Dauerstress, Mehrfachbelastung, ständige Erreichbarkeit: In den vergangenen Jahren haben Burnout-Fälle massiv zugenommen. Ein Blick hinter die Kulissen einer scheinbar dauergestressten Generation.
Text: Christina Mothwurf
„Stell dich nicht so an“, „Das schaff ich schon noch“ oder „Da muss man einfach durchbeißen“: Jeder, der schon einmal über die eigenen Belastungsgrenzen gepoltert ist, kennt diese Sätze vermutlich in- und auswendig. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Sie das am eigenen Leib schon erfahren haben, ist hoch: In den vergangenen Jahren sind psychische und psychosomatische Beschwerden deutlich gestiegen, allein seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich die Häufigkeit von Depressionen in Österreich verfünffacht. Lange wurde Burnout als Modetrend abgetan, als frei gewählte Pause der Faulen und wenig Belastbaren. Die Brisanz des Themas wird uns allerdings noch länger begleiten: Nicht ohne Grund hat die World Health Organization (WHO) das Burnout-Syndrom mittlerweile als Krankheit anerkannt. Umso wichtiger ist es, aufzuzeigen, wie man länger andauernde Belastungsphasen erkennen kann und wie es möglich wird, aus psychischen Krisen gestärkt hervorzugehen.
Aktiv Grenzen setzen.
Viele Betroffene entwickeln Symptome, weil sie sich an das Leistungsniveau anpassen, das von Kollegen oder dem Unternehmen vorgegeben wird.
Die gute Nachricht: Nicht immer ist ein Über-die-Grenzen-Gehen ein Vorbote für eine psychische Belastung. Schließlich würde niemand von uns erkennen, wo seine Grenzen liegen, wenn wir nicht manchmal über sie hinausgehen würden, oder? Es kommt schlicht darauf an, in welcher Häufigkeit oder über welchen Zeitraum hinweg über das eigene Maß gewerkelt wird. Und ab wann aus einem Grenzen-Ausloten eine dauerhafte Grenzüberschreitung wird. Genau hier liegt ein wesentlicher Punkt: In erster Linie geht es darum, zu erkennen, wann es zu viel wird und dass Dauerstress keine Auszeichnung für ein besonders hohes Arbeitsethos ist. Viele Betroffene entwickeln Symptome, weil sie sich an das Leistungsniveau anpassen, das von Kollegen oder dem Unternehmen vorgegeben wird. Und in einer profitgetriebenen Leistungsgesellschaft ist es mittlerweile zum Tabu geworden, sich einfach mal zu fragen: Wie viel kann und will ich eigentlich leisten? Wo liegen meine persönlichen Belastungsgrenzen? Mit welchem Stresslevel kann ich gut umgehen? Viele Unternehmen haben in der Zwischenzeit erkannt, dass es sich lohnt, genau diese Themen in Entwicklungsprozessen gemeinsam mit den Mitarbeitern zu hinterfragen. Und wer sein eigenes Leistungsniveau gut kennt, kann auch effizient und vor allem nachhaltig einen wichtigen Beitrag zum Unternehmenserfolg leisten.
Home muss nicht immer Office sein.
Hört sich eigentlich ganz easy an, oder? Schließlich geht es beim Grenzensetzen nicht nur um das persönliche Leistungsniveau im Büro. Auch im privaten Bereich sind wir unterschiedlichen Stresssituationen ausgesetzt – und das Verschmelzen von Arbeit und Privatleben aufgrund von fast schon dauerhaften Homeoffice-Zeiten während der Pandemie gießt Öl ins Feuer der Belastungsspirale. Forscher aus Graz und Slowenien haben sich im Rahmen einer aktuellen Studie eines vom Wissenschaftsfonds FWF unterstützten Forschungsprojekts der Frage gewidmet, inwieweit eigene Denkmuster im Rahmen der immer flexibler werdenden Arbeitswelt zur Belastung werden können. Die Ergebnisse zeigen, dass sich emotionale und kognitive Stressfaktoren von der Arbeitszeit in die Freizeit verlagern – negative Gedanken, sich ständig mit anderen Menschen vergleichen zu müssen, oder eine geringe Fehlertoleranz sich selbst gegenüber verstärken das Phänomen. Damit wird ein veritabler Teufelskreis in Gang gesetzt: Wer mit negativen Gedanken belastet ist, bewältigt steigende Arbeitsanforderungen weniger gut – das wiederum hat Auswirkungen auf die dringend benötigte Erholungszeit. Noch schnell Berufliches nach der eigentlichen Arbeitszeit erledigen? Besser nicht.
Hände weg vom Handy.
Die Digitalisierung ist dabei ein veritabler Burnout-Booster: Wir sind nicht nur ständig vor dem Rechner, sondern auch vor und nach der Arbeit erreichbar. Pausen werden oft dazu genutzt, um am Smartphone Social-Media-Kanäle zu checken, statt sich mit Kollegen einen kurzen Plausch in der Kaffeeküche zu gönnen. Der bewusste Umgang mit der Bildschirmzeit kann ein erster Schritt sein, auch hier Grenzen zu setzen. Zusätzlich verstellen zu viele Aufgaben oft den Fokus, deshalb lohnt es sich, alle möglichen Ablenkungsfaktoren mal auf Pause zu stellen: E-Mail-Programm schließen und das Smartphone auf „Nicht stören“ stellen. Das schafft beste Voraussetzungen für konzentriertes Arbeiten. Und ganz ehrlich: Keine E-Mail ist so wichtig, dass sie innerhalb von Minuten beantwortet werden müsste. Damit unser interner Arbeitsspeicher nicht dauerhaft überfüllt wird, lohnt es sich, konkrete „digital breaks“ einzulegen. Bedeutet: Spaziergang statt Instagram – auch wenn es nur für ein paar Minuten ist. Und während wir jede Deadline akribisch im Projektmanagement-Tool dokumentieren, vergessen wir oft, dass das für eine Pausenkultur auch gelten darf. Gerade im Homeoffice heißt es: Termine zur Erholung gehören genauso in den Kalender eingetragen wie der nächste Zoom-Call. Das schafft Struktur und erinnert uns daran, einfach mal durchzuatmen.
Widerstandskraft der Seele.
Aber was tun, wenn man schon mitten im Burnout steckt? Zuallererst: Es gibt einen Weg raus – und den muss man nicht alleine gehen. Wir alle sind im Laufe unseres Lebens immer wieder mit unterschiedlichen Krisen konfrontiert. Auch das Bewusstsein über die eigene Widerstandskraft der Seele ist in schwierigen Lebensphasen eine enorme Stütze und hilft uns, nach vorne zu blicken. Sogenannte Resilienzfaktoren, also genau jene Eigenschaften, die uns dabei helfen können, sind bei uns meist unterschiedlich ausgeprägt. Aber wie kann ich diese Eigenschaften stärken? Die zweite gute Nachricht: Unsere Persönlichkeit ist wandelbar. Das bedeutet, dass wir durch Training unsere Widerstandskraft ganz bewusst fördern können. Selbstreflexion, ein konstruktiver Umgang mit Krisen und ein positives Mindset stärken im Laufe der Zeit unsere Resilienzfaktoren. Natürlich gelingt dieser Prozess nicht von heute auf morgen – aber gerade wenn es um das Thema Belastung geht, heißt es ohnehin eher „langsamer, bedächtiger und leiser“ als „schneller, höher, weiter“.
Am Weg zum Burnout?
Woran merke ich, dass ich betroffen bin? Die 12 Stadien eines Burnouts nach Herbert Freudenberger und Gail North bieten eine gute Möglichkeit, das eigene Belastungsniveau zu hinterfragen. Ab Stadium 7 ist besondere Vorsicht geboten. Sich professionelle Hilfe zu holen ist übrigens keine Schande, sondern ein Weg raus aus der Krise.
Stadium 1: Der Zwang, sich selbst zu beweisen
Stadium 2: Verstärkter Einsatz
Stadium 3: Subtile Vernachlässigungen eigener Bedürfnisse
Stadium 4: Verdrängung von Konflikten und Bedürfnissen
Stadium 5: Umdeutung von Werten
Stadium 6: Verstärkte Verleugnung der auftretenden Probleme
Stadium 7: Rückzug
Stadium 8: Beobachtbare Verhaltensänderung
Stadium 9: Verlust des Gefühls für die eigene Persönlichkeit
Stadium 10: Innere Leere
Stadium 11: Depression
Stadium 12: Völlige Burnout-Erschöpfung
Gestärkt aus der Krise – 7 Säulen der Resilienz
- Selbstbewusstsein
- Kontaktfreude
- Gefühlsstabilität
- Optimismus
- Handlungskontrolle
- Realismus
- Analysestärke