Aufgrund der europäischen Fluggastrechte-Verordnung waren Fluglinien bislang regelmäßig mit Ausgleichsleistungen konfrontiert. Diese Verordnung bezieht sich jedoch nur auf Fluggäste und nicht auch auf Dritte.
Sachverhalt: Ein litauischer Arbeitgeber kaufte über ein Reisebüro Flugtickets, damit zwei seiner Arbeitnehmer von Vilnius (Litauen) via Riga (Lettland) und Moskau (Russland) nach Baku (Aserbaidschan) reisen konnten, wobei die Flüge zwischen Vilnius, Riga und Moskau von der Fluglinie Air Baltic durchgeführt wurden. Weil der Anschlussflug von Riga in Moskau mit Verspätung ankam, konnten die Arbeitnehmer den Flug nach Baku nicht erreichen. Air Baltic buchte die Mitarbeiter auf den nächsten Tag um, weshalb diese das Ziel im Ergebnis mit einer Verspätung von rund 14 Stunden erreichten. Aufgrund der Verlängerung der Dienstreise musste der Arbeitgeber gemäß den litauischen Bestimmungen zusätzliche Reisekosten und SV-Beiträge iHv insgesamt ca EUR 340 bezahlen. Diese erhöhten Kosten machte der Arbeitgeber als Schadenersatzforderung gegen Air Baltic geltend. Air Baltic argumentierte, dass eine Haftung nur gegenüber den reisenden Personen und nicht gegenüber anderen, insbesondere juristischen Personen bestehe. Der EuGH sprach aus, dass Air Baltic die zusätzlich angefallenen Kosten dem litauischen Arbeitgeber zu bezahlen hat.
Entscheidung: Gemäß Art 19 des Übereinkommens von Montreal („MÜ“) hat der Luftfrachtführer „den Schaden zu ersetzen, der durch Verspätung bei der Luftbeförderung von Reisenden, Reisegepäck oder Gütern entsteht“. Die Haftung ist „je Reisenden“ mit einem Betrag von rund EUR 5.100 (Art 22 MÜ) beschränkt. Der EuGH kam zum Ergebnis, dass Art 19 MÜ nicht nur auf den Schaden des tatsächlich Reisenden, sondern auch – wie im vorliegenden Fall – auf Personen in ihrer Eigenschaft als Arbeitgeber anzuwenden ist. Der Haftungshöchstbetrag steht dem Arbeitgeber diesbezüglich für jeden Arbeitnehmer gesondert zu. Air Baltic musste daher ca EUR 340 dem Arbeitgeber ersetzen.
Anmerkung: Aufgrund der europäischen Fluggastrechte-Verordnung (VO [EG] Nr. 261/2004) waren Fluglinien bislang regelmäßig mit Ausgleichsleistungen von bis zu EUR 600 pro Reisenden im Fall von Verspätungen konfrontiert. Die Fluggastrechte-Verordnung bezieht sich jedoch grundsätzlich nur auf Fluggäste und nicht auch auf Dritte (wie zB Arbeitgeber). Bei Dienstreisen drohen Fluglinien aufgrund der Entscheidung des EuGH iZm dem MÜ in Zukunft höhere Entschädigungsbeträge, wobei der Arbeitgeber im Rahmen des MÜ – im Gegensatz zur Fluggastrechte-Verordnung – aber einen konkreten Schaden nachweisen muss. Inwieweit unter diesen Schadensbegriff in Zukunft auch allenfalls andere angelaufene Kosten (zB iZm Verzögerungen eines Projekts etc) fallen können, bleibt abzuwarten. Zu beachten ist, dass Fluglinien die Haftung nach Art 19 MÜ – wie jene nach der Fluggastrechte-Verordnung – grundsätzlich nicht beschränken oder ausschließen können (Art 26 MÜ).
(EuGH 17.2.2016, C-426/19, Air Baltic Corporation)
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