Seit 2020 stehen Österreichs Unternehmen wegen Krisen und Zinserhöhungen unter Druck, obwohl Investitionen in Digitalisierung und „grüne Projekte“ dringend nötig sind. KMU setzen traditionell auf klassische Finanzierungen, doch alternative Methoden wie Factoring gewinnen an Bedeutung. Der Zugang zu Kapitalmärkten bleibt indes schwierig, besonders für junge Technologieunternehmen und Start-ups.
Text: Stephan Scoppetta
Seit dem Jahr 2020 stehen österreichische Unternehmen vor beispiellosen Herausforderungen: Die Pandemie, die Energiekrise und eine Rekordinflation setzten die Wirtschaft unter Druck. Hinzu kamen ab Juli 2022 zehn Zinserhöhungen der Europäischen Zentralbank, die den Leitzins auf 4,5 % ansteigen ließen. Dabei stehen für die Unternehmen wichtige Aufgaben an – die digitale Transformation und die grüne Wende sind notwendiger denn je und erfordern erhebliche finanzielle Mittel. Doch wie lässt sich dies unter den aktuellen Bedingungen finanzieren? Die Vielfalt an Finanzierungsmöglichkeiten am Markt bietet zwar Chancen, doch die nach wie vor hohen Zinsen dämpfen die Investitionsbereitschaft. Allerdings könnten mögliche Leitzinssenkungen in der Zukunft Hoffnung auf Besserung geben.
Stimmung hellt sich auf.
99,8 % der österreichischen Unternehmen sind KMU, die 66 % der Arbeitnehmer beschäftigen und 57 % zur Wertschöpfung beitragen. Eine Studie der Erste Bank und Sparkassen aus 2024 zeigt, dass zwei Drittel der KMU optimistisch in die Zukunft blicken, obwohl dieser Wert in den vergangenen Jahren gesunken ist. Hans Unterdorfer, Firmenkundenvorstand der Erste Bank Oesterreich, betont: „Die Unternehmen spüren die Nachwirkungen der Krisen.“ 63 % der KMU berichten von einem schwierigeren Marktumfeld durch Preissteigerungen, erhöhte Online-Konkurrenz und gestiegene Finanzierungskosten. Dennoch zeigen sich die Unternehmen widerstandsfähig, unterstützt durch eine solide Eigenkapitalbasis. Unterdorfer ergänzt: „Es gibt einen klaren Trend zu höheren Eigenkapitalquoten. Vergangenes Jahr hatten 38,7 % der Unternehmen eine Eigenkapitalquote von mehr als 30 %. Ab dieser Quote gelten Unternehmen generell als solide finanziert. Zudem schafft eine gute Kapitalbasis mehr Handlungsspielräume, die es den Unternehmen ermöglichen, Chancen und Potenziale, wie sie etwa die Digitalisierung oder Ökologisierung bieten, zu nutzen.“ 84 % der KMU erwarten aber in Zukunft weiter steigende regulatorische Anforderungen.
Finanzierungsnachfrage steigt wieder.
Die Nachfrage nach Krediten hat sich zuletzt aufgrund gestiegener Zinsen verändert. Laut dem im Juli 2024 veröffentlichten OeNB-Report „Bank Lending Survey“ stagnierte die österreichische Wirtschaft seit Ende 2023 nach einer Rezession. Die Bankenpolitik blieb im zweiten Quartal 2024 stabil, nachdem die Kreditrichtlinien von 2022 bis Anfang 2024 verschärft wurden. Hauptgründe waren eine ungünstige Risikoeinschätzung der Wirtschaftslage und der Kreditwürdigkeit von Unternehmen. Margen und Kreditbedingungen wurden 2023 und Anfang 2024 verschärft, insbesondere für risikoreiche Kredite. Die Sicherheitenanforderungen sind seit der zweiten Jahreshälfte 2023 gestiegen. Kein Wunder also, dass die OeNB-Umfrage seit dem vierten Quartal 2022 einen deutlichen Rückgang der Kreditnachfrage von Unternehmen, insbesondere bei langfristigen Investitionskrediten, verzeichnet. Trotz der Erwartungen der Banken sank die Nachfrage weiter, bedingt durch Unsicherheit, gestiegene Zinsen und einen geringeren Finanzierungsbedarf. Auffällig ist auch der Rückgang bei Krediten für Lagerhaltung und Betriebsmittel. Alternative Finanzierungsquellen wie Innenfinanzierung und Anleihen dämpften die Nachfrage zusätzlich.
Investitionsklima ändert sich.
Franz Rudorfer, Geschäftsführer der WKÖ-Bundessparte Bank und Versicherung, betont: „Das Zinsniveau bewegt sich grundsätzlich im langjährigen Durchschnitt. Bei Investitionsentscheidungen eines Unternehmens spielen jedoch die inflationsbedingten Auswirkungen auf Verkaufspreise und Inputfaktoren wie Rohstoffpreise und Finanzierungskosten eine Rolle. Die isolierte Betrachtung des Zinsniveaus ist nicht entscheidend für die Vergabe von Unternehmensfinanzierungen. Nicht außer Acht zu lassen ist, dass Unternehmen mit Guthaben von Habenzinsen profitieren.“
Seit Juni gibt es positive Signale, da die EZB aufgrund der gesunkenen Inflation im Euroraum die Zinsen gesenkt hat. Unterdorfer ergänzt: „Das Umfeld ist wieder investitionsfreundlicher geworden. Daher erwarten wir mehr Investitionsprojekte, was wichtig ist, da Themen wie Digitalisierung und der grüne Wandel Investitionen erfordern, um die heimische Wirtschaft zukunftsfähig zu machen.“ Rudorfer warnt jedoch: „Besonders in einem Hochzinsumfeld müssen die Notenbanken darauf achten, dass ihre Zinspolitik die Investitionstätigkeit nicht übermäßig hemmt.“
Klassische Bankfinanzierung im Mittelpunkt.
In Österreich bleibt man beim Thema Finanzierungstools traditionell. Unterdorfer erklärt: „Klassische Finanzierungsarten wie Investitionsfinanzierungen oder Betriebsmittelrahmen sind nach wie vor sehr gefragt und dominieren den Markt. Alternativen wie Factoring haben jedoch an Bedeutung gewonnen, da sie ein gutes Werkzeug zur Optimierung der Liquidität sind.“ Mittelständische Unternehmen bevorzugen meist klassische Finanzierungswege, da diese kostengünstiger und einfacher zu handhaben sind. Für spezielle Projekte oder innovative Start-ups können jedoch auch neuere Finanzierungsformen interessant sein. Rudorfer ergänzt: „Alternative Finanzierungsformen wie Crowdfunding und Peer-to-Peer Lending haben zwar an Bedeutung gewonnen, spielen aber im Vergleich zu traditionellen Finanzierungen wie Krediten, Leasing oder Kapitalmarktfinanzierungen noch eine untergeordnete Rolle.“
Kapitalmarkt im Schatten.
In Österreich ist die Finanzierung über den Kapitalmarkt noch wenig verbreitet. Rudorfer: „Die österreichische Unternehmensstruktur ist relativ kleinteilig. Für viele Unternehmen ist der Gang an den Kapitalmarkt, sei es für Anleihen oder Börsengänge, aufgrund des hohen regulatorischen Aufwands nicht attraktiv.“ Obwohl es im vergangenen Jahr einige Listings gab, bleibt Österreichs Finanzierungssystem traditionell kreditzentriert. Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, betont: „Österreich verfügt über eine nicht sehr ausgeprägte Kapitalmarktkultur.“ Eine stärkere politische Förderung sei notwendig, etwa durch größere Liquiditätspools und Investitionen von Pensionskassen in börsennotierte Unternehmen. Boschan: „Auch eine Abkehr von der steuerlichen Sanktionierung von privater Vorsorge durch die KESt würde helfen.“
Finanzierungshürden für Tech-Start-ups.
Petra Augustyn, Gründerin und CEO der KTCHNG® GmbH, kennt die Herausforderungen der Finanzierung in der Technologiebranche aus erster Hand. Ihr 2019 gegründetes Unternehmen erhielt bereits in der Seedphase Kapital von der Wirtschaft Burgenland. KTCHNG® hat ein Objekterkennungssystem und einen eigenständigen Algorithmus entwickelt, ohne externe Schnittstellen wie ChatGPT. Augustyn betont: „Für Technologieunternehmen sind klassische Finanzierungsmethoden nahezu nicht vorhanden. In Österreich bekommen junge Technologiefirmen oft nicht einmal Kreditkarten, was problematisch ist, wenn Lizenzgebühren für Software anfallen. In dieser Branche gibt es keine Kredite, man ist von Anfang an auf Investoren oder Förderungen angewiesen.“ Dies sei jedoch kein rein europäisches Phänomen, sondern treffe auch auf den amerikanischen Markt zu, wo neue Technologien selten durch klassische Kredite finanziert werden.
KTCHNG® hatte das Glück, bereits in der Prototypenphase Kapital von Investoren zu erhalten, das durch Bankkredite verfünffacht wurde. „Kapital von Banken ist in einer Nullzinsphase immer günstiger als Venture Capital“, so Augustyn. Sie warnt jedoch: „Auch wenn VC-Kapital wie Eigenkapital wirkt, ist es dennoch Fremdkapital und kostet Anteile. Man sollte es so lange wie möglich vermeiden und darauf achten, dass zu viele Kleininvestoren den Cap Table nicht unattraktiv für internationale Geldgeber machen.“ Auch gegenüber Crowdfunding ist Augustyn kritisch: „Von Crowdfunding halte ich nichts – teuer, ineffizient und meist sinnlos für echte Anschlussfinanzierungen. Die Crowdfinanzierer selbst können in Wahrheit gar nichts.“ Insgesamt übt sie scharfe Kritik am Finanzierungsstandort Österreich: „Hier gibt es zu viel Schulterklopferei und Alpenkonferenzen ohne echten Output. Die Lederhose ist zu wenig als Asset oder Wirtschaftsfaktor. Viele junge Firmen, die an neuen Algorithmen und Technologien arbeiten, halten sich bewusst aus diesen Kreisen fern und entwickeln bewusst unter dem Radar oder verabschieden sich rasch ins Ausland.“
Von Eigenkapital bis Venture Capital – welche Finanzierungsform passt zu Ihrem Unternehmen? |
1. Eigenfinanzierung (z. B. durch Eigenkapital, Gewinnthesaurierung)
2. Fremdfinanzierung (z. B. Bankkredit)
3. Mezzanine-Finanzierung (z. B. Wandelanleihen, stille Beteiligungen)
4. Factoring
5. Anleihen (Corporate Bonds)
6. Aktienemission
7. Venture Capital (VC)
8. Crowdfunding
9. Peer-to-Peer Lending (P2P)
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Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 03/2024.