Weltweit werden von Unternehmen und Staaten Milliardenbudgets in das Thema Künstliche Intelligenz (KI) investiert. Doch was können denkende Maschinen, wie funktionieren sie und wo findet sich Österreich auf der Landkarte der digitalen Zukunft?
Text: Stephan Scoppetta
Er war ein Visionär des 20. Jahrhunderts, der nun, knapp 100 Jahre später, zur Berühmtheit wird. Der britische Mathematiker Alan Turing bewies 1936, dass eine universelle Rechenmaschine – heute als Turing-Maschine bekannt – möglich ist. Turings zentrale Erkenntnis war: Eine solche Maschine ist fähig, jedes Problem zu lösen, sofern es durch einen Algorithmus darstell- und lösbar ist. Übertragen auf die menschliche Intelligenz, bedeutet das: Sind kognitive Prozesse algorithmisierbar – also in endliche wohldefinierte Einzelschritte zerlegbar –, können diese von einer Maschine ausgeführt werden. Ein paar Jahrzehnte später wurden dann tatsächlich die ersten praktisch verwendbaren Digitalcomputer gebaut. Damit war die „physische Trägersubstanz“ für Künstliche Intelligenz geschaffen. Im 21. Jahrhundert sind unsere Computer nun so schnell geworden, dass das Thema Künstliche Intelligenz zur Wunderdroge der Wirtschaft wird und die Industrienationen um die Weltspitze rittern. Staaten wie China investieren jährlich 150 Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Die USA, Deutschland, Frankreich und auch Österreich wollen hier nicht den Anschluss verlieren und nehmen dafür viel Geld in die Hand. Doch was macht den Zauber von Künstlicher Intelligenz aus, und wo liegen hier die großen Potenziale?
KI-Technologien haben unsere Welt bereits verändert und werden es weiter tun. Sie sind in vielen Alltagsgegenständen oft schon so selbstverständlich enthalten, dass wir sie nicht mehr bewusst wahrnehmen.
KI-Effekte stärker als die Dampfmaschine. Laut einer Analyse des McKinsey Global Institute (MGI) habe Künstliche Intelligenz ein größeres ökonomisches Potenzial als einst die Dampfmaschine. Deren jährlicher Wachstumseffekt ist bei 0,6 Prozentpunkten gelegen. Künstliche Intelligenz könne hingegen das globale Bruttoinlandsprodukt (BIP) bis 2030 zusätzlich im Schnitt um 1,2 Prozentpunkte steigern. Dies bedeute einen zusätzlichen globalen Wertschöpfungsbeitrag von 13 Billionen US-Dollar. Für Deutschland wird sogar ein leicht überdurchschnittliches BIP-Wachstum von 1,3 Prozentpunkten prognostiziert, ebenso wie für China. Noch besser sehen laut McKinsey Global Institute die Erwartungen für Schweden (1,7 Prozentpunkte) und die USA (1,5 Prozentpunkte) aus. Der Grund dafür liegt in den Anwendungen. Das Spektrum reicht hier von Sprachassistenten wie Siri und Alexa bis hin zu selbstfahrenden Autos, Flugzeugen oder Linienbussen. Michael Affenzeller, Professor am FH-OÖ-Campus Hagenberg: „KI-Technologien haben unsere Welt bereits verändert und werden es weiter tun. Sie sind in vielen Alltagsgegenständen oft schon so selbstverständlich enthalten, dass wir sie nicht mehr bewusst wahrnehmen.“
Chance für Österreich.
Auch in Österreich will man auf diesen Zug aufspringen. Bis zum dritten Quartal 2019 soll die Alpenrepublik eine Strategie für Künstliche Intelligenz bekommen – im Ministerrat liegt bereits ein Antrag zur Ausarbeitung einer solchen Strategie vor. Vor kurzem wurde in Wien auch das Institute of Advanced Research in Artificial Intelligence (IARAI) aus der Taufe gehoben, das mit immerhin mehr als 25 Millionen Euro für fünf Jahre dotiert sein wird. „Gelingt es uns allerdings, einen für Österreich und Europa maßgeschneiderten Ansatz zu etablieren, der nicht unbedingt ein Hinterherlaufen von aus den USA und China vorgegebenen Trends bedeuten sollte, bin ich überzeugt, dass wir unsere Themenführerschaft in Teilbereichen der industriellen Produktion sowie des Maschinen- und Anlagenbaus halten und ausbauen werden können. Hier gilt es, bestehende Domänen und Prozesswissen mit dafür geeigneten KI-Technologien unter Beibehaltung der Datenhoheit intelligent zu verschmelzen“, so Affenzeller.
Wissen:
Künstliche Intelligenz (KI)
John McCarthy hat in den 1950er-Jahren Künstliche Intelligenz folgendermaßen erklärt: „Das sind Maschinen, die Aufgaben übernehmen können, die charakteristisch für menschliche sind.“ KI-Systeme sollen eigenständig Probleme lösen. In der einfachsten Form lässt sich das über feste Regeln erreichen. Neben KIs, die solche strikten Aufgaben lösen, fallen auch Systeme unter den Begriff Künstliche Intelligenz, die eine dem Menschen vergleichbare allgemeine Intelligenz demonstrieren.
Machine Learning
Arthur Samuel definierte das als „die Fähigkeit zu lernen, ohne explizit programmiert worden zu sein“. Derartige Systeme bekommen keine Programmierbefehle oder vorgefertigte Algorithmen. Hier entwickeln die Systeme selbst den passenden Algorithmus, der eine bestimmte Problemlösung erlaubt. Solche Systeme kommen in Videospielen vor, erkennen Haustiere oder übersetzen Texte.
Deep Learning
Dabei handelt es sich um eine Implementierung von maschinellem Lernen mit neuronalen Netzwerken. Diese sind Strukturen im menschlichen Gehirn nachempfunden und eignen sich besonders gut, um maschinelles Lernen umzusetzen. Diese KI-Systeme sind häufig das Ergebnis von neuronalen Netzwerken. Beispiele: Spracherkennungssoftware oder Übersetzungs-Apps.
KI-Pioniere aus Österreich
Anyline
Das Wiener Unternehmen entwickelt und vertreibt eine Software zur automatisierten optischen Texterkennung. Jakob Hofer, CMO & Co-Founder von Anyline: „Die patentierte OCR-Technologie bringt Software mittels Künstlicher Intelligenz das Lesen bei, sodass Texte, Nummern und Codes aller Art eingelesen werden können.“ Anylines Software Development Kit (SDK) kann an die individuellen Ansprüche jeder Software angepasst und in sämtliche Apps eingebaut werden. Unter den Kunden sind Canon, Porsche, Swisscom und Thomas Cook Airlines. Hofer: „Anyline fokussiert sich mit seinen Produkten hauptsächlich, aber nicht ausschließlich auf folgende Branchen: Utility, Government, Smart Factory und Logistik. In diesen Branchen sehen wir den besten Match mit unseren Produkten.“ Erst kürzlich wurde der Pass-Scanner in der App für das „Digitale Amt“ von Anyline präsentiert.
AVL LIST
Digitalisierung, autonomes Fahren, Shared Mobility – diese globalen Trends der Automobilindustrie produzieren riesige Datenmengen. Georg List, Vice President Corporate Strategy AVL: „Auch für uns sind diese Daten von großer Bedeutung. Bereits vor mehreren Jahren wurde eine firmenweite Arbeitsgruppe zum Thema Data Intelligence gegründet, um Anwendungen in dem Umfeld von Data Analytics, Big Data und Künstlicher Intelligenz zu identifizieren.“ Dabei werden Big Data und Künstliche Intelligenz sowohl im Auto als auch in der Entwicklung und Fertigung der Fahrzeuge angewandt. List: „Diese neue Technologie führt einerseits zur Effizienzsteigerung bestehender Abläufe, andererseits eröffnet sie ganz neue Geschäftsfelder und Geschäftsmodelle.“ Zum Beispiel unterstützt AVL ihre Kunden dabei, intelligente Funktionen für autonomes Fahren zu entwickeln.