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Es ist ein täglicher Tanz auf der Rasierklinge

Seit rund 900 Tagen hält die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg das Land in Atem. Für die Unternehmen bedeutet das ein ständiges Auf und Ab. Ricardo-José Vybiral und Gerhard Wagner beleuchten die „Lage der Nation“.

Interview: Markus Hinterberger

Gefühlt befindet sich Österreichs Wirtschaft in einer Endlosschleife zwischen Berg- und Talfahrt. Ging es den Unternehmen im Sommer 2021 besser als heute?

Ricardo-José Vybiral: Anhand der nackten Zahlen, die wir kürzlich im Rahmen des Austrian Business Check präsentiert haben, ist diese These durchaus zulässig. Man darf jedoch eines nicht vergessen: Wir befinden uns in einer Zeit, die sehr von Negativschlagzeilen geprägt ist. Da fällt es oftmals auch schwer, das Positive herauszufiltern, daraus neue Kraft zu schöpfen und nicht alles ganz so negativ zu sehen. Denn in den Ergebnissen zeigen sich sehr wohl auch positive Entwicklungen: Umsatzsteigerungen, eine ungebrochene Investitionsfreude und ein KSV1870 Rating, das diese Kontinuität unterstreicht.

Wie stehen die Betriebe aktuell da?

Gerhard Wagner: Trotz aller negativen Einflüsse – und davon gab es zuletzt wahrlich mehr als genug – stehen Österreichs Unternehmen auch weiterhin für Stabilität. Die Betriebe haben sich mit Händen und Füßen gewehrt, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie im Zaum zu halten, was sehr häufig sehr gut gelungen ist. Trotzdem gibt es einige Wackelkandidaten. Aus einer volkswirtschaftlichen Dimension heraus betrachtet, hätte es die heimische Wirtschaft insgesamt noch deutlich schlimmer treffen können.

Ist die Zeit für bedingungslosen Optimismus gekommen?

RJV: Optimismus ist immer gut, doch man muss auch realistisch bleiben. Im Vorjahr waren wir in einer ähnlichen Situation. Ein ruhiger Sommer, bevor im Spätherbst die Omikron-Variante voll zugeschlagen hat. So ehrlich muss man sein: Solange keine Stabilität über einen längeren Zeitraum eingetreten ist, ist es ein Tanz auf der Rasierklinge – wegen der Corona-Krise, wegen der immer massiveren Preissteigerungen, wegen der Inflation. Zusätzlich hat sich mit dem Krieg in der Ukraine ein weiterer Krisenherd aufgetan, auch wenn hier die Auswirkungen auf Österreichs Betriebe eher überschaubar bleiben dürften.

Welche Rolle spielt der Krieg in der Ukraine für Österreichs Unternehmen?

GW: Wir haben zum Ausbruch der kriegerischen Handlungen eine Analyse durchgeführt und sind zum Ergebnis gekommen, dass es abgesehen von den bekannten russischen Banken nur sehr wenige Unternehmen aus Russland, der Ukraine und Belarus gibt, die einen protokollierten Sitz, eine Niederlassung oder ein Büro in Österreich haben und damit von den Sanktionen betroffen sind. Diese sind großteils im Handel tätig. Die Suche nach österreichischen Unternehmen mit einer Kapitalverflechtung im Sinne von Gesellschaftern aus den drei genannten Ländern ergab eine Anzahl von rund 450. Nachdem es sich überwiegend um in Österreich tätige Unternehmen handelt, wird deren Geschäft aber nicht zwingend durch Embargos eingeschränkt werden.