Insolvenz: im Wirrwarr der Forderungen

Es gibt sie nicht: die eine Forderung in der Insolvenz. Vielmehr eine ganze Reihe davon. Was das für Gläubiger bedeutet, lesen Sie in diesem Blogartikel. 


Die Insolvenz der Familie Benko Privatstiftung hat eindrücklich gezeigt, dass eine Forderung nicht gleich eine Forderung ist. So kann etwa zwischen den angemeldeten Insolvenzforderungen und den vom Insolvenzverwalter anerkannten Insolvenzforderungen ein enormer „Graben“ sein: im Falle der Privatstiftung etwa 2,3 Mrd. Euro angemeldete zu 49,4 Mio. Euro anerkannten Forderungen. Aber auch bei weniger komplexen Insolvenzfällen sind die angemeldeten und anerkannten Insolvenzforderungen so gut wie nie gleich. Woran liegt das? Und damit die Verwirrung komplett ist: es gibt Insolvenzforderungen, Masseforderungen und auch noch nachrangige Forderungen. 

Angemeldete Forderung, aber nicht anerkannt

Bleiben wir kurz bei der Familie Benko Privatstiftung. Im Falle dieser sehr komplexen Insolvenz hat der Insolvenzverwalter etwa Intercompany-Forderungen, welche als Insolvenzforderungen im Verfahren angemeldet wurden, bestritten. Diese Intercompany-Forderungen sind Ansprüche, die innerhalb eines Konzerns oder hier beispielhaft zwischen der Familie Benko Privatstiftung und mehreren Gesellschaften der SIGNA-Gruppe unter Umständen bestehen. Der Insolvenzverwalter hat sich entschlossen, diese Intercompany-Forderungen in der ersten Prüfungstagsatzung - mangels genauer Nachvollziehbarkeit - zu bestreiten, da es innerhalb der SIGNA-Gruppe sehr komplexe wechselseitige Verflechtungen zwischen den einzelnen Gesellschaften gibt. Diese haftungsrechtlichen Beziehungen zwischen den Gesellschaften gilt es im Laufe des Insolvenzverfahrens - soweit möglich - aufzulösen. Alle Insolvenzgläubiger, deren Forderung in der Prüfungstagsatzung vom Insolvenzverwalter bestritten wurden, können einen separaten Feststellungsprozess führen, um ein Anerkenntnis ihrer Forderungen zu erreichen. Derartige Verfahren sind in der Regel mit einem verhältnismäßig hohen Prozesskostenrisiko verbunden. 

Es gibt aber eine Vielzahl an weiteren Gründen, die zu einer Bestreitung einer angemeldeten Insolvenzforderung führen können. Die häufigsten Ursachen für solche Bestreitungen sind in der Praxis etwa, wenn Leistungen vom anmeldenden Gläubiger mangelhaft erbracht wurden. Immer wieder kommt es auch vor, dass Forderungen angemeldet werden, die längst verjährt sind. Im Baubereich häufig, ist die Geltendmachung von Schadenersatzbeträgen. Wenn eine Firma eine Baustelle nicht abgeschlossen hat, entstehen Nachteile für den Vertragspartner. Jedoch muss der vom geschädigten Vertragspartner angemeldete Betrag glaubhaft und nachvollziehbar belegt werden. Hier gibt es häufig Diskussionen über die Höhe des entstandenen Schadens. 

Im Zuge eines Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter in Zusammenarbeit mit dem Schuldner die angemeldeten Forderungen auf ihre Rechtmäßigkeit zu prüfen. Liegt diese nicht vor, wird er die Forderung in der Prüfungstagsatzung bestreiten. Für Gläubiger ist immer entscheidend, dass sie ihre Forderung durch entsprechende Dokumentationen belegen können. Wird eine Forderung bestritten, so muss das nicht so bleiben. Im Laufe des Insolvenzverfahrens kann es – nach einem gerichtlichen Feststellungsprozess oder einer außergerichtlichen Einigung mit der Insolvenzverwaltung – zu einem nachträglichen Anerkenntnis der Insolvenzforderung kommen. 

Was ist eine Insolvenzforderung? 

Ob anerkannt oder nicht – bei den oben beschriebenen Beispielen geht es immer um Insolvenzforderungen. Sprich es handelt sich um eine Forderung eines Gläubigers, die vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden ist. Forderungen, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung noch nicht fällig waren, gelten mit der Eröffnung als fällig. Laut Gesetz können aber auch Schadenersatzforderungen Insolvenzforderungen darstellen. In der Praxis spielen Schadenersatzforderungen, die durch die Insolvenzordnung ausdrücklich zu Insolvenzforderungen erklärt werden, bei der vorzeitigen Auflösung von Dauerschuldverhältnissen eine wichtige Rolle. Löst der Insolvenzverwalter ein Dauerschuldverhältnis nach Insolvenzeröffnung vorzeitig auf, hat der Vertragspartner häufig einen Schadenersatzanspruch. Als klassisches Beispiel könnte man etwa die Beendigung eines Leasingvertrages mit einer vereinbarten Laufzeit von mehreren Jahren anführen. Kommt es im Verfahren zur Vertragsauflösung, kann der Leasinggeber den aus der vorzeitigen Auflösung entstandenen Schaden als Insolvenzforderung geltend machen. Ein anderes häufiges Beispiel: Werden im Laufe des Verfahrens Dienstverhältnisse unter Anwendung der insolvenzrechtlichen Vorgaben aufgelöst, stellen unter bestimmten Voraussetzungen auch die sogenannten Beendigungsansprüche (etwa Entschädigung für nicht konsumierten Urlaub oder die Kündigungsentschädigung) eine Insolvenzforderung dar. 

Forderungen richtig anmelden 

In Österreich hat die Anmeldung von Insolvenzforderungen – im Gegensatz zu Deutschland - ausschließlich beim Insolvenzgericht zu erfolgen. Nicht auf Geld gerichtete Forderungen sind mit einem Schätzwert zu bewerten. Formal hat die Forderungsanmeldung den Anforderungen einer Klage zu entsprechen. Sämtliche den geltend gemachten Anspruch belegende Bescheinigungen sind bereits bei Einbringung der Forderungsanmeldung bei Gericht vorzulegen. Erfasst werden die Insolvenzforderungen im so genannten Anmeldeverzeichnis. Hier finden sich etwa Lieferantenforderungen, Steuerschulden, Schadenersatzansprüche, Dienstnehmerforderungen usw. Wichtig: Alle unbesicherten Insolvenzforderungen teilen das gleiche Schicksal in der Insolvenz und haben dieselben Befriedigungsaussichten. Gut zu wissen: Hierzulande wird nicht zwischen Unternehmens- oder Abgabengläubiger unterschieden, wie etwa in der Schweiz. 

Nachrangige Forderungen sind komplex 

Unter diesen Forderungen werden Ansprüche erfasst, die erst dann bezahlt werden, wenn alle Masse- (siehe nächster Absatz) und Insolvenzforderungen gänzlich bedient worden sind. Bei nachrangigen Forderungen handelt es sich um als Fremdkapital gewidmete Leistungen von Gesellschaftern, die in der Krise ins Unternehmen fließen. Sie können entstehen, wenn ein Gesellschafter an Unternehmen kontrollierend oder im Ausmaß von zumindest 25 % unmittelbar und im Ausmaß von 33 % mittelbar beteiligt ist. Für die Beurteilung, ob es sich um eine nachrangige Forderung handelt oder nicht ist auch der Zeitpunkt dieser Kreditgewährung entscheidend. Um von einer „Eigenkapital ersetzenden Leistung“ zu sprechen, muss sich die den Kredit erhaltende Gesellschaft in der Krise (bedeutet in diesem Fall Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung) befinden. Oder aber, wenn die Eigenkapitalquote unter 8 % liegt und die fiktive Schuldtilgungsdauer mehr als 15 Jahre beträgt.

Forderungen, die nach Insolvenzeröffnung entstanden sind

Zu guter Letzt gibt es noch Masseforderungen. Hierbei handelt es sich um Forderungen, die erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehen. Diese sind in der Insolvenzordnung abschließend aufgelistet. Masseforderungen sind vorrangig vor Insolvenzforderungen. Sie müssen bei Fälligkeit voll aus der Insolvenzmasse bezahlt werden, während Insolvenzforderungen quotenmäßig befriedigt werden. Ihre vollständige Befriedigung ist notwendig, da ansonsten niemand mehr mit dem insolventen Unternehmen nach Verfahrenseröffnung Geschäfte machen würde. Wäre das nicht so, wären alle Sanierungsbemühungen während eines Insolvenzverfahrens von Beginn an zum Scheitern verurteilt. Aber nicht nur bei einer Fortführung fallen Masseforderungen an. Wird ein Unternehmen liquidiert, können etwa Kosten für Räumungen, Entsorgung oder Gutachter entstehen. Zudem können nach der Insolvenzeröffnung auflaufende Löhne und Gehälter anfallen. Auch diese Kosten sind Massekosten und vom Insolvenzverwalter zur Gänze zu bedienen. Masseforderungen sind gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen. Wenn Masseforderungen nicht zur Gänze aus dem vorhandenen Massevermögen gedeckt werden können, bedeutet dies automatisch, dass es zu keiner Ausschüttung einer Quote an die Insolvenzgläubiger kommt.