Was hat ein Zahlungsengpass mit Lohndumping zu tun?

Lohndumping ist eine Sache, ein Liquiditätsengpass in einem Unternehmen eine ganz andere – könnte man meinen. Heuer im Sommer belehrte uns der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) jedoch eines Besseren: Er entschied, dass das objektive Tatbild von Lohndumping auch dann erfüllt ist, wenn ein Arbeitgeber die Löhne schlicht nicht zahlen kann (Ra 2016/11/0007). Eine Unterentlohnung liege nach dem Wortlaut des Gesetzes vor, wenn Arbeitnehmer nicht bezahlt bekommen, was ihnen als Grundlohn zusteht, heißt es sinngemäß in der Entscheidung – und die extremste Form der Unterentlohnung sei es, gar nichts zu zahlen.
 
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Was war im konkreten Fall passiert? Eine GmbH hatte im Jahr 2014 einige Wochen lang eine Mitarbeiterin beschäftigt, war ihr aber ihr Gehalt schuldig geblieben. Grund war eine Zahlungsstockung, von der man zunächst hoffte, sie sei nur vorübergehend. Eingestuft war die Mitarbeiterin korrekt, ihre Entgeltforderung wurde auch anerkannt. Die Zahlungsprobleme bekam das Unternehmen aber nicht mehr in den Griff. Im März 2015 ging es in Konkurs.
Praktisch zeitgleich traf den Geschäftsführer der GmbH die zweite kalte Dusche: Von der Bezirkshauptmannschaft Melk fasste er EUR 1.000 Verwaltungsstrafe aus – wegen Lohndumpings. Auch das Landesverwaltungsgericht St. Pölten bestätigte die Strafe. Daraufhin brachte der Geschäftsführer die Sache vor den VwGH. Dieser hob die Strafe zwar auf – aber nur, weil er der Ansicht war, das Verschulden des Geschäftsführers sei nicht hinreichend geprüft worden. Zudem habe man ihm keine Frist gesetzt, um den ausstehenden Lohn nachzuzahlen. Die Causa wanderte also wieder zurück zum Landesverwaltungsgericht. Dieses prüfte nun, wie vom VwGH gefordert, eingehender das Verschulden – und verhängte neuerlich eine Strafe. Zwar nicht mehr 1.000, aber immerhin noch EUR 500, plus EUR 50 für die Verfahrenskosten.

Verhalten ist strafbar. Es sei glaubwürdig, dass der Arbeitgeber den Lohn schlicht nicht zahlen konnte, heißt es sinngemäß in dem neuen Urteil. Deshalb sei das Verschulden des Geschäftsführers gering. Ganz schuldlos sei er jedoch nicht gewesen: In dem Unternehmen habe es kein wirksames Kontrollsystem gegeben, um Engpässe bei der Auszahlung der Löhne zu vermeiden. Und von den Zahlungsstockungen habe der Arbeitgeber gewusst. Trotzdem habe er das Dienstverhältnis aufrechterhalten, bis die Mitarbeiterin von sich aus das Unternehmen verließ. Diese Vorgehensweise habe sich, so das Gericht, als fahrlässig erwiesen. Dass die Behörde dem Geschäftsführer keine Nachfrist gesetzt hatte, spiele keine Rolle, denn wegen des Konkurses hätte er ohnehin nicht zahlen können. Die Tatsache, dass der Geschäftsführer die Mitarbeiterin kollektivvertraglich richtig eingestuft hatte, wertete das Gericht lediglich als Milderungsgrund. Was bedeutet das nun aber für andere Unternehmer und Geschäftsführer? Wer Mitarbeiter weiterbeschäftigt, obwohl die Auszahlung ihrer Löhne nicht gesichert ist, kann sich offenbar tatsächlich strafbar machen. Zwar bekommt man eventuell noch eine Frist für die Nachzahlung, aber wenn der Liquiditätsengpass anhält, ist auch diese Chance auf Straffreiheit vertan.
 
Unternehmer im Dilemma. Das Dilemma, in das man bei Zahlungsstockungen gerät, bekommt damit eine zusätzliche Dimension – und das ganz besonders, wenn das Problem lösbar erscheint. Etwa, weil es durch den Zahlungsausfall eines wichtigen Kunden verursacht wurde, die Auftragsbücher aber gut gefüllt sind. Will man das Unternehmen retten, wird man versuchen, den Betrieb weiterzuführen (wobei die Löhne der Mitarbeiter im Extremfall durch den Insolvenzentgeltfonds abgesichert sind). Jetzt ist aber klar, dass ein solches Verhalten, wenn die Sache schiefgeht, unter Lohndumping fallen kann. Die Strafen dafür können empfindlich ausfallen: Haben mehr als drei Arbeitnehmer ihren Lohn nicht bekommen, drohen pro betroffenem Mitarbeiter EUR 2.000 bis 20.000 Geldstrafe, im Wiederholungsfall EUR 4.000 bis 50.000.
 
Schwerwiegende Folgen. Bleibt die Frage, ob der Gesetzgeber das wirklich so gewollt hat. Denn an sich soll das Lohndumpingverbot ja verhindern, dass Mitarbeiter zu Hungerlöhnen eingestellt werden – um das Abstrafen von Unternehmern, denen schlicht das Geld ausgegangen ist, ging es nach den ursprünglichen Intentionen nicht. In einer Insolvenzsituation darf man zudem gar keine Zahlungen mehr leisten. Soll demjenigen, der sich daran hält, tatsächlich nach einer anderen Vorschrift eine Strafe drohen? Oder soll man gezwungen sein, schon beim Auftreten erster Schwierigkeiten die Mitarbeiter freizusetzen? Abgesehen von den Folgen für den Arbeitsmarkt, hieße das: Es gäbe kaum mehr eine Chance, ein in Schieflage geratenes Unternehmen zu retten.
 
Strafe als Selbstzweck. Diesen gordischen Knoten kann nur der Gesetzgeber entwirren. Auf einem anderen Blatt steht aber, ob Verwaltungsbehörden wirklich jede Möglichkeit zu strafen, die der Gesetzeswortlaut hergibt, auch ausschöpfen müssen. Dr. Hans-Georg Kantner, Insolvenzexperte beim KSV1870, wirft eine grundsätzliche Frage auf: „Wie geht die österreichische Verwaltung mit österreichischen Unternehmern um?“ Was er vermisst, ist eine Besinnung auf deren Servicecharakter. Zu diesem gehört unbestritten auch die Durchsetzung des Rechts – aber, so Kantner, „als Dienstleistung für die Gesellschaft, nicht als Selbstzweck“. Dass in einem Fall wie diesem überhaupt eine Strafe verhängt wurde, zeige, dass bei Behörden „immer noch hoheitliches Denken vorherrscht“.
 
Die Falschen am Werk? Hinterfragen könnte man auch, ob es der Weisheit letzter Schluss ist, die Verwaltungsgerichte, die behördliche Entscheidungen überprüfen, zum Großteil mit ehemaligen Verwaltungsbeamten zu besetzen. Was dafür spricht, ist deren hohe Fachkenntnis – aber identifizieren sich manche vielleicht noch zu sehr mit ihrer früheren Rolle? Es gehe auch darum, den Bezug zur allgemeinen Rechtsordnung herzustellen, sagt Kantner. „In anderen Ländern kommt man, wenn man mit einer Verwaltungsstrafe nicht einverstanden ist, vor ein echtes Gericht.“ Formal ist das auch in Österreich so. Aber faktisch? Nach einer Bestrafung wie dieser könnte man fast daran zweifeln.

Text: Christine Kary