83 % der Betriebe in Österreich haben Probleme, Fachkräfte zu finden. Manche Unternehmen tun sich dabei jedoch leichter, indem sie mit geeigneten Programmen speziell für Frauen attraktiv sind. Doch es braucht mehr davon.
Text: Stephan Scoppetta
Laut EY-Mittelstandsbarometer 2022 fällt es den heimischen Unternehmen aktuell so schwer wie noch nie zuvor, geeignete Fachkräfte zu finden: 83 % haben derzeit im Recruiting des entsprechenden Personals (erhebliche) Schwierigkeiten. Das ist der höchste Stand seit Erhebungsbeginn im Jahr 2014. In fast allen Teilen der Wirtschaft war 2021 der Fachkräftemangel wahrnehmbar, und 2022 hat sich die Lage weiter verschärft. Besonders stark war der Bereich Tourismus betroffen, wo 33 % sehr schwer und weitere 48 % eher schwer die gesuchten Fachkräfte finden. Auch im Energiesektor bzw. der Transportwirtschaft (30 % bzw. 53 %) und im Handel (28 % bzw. 52 %) gibt es große Schwierigkeiten. Bei fast vier von zehn Unternehmen verursacht der Fachkräftemangel laut Studie sogar Umsatzeinbußen.
Überalterung und traditionelles Geschlechterbild.
Aus meiner Sicht ist das immer noch ein gesellschaftspolitisches Thema. Wir sozialisieren offensichtlich nach wie vor nach konservativ-traditionellen Mustern.
Die Ursache für die fehlenden Fachkräfte in Europa lässt sich laut Gerhard Fehr, angewandter Verhaltensökonom und Delegierter des Verwaltungsrats von FehrAdvice & Partners AG, auch auf eine Überalterung der Bevölkerung zurückführen: „Die Babyboomer-Generation geht in Pension, und es fehlt der Nachwuchs“. Aber noch immer herrschen bei der Berufswahl traditionelle Geschlechterbilder vor. Bis heute gibt es Männer- und Frauenberufe. Zum Beispiel liegt der Frauenanteil in der Bauwirtschaft bei 12,5 %. Auch in der Industrie kommt auf drei Männer nur eine Frau, während im Gesundheitswesen deutlich mehr Frauen arbeiten. Bei den Tierärzten kommen auf einen Mann sogar acht Frauen. Besonders wenige Frauen arbeiten in den MINT-Fächern – also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Alice Godderidge, CEO von Poloplast: „Aus meiner Sicht ist das immer noch ein gesellschaftspolitisches Thema. Wir sozialisieren offensichtlich nach wie vor nach konservativ-traditionellen Mustern.“ Auch Sonja Steßl, Vorstandsdirektorin der Wiener Städtischen, sieht diesbezüglich besonders in der Ausbildung großen Nachholbedarf: „Es braucht einen ganzheitlichen Zugang, um festgefahrene Vorurteile zu überwinden. Hier muss man bereits in der Schule ansetzen, um Interesse für unterschiedlichste Themenbereiche zu schaffen, vielfältige Möglichkeiten und Berufswege aufzuzeigen, individuelle Talente zu erkennen und zu unterstützen sowie junge Menschen dazu zu ermutigen, ihre Potenziale zu nutzen. In späterer Folge gilt es aber auch, Frauen dabei zu unterstützen, neue Wege einzuschlagen und andere Ausbildungen zu absolvieren, um in einem anderen Job bzw. in einer anderen Branche tätig zu werden.“
Mit Kinderbetreuung aus der Teilzeitfalle.
Ein großes Problem ist, dass Frauen sehr oft Teilzeit arbeiten und damit der Wirtschaft nicht die volle Arbeitskraft zur Verfügung steht. Betrug die Teilzeitquote der Frauen 2021 laut Statistik Austria knapp 50 %, so liegt diese bei den Männern nur bei 12 %. Die Ursache für den hohen Anteil der Teilzeitarbeit bei Frauen findet sich vor allem in der Kindererziehung, die in Österreich überwiegend von den Frauen übernommen wird. Isabella Frey, Co-Geschäftsführerin von George Labs der Fintech-Unit der Erste Group: „Damit Frauen die gleichen Karrierechancen wie Männer haben, sollten Frauen auch auf der persönlichen Ebene, also auch in Bezug zu ihrem Partner, einen gesunden Egoismus haben und für die eigene Karriere einstehen. Damit ist Kindererziehung nicht nur Frauensache. Auf politischer Ebene braucht es flexiblere und kombinierbare Teilzeit- und Karenzmodelle, die es beiden Elternteilen (zeitgleich) ermöglichen, Zeit für Kinder und Job aufzuwenden. Zudem sollten Unternehmen flexiblere Arbeitszeitmodelle bieten, Väterkarenz fördern und Kinderbetreuungseinrichtungen eine Selbstverständlichkeit sein.“ Gerade in ländlichen Gebieten haben viele Unternehmen Betriebskindergärten gegründet, um für Frauen interessanter zu werden.
Erfolgreich durch Förderung.
In den Unternehmen muss der Generationswechsel der Chefs erst stattfinden, um Frauen in die Unternehmen zu bekommen.
Manche Unternehmen bemühen sich schon länger um die Gunst des weiblichen Geschlechts, und das sehr erfolgreich. Steßl: „Der Frauenanteil in der Wiener Städtischen beträgt knapp 44 %. Im Innendienst der Wiener Städtischen sind mehr als ein Drittel der Führungskräfte weiblich, im Vorstand haben wir sogar ein ausgewogenes Verhältnis. Besonders erfreulich ist, dass mittlerweile 53 % der Lehrlinge weiblich sind.“ Auch beim Rohrsysteme-Hersteller Poloplast vollzieht sich ein Generationenwechsel. Erst vor kurzem wurde Alice Godderidge Geschäftsführerin des Unternehmens. Aber auch andere Führungsebenen wurden weiblich besetzt. In diesem männlich dominierten Business kommt das einer Revolution gleich. Godderidge: „In den Unternehmen muss der Generationswechsel der Chefs erst stattfinden, um Frauen in die Unternehmen zu bekommen. Welche Frau möchte in einem Unternehmen arbeiten und vielleicht sogar Karriere machen, in dem sie immer als Außenseiterin betrachtet wird und ihre Leistungsfähigkeit latent infrage gestellt wird?“
Das Selbstvertrauen stärken.
Bei Fronius International, einem führenden oberösterreichischen Industriebetrieb, steht mit Elisabeth Engelbrechtsmüller-Strauß ebenfalls eine Frau an der Spitze. Auch hier ist die Frauenquote in den vergangenen Jahren in Österreich auf rund 37 % gestiegen – nicht zuletzt dank gezielter Maßnahmen in der Lehrlingsausbildung. „Speziell in technischen Berufen und in Führungspositionen sind wir aber leider noch weit darunter, wir würden uns jedoch eine deutliche Aufstockung wünschen“, so Engelbrechtsmüller-Strauß. Um das Ziel einer Geschlechterausgewogenheit zu erreichen, wird viel getan, wie sie weiter ausführt: „Zur gezielten Förderung von Frauen haben wir unter anderem ein eigenes Training in unseren Ausbildungskatalog aufgenommen. Wir wollen damit Selbstwahrnehmung, Selbstführung und Selbstvertrauen stärken. In Workshops lernen Frauen, ihre Fähigkeiten und Potenziale noch besser einzusetzen. Wir kooperieren außerdem mit zahlreichen Bildungseinrichtungen und unterstützen Aktionstage, die Mädchen und junge Frauen in ihrer beruflichen Orientierung ermutigen.“
Die IT braucht ein neues Image.
Große Probleme mit der Frauenquote gibt es auch in der IT. Derzeit beträgt der Frauenanteil im Informatikstudium an der TU Wien knapp 17 %, im Fach Softwareengineering gerade einmal 12 %. Das ist eine Quote, die 0,5 % unter der Baubranche liegt, wo der Frauenanteil 2021 bereits bei 12,5 % lag. Frey: „Entwicklerstereotypen aus zahlreichen Sitcoms prägen und fördern das Bild des introvertierten, smarten, aber langweiligen Nerds, der im Keller den nächsten genialen Algorithmus entwickelt, aber keinen geraden Satz im Gespräch mit anderen rausbringt. Dabei ist IT so viel mehr als Code schreiben. Die IT ist bunt.“ Zudem wissen die meisten jungen Menschen viel zu wenig über mögliche Berufsbilder in der IT. Frey: „Wie soll eine junge Frau entscheiden, welchen Job sie ausüben will und welche Ausbildung sie dafür braucht, wenn sie von den meisten Möglichkeiten noch nie gehört hat. Menschen, die analytisch und empathisch sind, haben großartige Voraussetzungen, in der IT richtig erfolgreich zu werden, und ich bin davon überzeugt, dass diese Eigenschaften vielen Frauen zuzuschreiben sind.“