Aufschwung mit Fragezeichen

Ob sich die begonnene Konjunkturerholung in Österreich 2018 fortsetzt, steht noch in den Sternen: Zwar läuft der Exportmotor auf Hochtouren, doch der private Konsum stagniert, und die meisten Unternehmen sind bei Investitionen noch äußerst vorsichtig.


Die Freude bei Wirtschaftsforschern ist groß – denn die Trendwende ist vollbracht: Seit 2013 lag das Wirtschaftswachstum in Österreich bei bloß knapp über 1 % pro Jahr und damit deutlich unter dem Durchschnitt der Eurozone. Heuer wird mit Sicherheit eine Zwei vor dem Komma stehen – vielleicht sogar mehr. Die Nachfrage nach Waren made in Austria lässt den Exportmotor auf Hochtouren laufen, was, verbunden mit der guten internationalen Konjunktur und den anhaltend niedrigen Zinsen, für eine „deutliche Stärkung der Wachstumskräfte“ sorgt, wie Ewald Nowotny, Gouverneur der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), sagt. Grund genug für die OeNB, die Prognose für das BIP-Wachstum für 2017 von 2,2 auf 2,75 % zu erhöhen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) ist noch eine Spur optimistischer und sieht das BIP-Plus im laufenden Jahr bei 2,8 %. Das Institut für Höhere Studien (IHS) erwartet zwar mit 2,6 % BIP-Plus etwas weniger, spricht aber von „ausgezeichneten Konjunkturaussichten“.
 
Der Zenit scheint erreicht. 2017 ist allerdings fast schon wieder vorbei – wichtiger ist daher die Frage, ob die Erholung weitergeht. Und für 2018 lässt der Optimismus schon etwas nach: Allein das Wifo geht im kommenden Jahr von einem anhaltend hohen BIP-Zuwachs aus. Die OeNB ist vorsichtiger, und laut dem IHS wird sich der Aufschwung sogar wieder auf 2,1 % eintrüben – denn die Unsicherheit bei den Unternehmen ist noch zu hoch. Auch für Walter Pudschedl, Ökonom UniCredit Bank Austria (BA), dürfte der Zenit des Aufschwungs erreicht sein. „Das Wachstumstempo wird vorerst nicht mehr weiter zunehmen“, sagt er. Denn die gute Stimmung beginnt sich in einigen Branchen schon wieder einzutrüben: Der Export ist nicht alles – und die Inlandsnachfrage stagniert. „Während sich am Bau die Stimmung ein wenig verbessert hat, nahm der Optimismus im Dienstleistungssektor zu Herbstbeginn spürbar ab“, sagt Pudschedl. „Auch in der Industrie werden die Geschäftsaussichten nicht mehr ganz so positiv wie im Sommer eingeschätzt.“ Insgesamt soll sich das BIP-Wachstum laut BA daher von heuer 3 % im kommenden Jahr auf 2,1 % einbremsen.
 
Export ist nicht alles. Tatsächlich reicht für eine wirkliche Hochkonjunktur der starke Export allein nicht aus. Damit der Aufschwung selbsttragend wird, braucht es auch andere Zutaten in der BIP-Suppe (siehe Kasten). Und vor allem der private Konsum lässt aus – denn die Reallöhne stagnieren, und die Lage am Arbeitsmarkt bleibt angespannt. Heuer wird der schrittweise Anstieg der Arbeitslosigkeit erstmals seit 2011 zwar etwas eingebremst, sagt Pudschedl. „Im Vergleich zur Stärke der Konjunkturerholung ist der Rückgang der Arbeitslosenquote aber relativ gering.“ Und auch 2018 drängen viele wenig qualifizierte Arbeitskräfte neu auf den Arbeitsmarkt. Die Politik versucht, mit dem Beschäftigungsbonus entgegenzusteuern und den Arbeitsmarkt anzukurbeln. Fakt bleibt aber: Neue Jobs schaffen nicht Politiker, sondern Unternehmen. Und auch der Blick auf die Insolvenzstatistiken des KSV1870 belegt eindeutig, dass der Aufschwung noch nicht von einer steigenden Investitionstätigkeit der Unternehmen kommt – denn bei einem investitionsgetriebenen Wachstum wären höhere Insolvenzzahlen zu beobachten.
 
Jetzt wirtschaftspolitische Maßnahmen setzen. Was den Konjunkturverlauf betrifft, bleiben die produzierenden Betriebe noch skeptisch: „Von einem breiten Aufschwung zu sprechen wäre noch verfrüht – dafür ist der Preisdruck zu hoch und die Unsicherheit zu stark“, sagt etwa Gernot Brandweiner, Geschäftsführer des Verbands der Österreichischen Beton- und Fertigteilwerke (VÖB). „Der Aufschwung ist zwar auch bei Unternehmen spürbar, der höhere Umsatz ist aber sehr oft die Folge von Aufträgen, die schon länger in der Pipeline waren, aber aus verschiedenen Gründen zurückgehalten wurden.“ Ob sich die positive Entwicklung fortsetzt, bleibt daher abzuwarten – „und wird wesentlich von den wirtschaftspolitischen Schwerpunkten der nächsten Bundesregierung abhängen“, sagt der VÖB-Geschäftsführer. Denn dass viele Unternehmen zehn Jahre nach Ausbruch der Wirtschaftskrise tatsächlich erstmals das Gefühl haben, dass es wieder aufwärts geht, ist begrüßenswert. „Und dieser Optimismus bei den Unternehmen ist ein Appell an die nächste Bundesregierung, den Aufschwung nicht zu gefährden, sondern die seit vielen Jahren geforderten wirtschaftspolitischen Maßnahmen tatkräftig umzusetzen“, meint Brandweiner. „Die Hochkonjunkturphase sollte dringend für Strukturreformen genutzt werden“, rät auch IHS-Direktor Martin Kocher zu Maßnahmen zur Erhöhung der Produktivität. Die Mittel müssten aber effizienter als in der Vergangenheit eingesetzt werden. Zumal bereits die Ratingagentur Standard & Poor’s warnte: Wenn die neue Regierung das Defizit erhöht, ist Österreichs Rating in Gefahr – was über steigende Risikokosten jedes Unternehmen, vom KMU bis zum Großkonzern, spüren würde. Und wenn Finanzierungen teurer werden, ist der Aufschwung wieder dahin – und das steile BIP-Wachstum 2017 bleibt nur eine schöne Erinnerung.

Die BIP-Zutaten
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst die Produktion von Waren und Dienstleistungen im Inland nach Abzug aller Vorleistungen. In die Berechnung fließen die Staatsausgaben, der private Konsum sowie alle Investitionen des öffentlichen und privaten Sektors ein sowie der Außenbeitrag aus den Exporten abzüglich der Importe. Das BIP kennt keine Ethik – sogar die Schattenwirtschaft wird in den meisten Ländern (in Österreich seit 2009) in der Kennzahl berücksichtigt, wenn auch die Statistik Austria hier naturgemäß auf Schätzungen angewiesen ist. So umfasst Österreichs BIP auch Bereiche wie Zigarettenschmuggel, Prostitution und Drogenhandel im Wert von etwa EUR 500 Mio. pro Jahr. Bereits das zeigt: Die reine BIP-Kennzahl sagt noch wenig über den Zustand einer Volkswirtschaft aus. So könnte ein Wachstum alleine auf die Kappe des privaten Konsums und der steigenden Staatsausgaben gehen, wie beispielsweise in Griechenland gesehen. Dann folgt auf eine Phase des Wachstums meist ein herber Einbruch oder eine Rezession.
 
Text: André Exner

Hier können Sie diesen Artikel im Forum 05/2017 nachlesen.