Es ist besser, das Unternehmen mit 80 % zu entschulden, als dieses später komplett liquidieren zu müssen.
Autor: Ricardo-José Vybiral
Es wirkt schon fast wie ein Fehler, wenn wir uns die Insolvenzstatistiken der vergangenen Wochen anschauen. Seit Beginn der Corona-Krise in Österreich, am 16. März 2020, sind die Firmenpleiten nicht gestiegen, sondern genau das Gegenteil ist passiert: Die Zahl der Unternehmensinsolvenzen ist gegenüber dem Normalbetrieb auf rund 50% gesunken. Ja, Sie lesen richtig! Aktuell haben wir tatsächlich die obskure Situation, dass wir in dieser mehr als herausfordernden Situation weniger Insolvenzen haben als in Normalzeiten – zumindest offiziell. Und dafür gibt es zahlreiche Gründe. Drei davon möchte ich besonders hervorheben:
- Die österreichischen Finanzbehörden sowie die Gesundheitskassen stellen nach derzeitigem Stand bis 30. Juni 2020 keine Insolvenzanträge – sie sind aber in Normalzeiten die Hauptantragssteller.
- Zudem wurde die Frist für Insolvenzanträge, etwa bei Zahlungsunfähigkeit, von 60 auf 120 Tage ausgeweitet.
- Weiters wartet eine Vielzahl der Unternehmen zu und hofft, mithilfe staatlicher Mittel die Krise finanziell zu überwinden.
Das bedeutet leider, dass aktuell Unternehmen dazu ermutigt werden, mit einem Insolvenzantrag zuzuwarten. Ich bin jedoch davon überzeugt, dass dieser Weg weder für die Unternehmen, noch für Österreichs Wirtschaft sinnvoll ist.
Insolvenz als Chance für einen Neubeginn
Nicht dass ich Unternehmen eine Insolvenz wünschen würde – ganz im Gegenteil –, aber wenn ein Betrieb schon in Schieflage gekommen ist, dann sehe ich in einem Insolvenzantrag vor allem die Möglichkeit auf eine Rehabilitation – eine Chance für einen Neubeginn sozusagen. Dafür braucht es allerdings gewisse Voraussetzungen. Ein Hinauszögern der Antragstellung vermindert hier nicht nur die Entschuldungschancen, sondern vergrößert zusätzlich die Vermögensschäden. So werden in ein paar Monaten sanierungsbedürftige Unternehmen vermutlich jegliche Vermögenswerte verloren haben, wodurch sie in weiterer Folge keine Basis für eine mögliche Sanierung mehr vorweisen können. Und aufgrund mangelnder Kostendeckung (mind. EUR 4.000 für die Anlaufkosten eines Insolvenzverfahrens) kann auch kein Konkursverfahren mehr eröffnet werden. Damit ist aber weder dem Schuldnerunternehmen, noch den Gläubigern und schon gar nicht der österreichischen Wirtschaft geholfen.
Vertrauen in das österreichische Insolvenzverfahren
Die Insolvenz ist nicht unbedingt etwas Negatives, sondern die Möglichkeit einer bis zu 80 %igen Entschuldung. Wenn sich ein Unternehmer also aussuchen kann, die Zahlungsunfähigkeit noch länger hinauszuzögern und damit vermutlich seine Situation sogar noch weiter zu verschlechtern, oder ein Sanierungsverfahren anzustreben, mit dem er die Möglichkeit eines Entschuldungsverfahrens hat, ist ein Insolvenzantrag definitiv die bessere Wahl. Und eines ist dabei gewiss: Er kann sich hier auf ein erprobtes österreichisches Insolvenzsystem mit funktionierenden Werkzeugen verlassen.
Sanieren, bevor es zu spät ist – gerade jetzt!
Ich kann also nur jedem Unternehmen, welches zahlungsunfähig geworden ist, raten, rechtzeitig ein Sanierungsverfahren anzustreben. Dafür sprechen drei gewichtige Argumente:
- Aktuell besteht innerhalb der Wirtschaft ein überdurchschnittlich hohes Verständnis dafür, dass Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, da es sich um eine, durch externe Faktoren aufgekommene, Krisensituation handelt.
- Somit ist auch die Chance größer, mittel- und langfristig unbeschadet als Unternehmer wieder neu durchstarten zu können.
- Und es ist davon auszugehen, dass Gläubiger aktuell sämtliche Sanierungsbemühungen mittragen und im Regelfall Entschuldungsangeboten zustimmen.
Deshalb muss ich die Frage, ob das aktuelle Vorgehen, Insolvenzanträge zu verzögern, sinnvoll ist, mit einem klaren NEIN beantworten.