Der KSV1870 Insolvenzleiter Karl-Heinz Götze spricht über die Emotionen hinter den Fällen, den medialen Druck und erklärt, warum sein Job niemals zur Routine wird.
Die Insolvenzen sind im vergangenen Jahr massiv angestiegen und ein Ende ist nicht in Sicht. Ist es ein emotionales Geschäft, in dem Sie arbeiten?

KSV1870 Insolvenzleiter
Es gibt natürlich Fälle, die sehr berührend sind, insbesondere, wenn Privatpersonen betroffen sind. Kika-Leiner ist etwa so ein Fall, weil auch viele Schicksale mit dieser Insolvenz verbunden sind. Es gibt unterschiedliche Situationen. Trotzdem muss man in jedem Fall fähig sein, einen ruhigen Kopf zu bewahren und nicht zu stark hineinzukippen. Ich versuche stets ruhig und faktenbasiert Lösungen zu erarbeiten, denn das ist am Ende unsere Aufgabe. Als Jurist ist mir das nicht fremd. Darüber hinaus komme ich beruflich aus dem Bereich Sanierungen und bin mit einer gewissen Dramatik bei der Arbeit vertraut.
Ist das nicht manchmal ein Minenfeld?
Minenfeld ist vielleicht zu drastisch. Aber Sanierungssituationen bzw. die Insolvenz ist sicher ein Spannungsfeld, weil es viele unterschiedliche Interessen und wenig Geld gibt – zu wenig Geld in der Regel. Zudem können Emotionen und Chaos schnell Überhand nehmen, wenn eine Insolvenz nicht gut vorbereitet ist. Denn Gläubiger wollen ihre Forderungen retour, Unternehmen kämpfen um den Fortbestand, Mitarbeiter wollen ihre Jobs behalten bzw. ausstehende Gehälter bekommen und Medien wollen Interviews. Insgesamt ist es ein Tauziehen und irgendwo muss dann ein Konsens darüber gefunden werden, was die beste wirtschaftliche Lösung ist – für alle Beteiligten. Das ist auch jenes Spannungsfeld, indem wir uns als KSV1870 stark in einer Vermittlerrolle sehen.
Die beste wirtschaftliche Lösung – was ist darunter zu verstehen?
Es ist vielleicht hart das zu sagen, aber manchmal macht es einfach keinen Sinn ein marodes Unternehmen weiterzuführen, auch wenn sich damit oft ein Lebenswerk in Luft auflöst. Wenn ein Unternehmen aber noch Kapital hat, einen Markt und ein grundsätzlich funktionierendes Geschäftsmodell, dann ist eine Sanierung in der Insolvenz sinnvoll und möglich. Gerade in Österreich ist die Insolvenzordnung sehr sanierungsfreundlich. Doch die Voraussetzung für eine Sanierung ist, dass die Unternehmen nicht zu lange mit der Insolvenzanmeldung warten. Denn dann ist noch Geld im Unternehmen – eine Sanierung ohne Geld gibt es einfach nicht. Ich sehe aber auch, dass manche Unternehmer die Reißleine nicht ziehen können – oder nicht schnell genug.
Auf welcher Seite stehen Sie bei einer Insolvenz?
Als Gläubigerschutzverein vertreten wir die Interessen der Gläubiger. Also jene Unternehmen, die Produkte oder Dienstleistungen geliefert haben, aber kein oder nur einen Teil des Geldes bekommen haben. In der Sanierung können die Quoten 20 Prozent oder mehr sein, durchschnittlich liegen wir bei 25 - 30% bei Sanierungen; im Konkurs bei 10 - 15 Prozent. Im Privatkonkurs sind es mittlerweile unter 10 Prozent. Was mir in der öffentlichen Diskussion häufig zu kurz kommt, ist, dass die Unternehmen oftmals um mehr als 90 Prozent ihrer Forderungen „umfallen“. Dieser Aspekt interessiert in der öffentlichen Wahrnehmung kaum jemanden. Das ist traurig, denn auch diese Unternehmen müssen profitabel bleiben, sie haben Löhne zu bezahlen und Verträge einzuhalten, damit sie weiter bestehen können. Insofern ist es wichtig, dass wir im Insolvenzfall Geld für Gläubiger zurückholen.
Sie haben vorhin kurz die Medien angesprochen. Mussten Sie schon immer Interviews geben?
Nein, ganz und gar nicht. Das war absolutes Neuland. Wie enorm stark der mediale Druck werden kann, weiß man erst, wenn man es erlebt hat. Auch hier stehen wir alle in einem Spannungsfeld – denn das Insolvenzverfahren ist geheim. Es dürfen also keine Journalisten bei den Verhandlungen dabei sein. Dennoch ist das Interesse hoch, vor allem bei großen Insolvenzen oder auch wenn sehr viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betroffen sind, wie etwa bei KTM. Viele Medienvertreter wollen schon vor einer Verhandlung Informationen, die es zum Teil noch gar nicht gibt. Manches darf man auch nicht weitergeben. Die Fragen bleiben natürlich. In so einem Fall muss man sich abgrenzen können, um letztlich auch die Fortschritte im Insolvenzverfahren nicht zu gefährden. Grundsätzlich bin ich aber dafür, zu informieren. Es ist wichtig, die Basics zu kommunizieren, damit keine Gerüchte entstehen oder gar Falschmeldungen kursieren.
Wie gehen Sie mit Vereinfachung um?
Ich verstehe, dass Medien Inhalte für die breite Masse verständlich aufbereiten müssen. Juristendeutsch hat da keinen Platz. Dennoch sind Vereinfachungen in Fachkreisen nicht gerne gesehen. Man muss für sich selber abwägen, wie weit man gehen will und kann. Nachdem bei Insolvenzen aber viel auf dem Spiel steht, muss ich trotzdem sehr korrekt bleiben. Um den Preis, dass manchmal andere, die plakativer antworten, medial vorkommen. Das halte ich aber aus.
Ist Insolvenzen zu verhandeln bzw. darüber zu reden für Sie zur Routine geworden?
Das könnte ich so nicht sagen. Ein Kollege, der vor Kurzem und nach über 30 Jahren in Pension gegangen ist, hat resümiert, dass letztlich jeder Fall anders war. Es haben sich Konstellationen ergeben, die es kein zweites Mal gegeben hat. Auch die heißen Eisen sind immer wieder anders. Und das führt dazu, dass man konstant etwas dazulernt. Ich denke, das zeigt, wie vielfältig und spannend das Thema ist. Natürlich gibt es formale Eckpfeiler, aber absolute Routine gibt es nicht - auch nicht im Umfang mit den Medien.
Können Sie einen Job in Ihrem Team empfehlen?
Man muss natürlich der Typ dafür sein. Als Insolvenzreferent oder -referentin arbeitet man sehr selbstbestimmt, muss strukturiert sein und gut mit Zahlen umgehen können. Das Stressniveau kann auch mal höher als in anderen Jobs sein. In den Regionen sind die Kolleginnen und Kollegen viel unterwegs, weil sie die Bezirksgerichte „abfahren“ – schließlich sind wir bundesweit im Einsatz. Unser Anspruch ist es, jedem Verhandlungstermin beizuwohnen, um vor Ort aktiv im Sinne der Gläubiger zu verhandeln. Oft ist auch eine Verhandlung nach der anderen im Halbstundentakt angesetzt. Klar ist das schon mal anstrengend, aber die Arbeit ist interessant – und man ist mitunter bei Insolvenzen dabei, die in die Wirtschaftsgeschichte des Landes eingehen.
Was haben Sie gelernt, seit Sie im Insolvenz-Bereich arbeiten?
Was mir immer wieder auffällt, ist, wie wenig wirtschaftliches Grundwissen es in der Gesellschaft gibt. Das ist auch ein Grund, warum sich unser Haus für die Verbesserung des Finanzwissens engagiert – insbesondere was Kinder und Jugendliche betrifft. Seit Jahrzenten halten unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Vorträge zum Thema Verschuldung und Prävention in Schulen in ganz Österreich. Zudem haben wir eine Kooperation mit der WU, wo sogenannte „Finanzbildungscoaches“ unsere Themen in die Schulen mitnehmen sollen. Wir engagieren uns bei Teach4Austria und unterrichten anlassbezogen Kinder aus bildungsfernen Familien in Schulklassen. Und aktuell unterstützen wir auch ein kleines Projekt, das sogenannte Grätzl-Labor in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Wien. Es wurde von der TU initiiert, und auch hier wird ein Workshopprogramm umgesetzt. Wir wollen der Gesellschaft bei einem Thema etwas zurückgeben, bei dem wir uns auskennen.