Trotz Öffnungen: Eine breit angelegte Wirtschaftserholung erwarten heuer nur mehr Optimisten. Viele Unternehmen setzten aufgrund der anhaltenden Unsicherheit darauf, ihre Strategie zu überdenken – oder durch Zukäufe und Investitionen in neue Geschäftsmodelle aus der Krise herauszuwachsen.
Text: André Exner
Wer will mich? Infolge der Pandemie werden nicht nur Innenstadthotels, Kunstsammlungen oder das sprichwörtliche „Familiensilber“ zu Geld gemacht, sondern auch Unternehmen. „Wir beobachten eine Konsolidierung am Markt“, sagt Deloitte-Expertin Orsolya Hegedüs – die Partnerin bei Deloitte Österreich leitet seit mehr als 15 Jahren nationale und internationale Projekte im Bereich M&A Transaction Services und ist auf grenzüberschreitende Transaktionen spezialisiert. „Statistiken zeigen einen deutlichen Anstieg der Übernahmeaktivitäten im ersten Quartal 2021 – und dabei sind noch gar keine Restrukturierungsfälle oder ‚Fire Sales‘ anzutreffen.“ Denn durch M&A können sich die kapitalstarken Corona-Profiteure unter den Unternehmen jahrelange Entwicklungsarbeit ersparen oder eine organische Wachstumsphase abkürzen, um neue Märkte zu erobern oder ihre Wertschöpfungskette zu vertiefen.
Ungewisse Zukunft. Dass der Exit aufgrund der jüngsten Vergangenheit zum attraktiven Szenario werden könnte, wäre zwar vorstellbar, doch Österreichs Unternehmer geben sich vielmehr kämpferisch. Trotz über einem Jahr Pandemie sind vier von fünf Unternehmen überzeugt, das Jahr 2021 erfolgreich zu meistern. Und das, obwohl sich im Vergleich zum Frühjahr 2020 die Geschäftslage der Unternehmen laut dem aktuellen Austrian Business Check des KSV1870 verschlechtert hat. Inzwischen sagen 27 % der Befragten, dass ihre Geschäftslage negativ ist, während knapp die Hälfte die eigene Geschäftslage mit Sehr gut oder Gut bewertet. Im Vergleich zur zweiten Jahreshälfte 2020 zeigt hier die Tendenz jedoch wieder leicht nach oben.
Je nach Branchenstruktur in den einzelnen Bundesländern variierte die Stärke des Wirtschaftseinbruchs.
Rückkehr des Optimismus. Auch wenn das alles für eine echte Aufbruchsstimmung noch zu wenig sein mag, kehrt zumindest der Optimismus in die heimischen Betriebe zurück. Denn laut KSV1870 Umfrage blicken drei von vier Betrieben positiv in die Zukunft. Und das, obwohl sich die Umsätze bei mehr als der Hälfte der Unternehmen während der Corona-Krise rückläufig entwickelt haben – bei einem Drittel sogar sehr stark. Im Gegensatz dazu sind diese bei knapp einem Viertel gestiegen. Zuwächse verzeichnen neben dem Bereich Land-/Tier-/Forstwirtschaft auch die holzverarbeitende Industrie und die Bauwirtschaft. Textilhandel, Freizeitwirtschaft und Gastronomie indes stellen sich auf eine längere Durststrecke ein. „Es wird noch längere Zeit dauern, bis sich die Betriebe nach dem Lockdown wirtschaftlich erholen“, gibt etwa selbst Robert Seeber, Obmann der Bundessparte Tourismus und Freizeitwirtschaft in der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ), zu. Er hofft, dass Unterstützungsmaßnahmen von der Kurzarbeit über den Umsatzersatz bis zur Investitionsprämie weitergeführt werden – etwa, um Hotels und Restaurants die Möglichkeit zu geben, die umsatzschwachen Monate für eine Verschönerung der Räumlichkeiten oder eine Digitalisierung ihres Business zu nutzen.
Regionale Unterschiede. Die schlechte Stimmung könnte eine Folge des „Annus horribilis“ 2020 sein, meint auch UniCredit-Bank-Austria-Chefökonom Stefan Bruckbauer: „Je nach Branchenstruktur in den einzelnen Bundesländern variierte die Stärke des Wirtschaftseinbruchs. Am stärksten waren die Tourismushochburgen im Westen von den Pandemie-Maßnahmen betroffen, während die Regionen mit höherem Industrieanteil beziehungsweise größerem öffentlichen Sektor etwas besser durch die Krise kamen.“ Heuer dürften alle Bundesländer auf den Wachstumspfad zurückkehren: Aufgrund der aufgehellten Konjunktur im ersten Quartal 2021 und der besseren Stimmung unter anderem wegen der Öffnungsschritte im Mai und des Impffortschritts rechnen die Ökonomen der UniCredit Bank Austria mit einem Wirtschaftswachstum für heuer von real 3,2 %.
Um zu erkennen, welchen Mehrwert die Digitalisierung für ein Unternehmen bietet, hat es offensichtlich die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gebraucht.
Lange Durststrecke möglich. Insgesamt sind das gute Nachrichten. Zugleich weist Bruckbauer aber darauf hin, dass der Grad der Erholung sehr unterschiedlich ausfallen wird. Die industrieorientierten Bundesländer mit einer hohen Exportquote wie Oberösterreich und die Steiermark profitieren von der besseren globalen Konjunktur, während Tirol und Salzburg nach dem Totalausfall der vergangenen Wintersaison nur relativ schwach wachsen. Alles in allem dürfte im Jahr 2021 kein einziges Bundesland das Vorkrisenniveau erreichen. Und auch in den weniger von der Pandemie getroffenen Branchen gilt die Devise: Wer nichts tut, hat schon verloren. Denn für viele stellt sich 2021 schmerzhaft heraus, dass in Zeiten von Zukunftsängsten und steigenden Sparquoten der privaten Haushalte Wirtschaft nicht immer eine Win-win-Situation sein muss. So können hohe Wachstumsraten bei Corona-Profiteuren wie großen Online-Händlern, Heimwerker-Ketten oder Apotheken, nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele Branchen weiter um ihre Umsätze bangen. Vor allem, weil EPU und KMU in Österreich 90 % der Unternehmen stellen, aber gerade der Mittelstand in den besonders notleidenden Branchen überrepräsentiert ist.
Nachdenken hilft. Immerhin haben die Staatshilfen geholfen, das Rad am Laufen zu halten, heißt es von Ökonomen wie von Unternehmern. „Die von der österreichischen Bundesregierung zur Verfügung gestellten Corona-Hilfspakete waren bei der Bewältigung der Krise äußerst hilfreich und haben das Unternehmen und die gesamte Belegschaft bei der kurzfristigen Krisenbewältigung sehr gut unterstützt“, meint etwa Robert Machtlinger, CEO des Luftfahrt-Zulieferers FACC, der mit einem Umsatzminus im zweistelligen Prozentbereich kämpft. Viele Unternehmen haben die Mittel lediglich zur Verlustfinanzierung verwendet – FACC hingegen investiert in die Zukunft, in Digitalisierung, aber auch in Effizienz und organisches Wachstum, um die Chancen der erwarteten Marktkonsolidierung zu nützen. Das sollten auch andere machen, meint Deloitte-Expertin Hegedüs: „Ein Fokusthema muss der interne Portfolio-Review sein. Welche Sparten passen nicht mehr zur Strategie, welche Geschäftsmodelle sind in einer Post-Corona-Welt zukunftsrelevant und sinnvoll?“
Digitalisierung nützen. Vor allem die Umsetzung einer Digitalstrategie steht inzwischen auch bei kleineren Unternehmen auf der To-do-Liste – zunächst aus der Not heraus, jetzt aber, weil sie unabdingbar für künftige Effizienzsteigerung und Wachstum ist. Das bestätigt auch der Austrian Business Check des KSV1870: Waren vor der Corona-Krise zwei Drittel der Betriebe ohne digitale Agenda unterwegs, so hat sich das nun schlagartig geändert. Aktuell haben 49 % der Betriebe eine digitale Agenda fix verankert respektive in Planung. Zusätzlich bestätigt etwa ein Drittel jener Unternehmen, die aktuell ohne „digitale Roadmap“ agieren, zumindest vereinzelt zu digitalisieren. „Um zu erkennen, welchen Mehrwert die Digitalisierung für ein Unternehmen bietet, hat es in Österreich offensichtlich die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg gebraucht“, urteilt Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG. „Immerhin ist während der Krise ein entscheidender Schritt in Richtung einer digitalen Zukunft gelungen – spät, aber doch.“
Blick nach vorne. Auch FACC setzt auf die Vorteile der Digitalisierung: „Eine Rückkehr auf den Wachstumspfad erachten wir ab dem Jahr 2022 für möglich. Das Niveau, das wir vor der Corona-Krise hatten, werden wir aus heutiger Einschätzung aber erst in vier bis fünf Jahren erreichen“, resümiert FACC-CEO Machtlinger. Das bestätigt auch die KSV1870 Umfrage: Während lediglich jeder Achte an eine wirtschaftliche Verbesserung im laufenden Jahr glaubt, setzen 39 % große Hoffnungen auf 2022. Ein Viertel ist jedoch weitaus pessimistischer und sagt, dass es der heimischen Wirtschaft frühestens im Jahr 2024 gelingen wird, sich zu erholen.