigen Schritt. „Denn der neue Anspruch der Kunden lautet: ‚Anything at anytime and anywhere‘.“

 

Aus dem KSV1870 Magazin forum.ksv - Ausgabe 1/2023.