Covid-19 hat in Österreichs Wirtschaft enorme Spuren hinterlassen. Was Unternehmen jetzt tun sollten, um für die Zukunft gewappnet zu sein, erklären Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG, und Zukunftsforscher Franz Kühmayer im Gespräch. Dabei wird klar: Für eine Krisenlethargie ist definitiv kein Platz. Die Zukunft gehört vielmehr den Mutigen, den Aktiven und den Visionären.
Interview: Markus Hinterberger
Zeit für eine erste Bilanz: Wie sind die österreichischen Unternehmen durch die Corona-Krise gekommen?
Franz Kühmayer: Tapfer! Denn je länger der Ausnahmezustand anhält, umso eher wird die Frage, wie es danach weitergeht, abgelöst durch: ob es danach weitergeht. Und da müssen wir als Wirtschaftswissenschaftler und Trendforscher ganz ehrlich antworten: Wir können keine abschließende Erzählung der Zukunft nach Corona geben. Das konnten wir in Wahrheit übrigens ohnehin noch nie – aber das verleiht uns auch Spielraum. Viel spannender ist die Frage: Entsteht jetzt gerade nicht etwas ganz Neues? Schon jetzt, nach nur wenigen Wochen, merken wir: Wenn die Organisation des Dringendsten abgeschlossen ist, stellen sich Menschen zunehmend auch grundlegende Fragen. In den Antworten darauf kann der Geist des Neuen entstehen, neue Vorstellungen vom Morgen, neue Business-Ideen, neue Werte, eine neue Gesellschaft. Das Corona-Virus ist ein Evolutionsbeschleuniger.
Ricardo-José Vybiral: Es ist in dieser Situation ein enormer Vorteil, dass Österreichs Wirtschaft in den vergangenen Jahren insgesamt gut gewirtschaftet hat. Im Schnitt konnten die Betriebe ihre Eigenkapitalquote zwischen 2015 und 2018 pro Jahr um 2 % erhöhen. Trotzdem hat sich die zu Jahresbeginn positive Geschäftslage innerhalb kürzester Zeit dramatisch verschlechtert – was bei all den massiven, aber notwendigen Einschnitten nachvollziehbar ist. So haben in einer KSV1870 Blitzumfrage Mitte April 68 % der befragten Unternehmen bestätigt, dass sich Covid-19 stark auf ihr Geschäft ausgewirkt hat – bei 27 % davon sogar sehr stark. Dadurch kann auch nur etwas mehr als ein Zehntel der ursprünglich für 2020 geplanten Investitionen in vollem Umfang umgesetzt werden. Das ist wenig erfreulich. Ich bin aber überzeugt, dass es uns noch weitaus schlimmer erwischen hätte können. Ein Blick in die Nachbarländer genügt.
Es wird auch eine Zeit nach Covid-19 geben. In welche Richtung geht es für die heimische Wirtschaft?
Vybiral: Das hängt davon ab, welche Lehren jedes Unternehmen für sich aus der Krise zieht. Daher sollten wir die aktuelle Phase nutzen, um zu reflektieren: In welche Richtung möchte ich das eigene Unternehmen entwickeln? Was ist mir wichtig, welche Schwerpunkte setze ich, und welche Ziele möchte ich wann erreichen? Dafür ist spätestens jetzt der Moment der Wahrheit gekommen. Und das ist vor allem eine Managementaufgabe. Daher mein Appell an die CEOs dieses Landes: Rauf auf die Kommandobrücke, das Steuer festhalten, und das Schiff in eine spannende Zukunft manövrieren!
Kühmayer: Hoffentlich geht es nicht zurück zu einem „neuen Normalzustand“, von dem jetzt so viel gesprochen wird. Denn auch wenn es sich aus der Krisenlage heraus vielleicht so anfühlt, normal war das davor auch nicht. Es gab und gibt nach wie vor dringenden Handlungsbedarf in einer Vielzahl von Themen: Digitalisierung, Klimawandel, Migration. Die Corona-Krise hat uns als Gesellschaft und als Wirtschaft an die Grenzen der Leistungsfähigkeit geführt. Und eröffnet damit auch neue Chancen, anderen Herausforderungen klüger zu begegnen.
16. März 2021 – exakt ein Jahr nach dem Tag 0 in Österreich. Was müssen die Unternehmen bis dahin getan haben, um sagen zu können: Meinem Betrieb hat die Krise auch ein Stück weit geholfen?
Kühmayer: Zunächst einmal hat die Welt auf die Pause-Taste gedrückt. Ich sage das ohne jeglichen Euphemismus: Wir sind gut beraten, diese Pause als geschenkte Zeit wahrzunehmen. Das Jahr 2020 wird ein Referenzpunkt in unserem Leben sein, und wir entscheiden selbst, woran wir uns später einmal erinnern. Natürlich an wirtschaftliche und vielleicht persönliche Krisen, aber hoffentlich auch daran, was plötzlich möglich wurde. Wir legen jetzt den Grundstein für morgen. Wer also am 16. März 2021 zurückblickt, der sollte sagen: Corona war ein Weckruf, den ich genutzt habe, um substanzielle Veränderungen vorzunehmen. Denn fordernde Zeiten sind immer auch ein fruchtbarer Boden für frische Ideen und Unternehmergeist. In diesem Sinne leben wir in einer geradezu prototypischen Aufbruchszeit. Auch wenn es paradox klingt, ist es grundvernünftig, gerade jetzt mutig zu denken und zu handeln.
Vybiral: Das von der Bundesregierung aus dem Boden gestampfte Maßnahmenpaket ist zweifelsohne eine gute Basis, damit die Unternehmen kurzfristig über die Runden kommen. Aber: Sich einzig und allein darauf zu verlassen ist definitiv der falsche Ansatz. Es gilt, sich als Unternehmen auf seine Stärken zu besinnen und seine Schwächen auszumerzen. Dabei geht es um innovative Organisationsstrukturen, zeitgemäße Produkte und Services und um die Frage, ob meine Leistungen die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden bestmöglich erfüllen.
Worauf sollten die Unternehmen ihren Fokus legen?
Am Ende des Tages wird der Wirtschaftsstandort Österreich vor allem daran gemessen werden, wie rasch er sich von dieser Krise erholt hat – und dafür müssen wir jetzt die Ärmel hochkrempeln.
Vybiral: Neben den sich aktuell verändernden Rahmen- und auch Arbeitsbedingungen wird die Digitalisierung weiterhin ein zentraler Aspekt sein – das bestätigen auch aktuelle Zahlen unseres Austrian Business QuickChecks. Interne Prozesse und Services müssen noch schneller implementiert werden, weil sich auch die Kundenbedürfnisse weiter in Richtung Echtzeit verändern. Und da stimmt es mich sehr nachdenklich, dass derzeit noch jedes zweite Unternehmen in Österreich keine Digitalisierungs-Agenda hat oder zumindest geplant hat – das ist ein alarmierendes Zeichen. Denn am Ende des Tages wird der Wirtschaftsstandort Österreich vor allem daran gemessen werden, wie rasch er sich von dieser Krise erholt hat – und dafür müssen wir jetzt die Ärmel hochkrempeln.
Kühmayer: Aktuell gibt es ja das Gefühl, dass wir in Österreich durch frühe und vor allem sehr konsequente Maßnahmen die gesundheitliche Krise besser gemeistert haben als viele andere Staaten. Meine Hoffnung ist: Durch ebenso rasches und entschlossenes Handeln werden wir auch die wirtschaftlichen Folgen besser meistern und zu einem internationalen Referenzpunkt werden. Hier in Österreich entstand sie, die neue Welt der Arbeit, der nachhaltigen, verantwortungsvollen Wirtschaft. Hier wurden harte Schnitte gesetzt, um neues Wachstum zu ermöglichen – und zwar ökologisch und ökonomisch verantwortungsvoll. Österreich als Inspiration für andere.
Wer wird nach Covid-19 zu den Siegern zählen?
Kühmayer: Die Wettbewerbsdisziplin Nummer eins heißt „Gesundheit“ – zu den Siegern gehören alle Unternehmen, deren Mitarbeiter gesund sind und wo auch der Betrieb selbst gesund geblieben ist. Beides ist keine Selbstverständlichkeit, Corona ist die schwerste Krise der Nachkriegszeit: die höchsten Arbeitslosenzahlen, die tiefsten Eingriffe ins Privat- und Berufsleben, in die Wirtschaft und in die Demokratie. All das einigermaßen unbeschadet zu überstehen ist schon eine Leistung. Wenn es zusätzlich noch gelungen ist, die Krise als Entwicklungschance zu nutzen, dann ist das die Krönung.
Vybiral: Das werden vor allem die Aktiven, die Mutigen und die Innovativen sein – davon bin ich felsenfest überzeugt. Sich jetzt zurückzuziehen und zu hoffen, dass die Krise an einem möglichst spurlos vorübergeht und ich mit einem blauen Auge davonkomme, wird wohl nicht ausreichen. Und ich bin mir sicher, dass „Sieg oder Niederlage“ am Ende relativ wenig von Branchen, Regionen oder Unternehmensgrößen abhängen werden, sondern vielmehr davon, wer sich jetzt traut, Neues auszuprobieren, und bereit ist, notwendige Adaptierungen rasch umzusetzen.
Das Thema Homeoffice ist derzeit in aller Munde. Welche Rolle wird mobiles Arbeiten in Zukunft spielen?
Vybiral: Wir alle sehen gerade jetzt, welche Leistungen im Homeoffice möglich sind. Parallel dazu wird allerdings auch in Zukunft eine gewisse Präsenz im Büro notwendig sein, um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf persönlicher Ebene zu erreichen – aber wir sprechen mit Sicherheit von einer geringeren Quantität als bisher. Denn gerade in Zeiten der stetig voranschreitenden Technologisierung wird auch weiterhin das persönliche Gespräch unentbehrlich sein. Zudem ist der Arbeitsplatz für viele aus sozialer Sicht weit mehr als Schreibtisch und Rollcontainer – er ist ein Ort der Begegnung. Gerade in Zeiten des „Social Distancing“ lernen die Menschen das Persönliche deutlich mehr zu schätzen. Es braucht daher eine gesunde Mischung, bei der das Thema der Raumnutzung und -gestaltung ganz wesentlich sein wird. Denn am Ende des Tages müssen die Arbeitsbedingungen auch zu den Visionen und Zielen des Unternehmens passen.
Kühmayer: Eines ist mittlerweile wohl allen klar geworden: Wir werden nie mehr zurück zur Routine der Anwesenheitspflicht gehen. Wir haben gelernt, neu zu arbeiten. Die blitzartig erzwungene Homeoffice-Phase war ein Prüfstand für neue Arbeitsmodelle. Haben wir die notwendige technische Ausstattung, verfügen wir über ausreichend Kenntnisse, die Tools auch zielführend einzusetzen, und vor allem: Haben wir eine Unternehmenskultur, die Führen auf Distanz, Vertrauen und Selbstorganisation ermöglicht? Wir haben gesehen, wie steil die Lernkurve in manchen Unternehmen war. Die Spontantransformation hat aber auch sehr deutlich gemacht, was wir am Büro vermissen und was nicht. All das wird künftig zu weiteren Entwicklungsmaßnahmen führen müssen.
Worauf müssen sich Arbeitgeber wie auch Arbeitnehmer in Zukunft einstellen?
Eines ist mittlerweile wohl allen klar geworden: Wir werden nie mehr zurück zur Routine der Anwesenheitspflicht gehen. Wir haben gelernt, neu zu arbeiten.
Kühmayer: Die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Krise ist verständlich, aber auch trügerisch. Auf Corona wird nicht Friede, Freude, Eierkuchen folgen, und die aktuelle Krise wird auch nicht die letzte Krise in unserem Leben bleiben. Wir sind daher gut beraten, Corona nicht als eine einmalig auftretende Anomalie des Business-Lebens zu betrachten. Die Konsequenz daraus ist, vor allem unsere Fähigkeit zur Bewältigung der Dynamik der Welt zu stärken. In der Forschung nennen wir das Resilienz, man könnte auch Überraschungsfitness sagen. Es geht darum, möglichst nicht aus der Spur geworfen zu werden, wenn sich Unplanbares einstellt – oder die neue Spur gut nutzen zu können.
Auch der KSV1870 hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten verändert. Wie fällt Ihr aktuelles Resümee aus?
Vybiral: Ich muss ehrlich sagen, ich bin stolz auf das gesamte Team und beeindruckt, was uns gemeinsam gelungen ist. Angefangen von dem plötzlichen Umstieg auf Homeoffice über die Bewältigung der Krise auf ganz unterschiedlichen Ebenen bis hin zu dem, dass wir trotz aller Krisenbewältigung auch neue Projekte kurzerhand umgesetzt haben. Das bestätigt auch die positive Resonanz, die wir von vielen Seiten erhalten haben. Es zeigt auch, dass wir als KSV1870 sehr präsent sind und uns einmal mehr als zuverlässiger Partner der Wirtschaft umfassend positionieren konnten. Dafür ein großes Dankeschön an alle Mitarbeiterinnen, Mitarbeiter, Kunden und Geschäftspartner – jeder Einzelne hat einen wesentlichen Teil dazu beigetragen.