Stefan Pierer, Präsident der Industriellenvereinigung OÖ, spricht über die großen Herausforderungen 2023, einen aus dem Ruder geratenen Energiemarkt und den anhaltenden Arbeitskräftemangel.
Interview: Stephan Scoppetta
Wie ist das schwierige Jahr 2022 für die heimische Industrie gelaufen?
Stefan Pierer: Es war ein herausforderndes Jahr, aber die Ergebnisse zeigen, dass es für die heimische Industrie besser gelaufen ist als erwartet. Bedingt durch die Ausnahmesituation in der Pandemie, hatten viele Unternehmen noch Auftragsüberhänge, die erst 2022 abgebaut werden konnten. Die Ergebnisse 2022 werden also bei vielen Unternehmen über den Erwartungen liegen.
Das nächste Jahr steht schon vor der Tür. Wird 2023 leichter werden?
Nein, ganz im Gegenteil. Mit den steigenden Energiepreisen und der enormen Inflation hat sich der Ausblick eingetrübt. Wir von der Industriellenvereinigung OÖ sehen den Peak der Inflation erst zwischen März und April erreicht, und das bei einer Inflationsrate von 12 bis 14 %. Bei diesen Werten können wir nur hoffen, dass die Inflation sich dann schnell wieder nach unten bewegt. Aber bis Ende 2023 werden wir die 5-%-Marke noch nicht unterschritten haben. Die Themen Energie und Inflation werden uns die nächsten Jahre weiterhin begleiten, und dafür müssen wir uns rüsten.
Das heißt, auch bei den Energiepreisen gehen Sie nicht davon aus, dass wir diese 2023 im Griff haben werden?
Aktuell sieht es nicht danach aus, dass wir diese in den Griff bekommen werden. Das Einzige, was hier helfen würde, wäre ein Nachfragerückgang, sodass die Spotpreise bei den Energieträgern wieder sinken. In der Energiepolitik erleben wir leider ein Totalversagen der Europäischen Union. Wenn Energie als Sanktionsmittel eingesetzt wird, sollte man sich vorher überlegen, welche Folgen das haben wird. Diese Diskussion führte man aber erst danach. Dann war die Energiepreisexplosion nicht mehr zu stoppen. Nur die einzelnen Länder der Europäischen Union konnten Schlimmeres verhindern.
Bei den Kollektivvertragsverhandlungen der Metalltechnischen Industrie hat man sich auf eine Erhöhung der Ist-Löhne um 7,4 % geeinigt. Das wirkt sich nun auf alle Branchen aus. Welche Folgen werden diese hohen Lohnsteigerungen für die Unternehmen haben?
Die Preise und die Löhne steigen, und das werden die Unternehmen wiederum in Form höherer Preise weitergeben. Wir kommen hier in eine gefährliche Lohn-Preis-Spirale, die die Inflation weiter anheizt. Das bedeutet aber auch, dass die Europäische Zentralbank die Zinsen vielleicht noch weiter anhebt, und das wird sich sicherlich bremsend auf die Unternehmen auswirken. Es kann also durchaus sein, dass wir 2023 im zweiten oder dritten Quartal eine Rezession sehen werden.
Könnte sich, da sich der wirtschaftliche Ausblick eintrübt, vielleicht das Problem rund um den Arbeitskräftemangel entschärfen?
Davon kann keine Rede sein, denn die Konjunktur kühlt zwar rasant ab, aber der Arbeitsmarkt ist dermaßen leergefegt, dass auch eine Rezession keine größeren Auswirkungen haben wird. Trotz der schwierigen Rahmenbedingungen in den letzten Jahren haben wir noch immer mehr als 250.000 offene Stellen in Österreich.
Wo liegt die Ursache für diesen riesigen Mangel an Arbeitskräften?
Die demografische Keule trifft die heimischen Unternehmen hart. Jährlich scheiden 60.000 Personen aus dem aktiven Erwerbsleben aus und gehen in Pension. Gleichzeitig ist die österreichische Wirtschaft in den letzten Jahren enorm gewachsen. Deshalb setzt sich die Industriellenvereinigung dafür ein, dass jene Menschen, die bereit sind, die Extrameile zu gehen, auch steuerlich entlastet werden, damit ein Mehr an Leistung auch zu mehr netto im Geldbörserl der Arbeitnehmer führt.