Wachsen die Schulden über jedes Maß hinaus, dann ist für viele Menschen das Schuldenregulierungsverfahren (Privatkonkurs) der einzige Ausweg. Dabei gelingt 7 von 10 Schuldnern eine Einigung mit ihren Gläubigern (Zahlungsplan), bei der keine Mindestquote vereinbart werden muss. Für alle anderen gibt es das Abschöpfungsverfahren, im Rahmen dessen der Schuldner über einen Zeitraum von 7 Jahren Anstrengungen unternehmen muss und nur das Existenzminimum zur Verfügung hat. Kann er 10 % der Schulden an die Gläubiger bezahlen, hat er Anspruch auf Restschuldbefreiung. Was aber, wenn der Schuldner die 10 %-Marke nicht erreicht? In diesem Fall entscheiden die Gerichte, ob nicht doch eine Restschuldbefreiung zu gewähren ist - um den besonderen Umständen des Einzelfalls gerecht zu werden. KSV1870 Analysen belegen, dass dies in der Praxis durchaus funktioniert. Die Abschaffung der 10 %-Quote lehnt der KSV1870 daher ab. Auch der Vergleich mit Deutschland bestätigt, dass die österreichische Rechtslage zu besseren Ergebnissen führt und zugleich Einzelfälle angemessen berücksichtigt werden.
Nach statistischen Aufzeichnungen des KSV1870 über eine große Zahl von Fällen leisten Schuldner in der Abschöpfung durchschnittlich 10,6 %. Von allen Insolvenzschuldnern eines Jahres ist ca. ein Zehntel nicht in der Lage, durch einen Zahlungplan oder in der Abschöpfung mit mindestens 10 % die Restschuldbefreiung zu erlangen. Für diese Gruppe gibt es die sogenannten Billigkeitsentscheidung des Insolvenzgerichtes. „Es existiert also eine funktionierende Einzelfallprüfung, die in der Praxis zu Entschuldungen unterhalb der 10-Prozent-Quote führt. Daher können wir die Abschaffung der Mindestquote nicht unterstützen. Das wäre ein falsches Zeichen an die Schuldner, während die Gläubiger fast ihre ganze Forderung abschreiben müssten,“ so Dr. Hans-Georg Kantner, Leiter Insolvenz beim KSV1870. „Solche Totalausfälle sind in Deutschland gelebte Praxis. Die deutsche Rechtsordnung kennt keine Mindestquote, weshalb die Schuldner kaum relevante Quoten bzw. Zahlungspläne anbieten und letztlich, nach einer Phase des „Wohlverhaltens“, ohne Zahlungen entschuldet werden. Das Nachsehen haben die Gläubiger.“
Was ist eine Billigkeitsentscheidung?
Es ist eine auf den Einzelfall abgestellte Entscheidung, die in dem einen Fall eine faire und gerechte Lösung herbeiführt und zugleich so begründet wird, dass ein anderer, gleichartiger Fall ebenso entschieden werden kann. Die Entscheidung hat also ein Element an Verallgemeinerungsfähigkeit. Es handelt sich um sachliche Begründungen zur Charakterisierung des Einzelfalles als entschuldungswürdig, daher kann es keine abschließende, sondern nur eine erläuternde Aufzählung geben. Auch bei den im Gesetz genannten Fällen handelt es sich nur um Beispiele. Eine mindestens zu erreichende Quote nennt das Gesetz nicht. Es werden aber die Billigkeitsgründe schwerer wiegen müssen, je weiter das Ergebnis sich von 10 % entfernt.
Tabelle: KSV1870 analysiert einzelne Fälle
Die beistehende Tabelle zeigt eine Auswahl an Billigkeitsentscheidungen in Verfahren, in denen der KSV1870 als Treuhänder fungierte. Alle Details zu den Fällen finden Sie auch unter www.ksv.at/restschuldbefreiung. Folgende Erkenntnisse lassen sich ableiten:
- Mit einer Ausnahme sind es durchwegs Verfahren mit deutlich überdurchschnittlichen Verbindlichkeiten, was sich ganz augenscheinlich auch in den Entscheidungen der Gerichte niedergeschlagen hat.
- Fast ausnahmslos gewähren die Gerichte die Restschuldbefreiung sofort nach 7 Jahren und es kommt nur fallweise zu einer Verlängerung oder aufgetragenen zusätzlichen Zahlungen an die Gläubiger.
- Zuweilen haben sich die Gläubiger nicht explizit gegen eine Restschuldbefreiung ausgesprochen. Trotzdem hat das Gericht die Pflicht, die vorgetragenen Billigkeitsgründe zu bewerten und ihre Wirkung zu begründen.
- Es ist davon auszugehen, dass diese Entscheidungen beispielhaft für eine deutlich höhere Zahl an Billigkeitsentscheidungen sind.
Der OGH hat mehrfach ausgesprochen, dass hohe Schulden alleine noch keinen Billigkeitsgrund darstellen können. Das ist richtig, denn die Erteilung der Restschuldbefreiung setzt jedenfalls eine Anstrengung und Leistung des Schuldners voraus. Es ist daher kein Argument, dass es für den Gläubiger keinen Unterschied mache, ob er nun ein Prozent oder kein Prozent erhält. Es mag der wirtschaftlichen Realität entsprechen, dass wohl jeder Gläubiger seine Forderungen in einem solchen Fall zur Gänze abgeschrieben haben wird. Ob jetzt über einen langen Zeitraum 1, 2 oder 3 % an Zahlung einlangen, ist wirtschaftlich im Einzelfall möglicherweise unerheblich. Tatsächlich ist es nämlich die Leistung des Schuldners, über 7 Jahre nach seinen Möglichkeiten und Kräften Geld zu verdienen, die eine Erteilung der Restschuldbefreiung gestattet. Einen Prozentsatz allgemein zu benennen, unter dem es keinesfalls gehen kann, dürfte unmöglich sein.