ESG-Reporting: Der steinige Weg zur Nachhaltigkeit

Österreichs Unternehmen stehen vor einer großen Herausforderung: Die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung fordert umfangreiche und detaillierte Berichte über Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. Die Zeit dafür wird für viele Unternehmen knapp.

Text: Markus Mittermüller

 

„Die Finanzberichterstattung hat sich über Jahrhunderte entwickelt. Im Vergleich dazu ist das ESG-Reporting (Environmental, Social and Governance, Anm.) ein Höllenritt, den die Unternehmen in zwei Jahren bewältigen müssen.“ Josef Baumüller, Lehrbeauftragter an der WU Wien, weiß, dass es für rund 2.000 Unternehmen in Österreich nun richtig ernst wird. Denn im Dezember 2022 hat die EU eine neue Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung veröffentlicht, die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD). Die neuen Anforderungen für europäische Unternehmen in ihrer Berichterstattung nach dieser Richtlinie übersteigen die bisherigen bei weitem. Ein großer Teil der österreichischen Wirtschaft wird davon in den nächsten Jahren direkt oder zumindest indirekt betroffen sein. Laut Einschätzung von Baumüller sind viele Unternehmen darauf nicht ausreichend vorbereitet: „Es ist erschreckend, wie viele noch nicht wissen, was hier genau auf sie zukommt.“ Und das, obwohl der ESG-Bericht laut dem WU-Experten so wichtig werden soll wie der Finanzbericht.

Wer die Materie bereits besser kennt, sind rund 80 Unternehmen in Österreich. Das sind die börsennotierten, großen Unternehmen, die bereits seit 1. Jänner 2017 nichtfinanzielle Berichte nach der Non-Financial Reporting Directive (NFRD) erstellen mussten und nunmehr die neuen Nachhaltigkeitsberichte gemäß CSRD als erste Anwendergruppe schon ab 2025 veröffentlichen müssen. 

2025 wird EU-Richtlinie schlagend.

Mit 1. Jänner 2025 wird dann die EU-Richtlinie, die in den einzelnen Mitgliedsländern in nationales Recht umgesetzt werden muss, für große Unternehmen, die derzeit nicht der NFRD unterliegen, schlagend. Ein Unternehmen gilt dann als groß, wenn zwei der drei Voraussetzungen erfüllt sind: Unternehmen ab 250 Mitarbeitern mit einem Umsatz größer als 50 Millionen Euro und einer Bilanzsumme, die größer als 25 Millionen Euro ist. Der erste Bericht für diese Unternehmen ist dann 2026 fällig – dies betrifft auch Familienunternehmen oder sogar Sozialorganisationen wie die Caritas.

Auch Lieferanten und Kunden betroffen.

Im Jahr 2026 sind dann börsennotierte KMU sowie kleine und nicht komplexe Kreditinstitute und firmeneigene Versicherungsunternehmen umfasst – sie müssen ihren ersten Bericht 2027 abliefern. Darüber hinaus gibt es aber noch eine faktische Betroffenheit. Berichtspflichtige Unternehmen müssen auch Angaben zu ihrer Wertschöpfungskette tätigen. Dadurch sind ihre Geschäftspartner – Kunden und besonders Lieferanten – zukünftig ebenso mit neuen Informationsabfragen konfrontiert. Kurz gesagt bedeutet das, dass künftig der größte Teil der heimischen Wirtschaft mit dem Thema Nachhaltigkeitsberichterstattung in der einen oder anderen Form beschäftigt sein wird.

Was genau muss nun in diesen Berichten enthalten sein?

Die Berichtspflichten drehen sich um drei Aspekte: Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung. Dazu werden sehr umfangreiche Einzelangaben gefordert, die durch eigene Standards noch weiter konkretisiert werden, nämlich die European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Die Berichterstattung umfasst Themen wie Klimawandel, Biodiversität, die eigene Belegschaft, Menschenrechte, Antikorruption oder auch die Beschäftigungsbedingungen entlang der Wertschöpfungskette. Neu im Vergleich zu den bisher üblichen Themen ist die Betonung des Governance-Aspektes. Daran lässt sich erkennen, dass die neuen Berichtspflichten auf eine nachhaltige Verhaltensänderung abzielen. So müssen Unternehmen darüber berichten, wie sie ihr Geschäftsmodell in Richtung Klimaneutralität weiterentwickeln wollen und wie sie Nachhaltigkeit in die Strategie implementieren.

Keine Hochglanzbroschüren.

„Vom Ausmaß wird ein Bericht sicher mehr als 100 Seiten haben. Und dabei geht es um die Geschäftsmodelle und Strategien, nicht um Hochglanzbroschüren, wie sie bisher von einigen Unternehmen veröffentlicht wurden“, sagt Baumüller. Lange Erfahrung mit Berichten dieser Art hat die niederösterreichische Firma SONNENTOR, die auf die Herstellung und Vermarktung von Kräutern, Tees und Gewürzen aus biologischem Anbau spezialisiert ist. Sie veröffentlicht ihren Gemeinwohlbericht seit 2011 alle zwei Jahre – zu einer Zeit, als noch keine gesetzliche Verpflichtung dazu bestand. „Unser Gründer hat die Gemeinwohlökonomie kennengelernt und erkannt, dass die Grundprinzipien gut zum Unternehmen passen. Das war der Ausgangspunkt für den ersten Bericht“, erklärt Wertehüter Florian Krautzer. Mit den CSRD-Vorgaben kommen für SONNENTOR auch neue Berichtsbereiche dazu. „Wir rechnen damit, dass wir im ESG-Report über rund 1.000 Datenpunkte berichten. Gut die Hälfte der Datenpunkte ist deckungsgleich mit dem Gemeinwohlbericht“, so Krautzer.

Interne Struktur nötig.

Einen weiteren Vorteil hat SONNENTOR auch aufgrund der langjährigen Erfahrung im Erheben der Daten. Ein Mitarbeiter übernimmt sechs Monate lang die Koordination der Datenerfassung in Zusammenarbeit mit den verschiedenen Abteilungen. „Wir haben eine interne Struktur dafür aufgebaut, das hilft uns enorm. Insgesamt ist es schon ein großer Aufwand“, meint der Wertehüter.

Personelle Ressourcen einplanen.

Ein Nachhaltigkeitsbeauftragter allein ist mit dieser Aufgabe überfordert. Notwendig ist ein gesamtes Netzwerk dafür innerhalb des Unternehmens. 

Einen sehr umfassenden Nachhaltigkeitsbericht mit über 300 Seiten veröffentlicht die Oberbank seit 2018 jährlich, zeitgleich mit dem Geschäftsbericht. Bisher hat sich die Bank bei dieser Berichterstattung an den Global Reporting Initiative (GRI) Standards orientiert, einem international anerkannten Rahmenwerk für die Nachhaltigkeitsberichterstattung. „Die neuen Berichterstattungsstandards ESRS bedeuten für uns einen großen Bruch, da Vorgehensweise und Struktur genau vorgeschrieben sind und der Bericht dadurch viel technischer wird“, erklärt Nora Berger, ESG-Verantwortliche der Oberbank. Als eine der ersten Banken in Österreich hat die Oberbank bereits 2023 die Anwendung der neuen Standards versucht. Die größten Herausforderungen dabei waren laut Berger die Erhebung der neuen Datenpunkte, die Konsolidierung der Daten und die Verfügbarkeit von personellen Ressourcen. „Entscheidend ist, dass auch die Unternehmensführung den Bericht als wichtig erachtet. Ein Nachhaltigkeitsbeauftragter allein ist mit dieser Aufgabe überfordert. Notwendig ist ein gesamtes Netzwerk dafür innerhalb des Unternehmens“, sagt Berger.

Harte Strafen.

Und was passiert, sollte ein Unternehmen keinen ESG-Bericht veröffentlichen? „Das Gesetz dazu kommt erst. Aber ich gehe davon aus, dass es sicher Strafen geben wird, die kaum hinter solchen für die Finanzberichterstattung zurückstehen werden. In Frankreich muss der Geschäftsführer sogar ins Gefängnis, sollte es keinen ESG-Bericht geben oder dieser vorsätzlich falsche Zahlen enthalten“, erklärt Baumüller. Auch eine schlechte Nachhaltigkeitsperformance wirkt sich aus. „Banken, Kunden und auch NGOs schauen sich die Berichte an. Wenn sich mein Rating verschlechtert, könnten zum Beispiel auch die Zinskosten für mich steigen“, meint der WU-Experte. Aber der Bericht bringt nicht nur Aufwand mit sich, sondern hat auch Vorteile. „Es ist unsere auflagenstärkste Drucksorte, und wir nutzen diese auch für PR- und Öffentlichkeitsarbeit. Partner und Kunden schätzen diesen transparenten Einblick gleichermaßen. Gleichzeitig hilft uns der Bericht beim internen Nachhaltigkeitsmanagement und zeigt auf, was wir bisher geschafft haben“, sagt Krautzer. Und welche Tipps können die beiden Nachhaltigkeitsexperten Unternehmen geben, die sich erst seit kurzem mit dem Thema beschäftigen?

Change-Prozess über zwei Jahre.

Die Einplanung von Zeit und personellen Ressourcen stehen dabei an oberster Stelle. „Für uns ist es ein mittelgroßer Change-Prozess, wir werden insgesamt zwei Jahre dafür benötigen, insgesamt sind zehn Abteilungen bei uns eingebunden“, sagt Krautzer. Berger ermutigt dazu, sich auch Ratschläge von außen zu holen: „Viele beschäftigen sich derzeit mit dem Thema, und alle stehen vor den gleichen Herausforderungen. Die Wirtschaftskammer oder andere Unternehmen sind gute Anlaufstellen, um Fragen zu klären.“ Auch dürfe man sich gleich im ersten Jahr nicht die perfekte Lösung erwarten. „Das ist nicht möglich. Auch wir machen jedes Jahr eine Review und schärfen nach“, sagt die Nachhaltigkeitsexpertin.

Die Kosten für den ESG-Bericht werden laut Schätzung von Baumüller in absehbarer Zukunft so hoch wie jene für den Finanzbericht sein: „Klar kostet es Geld, diesen Bericht umzusetzen. Aber es nicht zu tun würde die Unternehmen noch viel härter treffen.“

 

Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 03/2024.