Autor: Jürgen Gebauer, KSV1870 Insolvenzexperte
Ein erster Bericht eines Insolvenzverwalters passt in der Regel auf einige A4-Seiten. Im Jahr 2013 hielten Geschädigte auf einmal einen Roman in Händen: Der erste Situationsbericht der Alpine Bau umfasste 170 eng bedruckte Seiten. Bereits das zeigt deutlich, dass die Pleite des einstmals zweitgrößten Baukonzerns in Österreich kein Standardfall war. Vielmehr umfasste die mit vier Milliarden Euro an angemeldeten Verbindlichkeiten größte Insolvenz in der Geschichte der Zweiten Republik viele Baustellen, die zum Teil heute noch nicht abgearbeitet sind.
Ausfall ohne Vorwarnung
2008 ausgebrochen, war die Wirtschaftskrise fünf Jahre später in Österreich eigentlich schon verdaut: Die Konjunktur war wieder erstarkt, auch Baukonzerne, die zuvor auf Staatshilfen angewiesen waren, schrieben wieder Gewinne. Doch mancherorts schlummerten noch Tretminen in den Büchern. Neuen Besen sagt man nach, dass sie gut kehren. Und so lässt ein neuer Manager der Alpine Gruppe eine Sonderprüfung der Großprojekte vornehmen. Diese Prüfung ergibt, dass es einen Wertverlust in der Bilanz von bis zu EUR 400 Mio. gebe und die österreichische Gruppe daher massiv überschuldet sei. Lange lässt sich dieses Wissen nicht vor der Öffentlichkeit verbergen und so folgen der Meldung hektische Verhandlungen mit Banken und anderen Financiers, die im Februar 2013 mit einer außergerichtlichen Vereinbarung abgeschlossen werden, die sich aber schon im Juni als nicht umsetzbar erweist. Die spanischen Eigentümer drehen den Geldhahn zu und am 19. Juni 2013 ist das Schicksal dieses Baukonzerns besiegelt.
Verwertung statt Sanierung
Was war geschehen? Ursprünglich ein mittelständisches Bauunternehmen aus Salzburg, wurde Alpine nach dem Einstieg des spanischen Bauriesen FCC zum Global Player und nahm Aufträge von Norwegen bis Singapur an. Die spanischen Eigentümer wollten aus der Alpine Österreich einen mitteleuropäischen Baugiganten schaffen. Kein Projekt erschien zu groß, keine Herausforderung zu hoch. In Angesicht der Vielzahl von ausländischen Verlustprojekten waren alle Pläne aus dem Februar 2013 im Grunde leere Hoffnung gewesen, aber kein taugliches Konzept. Unter dieser Prämisse war das Unternehmen auch in der Insolvenz nicht fortführbar und es fand sich auch niemand, der es hätte kaufen wollen.
Arbeiten unter Hochdruck
Die Verwertung der Alpine-Assets verlief in Form eines vom Insolvenzverwalter gemeinsam mit Gläubigerausschuss und Gerichten erarbeiteten strukturierten Verwertungsprozesses; unter enormem Zeitdruck, denn es galt, Stillstand an vielen Baustellen zu verhindern bzw. zu verhindern, dass dort die Gerätschaften „Beine bekamen“.
"Statt zum Totalausfall führte der professionelle Verwertungsprozess zwischenzeitig zu einer bereits ordentlichen Quote." Jürgen Gebauer
Ein Baukran für den Meistbieter
Bagger, Generatoren, Bohrhämmer: Das im Zuge des Verwertungsprozess abzuarbeitende Anlagevermögen umfasste rund 40.000 Positionen; bei Insolvenzen in Österreich bis dato unerhört. Viele Gerätschaften mit dem gelben Alpine-Logo wurden über eine Industrieauktion im Internet angeboten – es gab selbst Straßenwalzen oder Drehturmkräne zu einem Bruchteil des Neupreises zu kaufen. Der Alpine-Fuhrpark allein umfasste Hunderte Fahrzeuge vom schrottreifen Kleinlaster bis zu glitzernden Vorstandslimousine. Das Interesse war groß, und weil neben Beteiligungen auch ganze Baustellen von Wettbewerbern wie Porr und Strabag übernommen wurden, konnte sogar der Großteil der Jobs erhalten werden.
Die Anleihen – bloß ein Häufchen Asche
Es gab in Österreich ein Unternehmen, das trug den eindrucksvollen Namen „Alpine Holding GmbH“ und war Emittentin von drei Anleihen im Umfang von immerhin EUR 290 Mio. Diese sog. „Holding“ war jedoch nur eine Zwischengesellschaft zwischen FCC und Alpine Bau und konnte an Vermögen praktisch nur die (mittelbaren) Anteile an der Alpine Bau GmbH vorweisen. Das Geld aus den drei Anleihen wurde jeweils an die Alpine Bau GmbH weitergereicht und am Tag der Insolvenz besaß diese sog. „Holding“ noch genau EUR 8.000 an freiem Vermögen. Allerdings gab es tausende geschädigte Anleger, die ihre Forderungen im Konkurs anzumelden hatten. Der KSV1870 vertritt 2.000 davon und stellte dem Masseverwalter ein substanzielles Darlehen für die Führung nötiger Prozesse zur Verfügung. So war es möglich, dieses wichtige Insolvenzverfahren überhaupt in Gang zu bringen. Die Prozesse dauern noch an und einzig von deren Ergebnis ist ein Erfolg für die Geschädigten der Holding GmbH denkbar.
Langer Kampf um die Quote
Mehrere Verfahren mit Tausenden Gläubigern, hoher Beratungsaufwand, Milliardenverbindlichkeiten: Der Fall Alpine war für alle Beteiligten ein historischer Kraftakt. Er zeigt aber auch, wie gut die Kooperation von Insolvenzverwaltern, Gericht und Gläubigerschutzverbänden in Österreich funktioniert: Statt eines Totalausfalls führte der professionelle Verwertungsprozess besonders rasch zu einer ordentlichen Quote. Ein Anfechtungspotenzial in dreistelliger Millionenhöhe konnte rasch verglichen werden. Auch Ansprüche gegen die Konzernmutter konnten im Rahmen eines Gerichtsprozesses zwischenzeitig im Vergleichswege für die Insolvenzmasse vereinnahmt werden.
Und so flossen über drei Zwischenverteilungen im Sommer 2016, Sommer 2018 und im Frühjahr 2021 bereits 14 Prozent an die Gläubiger der Alpine Bau GmbH und bis zum Abschluss des Verfahrens ist mit einer für einen Baukonzern doch beachtlichen Gesamtquote von zumindest rund 15 Prozent zu rechnen. Noch immer laufen Klagen; gegen Wirtschaftsprüfer und Manager.