Franziska van Zijl, Unternehmensberaterin für Personal- und Organisationsentwicklung, spricht im Interview über gesundheitliche Auswirkungen des Personalmangels auf bestehende Mitarbeiter, den Mut, Dinge zu streichen, und Künstliche Intelligenz als Gamechanger.
Interview: Markus Mittermüller
Aufgrund des Arbeitskräftemangels steigt der Druck auf die bestehenden Mitarbeiter. Die gesundheitlichen Folgen dieses Drucks nehmen zu. Ist das auch ein Thema bei Ihren Coachings?
Ich beobachte, dass der Arbeitskräftemangel unter anderem in der Tourismusbranche, in der Gastronomie und im Gesundheitswesen immer wieder zu gesundheitlichen Problemen führt. Diese Branchen sind durch die Corona-Krise sehr stark gebeutelt worden. Im Tourismus und in der Gastronomie waren sehr viele Mitarbeiter gezwungen, sich anders zu orientieren. Dazu kommt auch die generelle Einstellung der nachkommenden Generation zur Arbeit. Viele wünschen sich andere Arbeitszeitmodelle, wie eine Viertageswoche oder Halbtagsbeschäftigungen. Das macht die Nachbesetzungen schwierig und erfordert von den Unternehmen eine starke Umstrukturierung in sehr naher Zukunft. Das ist auch ein großes Thema in meinen Coachings: Wie können wir uns strategisch aufstellen, um mit weniger Mitarbeitern durchzukommen?
Welche gesundheitlichen Auswirkungen kann der Personalmangel kurz- und langfristig haben?
Wenn Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen müssen als normalerweise in ihrer Position, entsteht oft ein psychischer Druck, der zu Angstzuständen und Depressionen führen kann.
Müdigkeit ist eines der ersten Anzeichen. Diese Demotivation, den ersten Schritt in den Tag zu machen. Dazu kommen Konzentrationsprobleme, die zu kleinen Fehlern führen. Das schadet natürlich auch der Reputation des Unternehmens. Reizbarkeit ist auch eine Auswirkung von erhöhtem Stress. Ein großes Thema sind Schlafstörungen – man ist nicht mehr in der Lage, nach der Arbeit abzuschalten. Bei länger andauernder Belastung kommen körperliche Beschwerden dazu, wie Kopf- oder Rückenschmerzen. Wenn Mitarbeiter mehr Verantwortung übernehmen müssen als normalerweise in ihrer Position, entsteht oft ein psychischer Druck, der zu Angstzuständen und Depressionen führen kann. Längerfristig steigt das Risiko von stressbedingten Erkrankungen wie Magen-Darm-Erkrankungen und Herz-Kreislauf-Beschwerden.
Auf welche Alarmsignale sollen die Unternehmer hören, damit es nicht zu solchen Belastungen kommt?
Die Situation zu erkennen ist der erste wichtige Punkt. Der zweite Punkt ist, den Mitarbeitern zuzuhören und Feedback einzuholen: Wie zufrieden sind sie, und wer kann sich vorstellen, länger im Unternehmen zu bleiben? Wenn die Mitarbeiterzufriedenheit gering ist und einige Mitarbeiter sich es nicht vorstellen können, länger als ein Jahr zu bleiben, ist das schon ein Alarmsignal. Frühzeitig erkennen kann ich es, wenn Mitarbeiter vermehrt gereizt reagieren, mehr Streitigkeiten unter den Mitarbeitern zu beobachten sind, ein ungutes Klima herrscht, Gerüchte kursieren, es zu erhöhten Krankenständen kommt oder Mitarbeiter sogar kündigen. Aber auch bei einer erhöhten Frequenz von Kundenbeschwerden sollte man hellhörig werden. Spätestens dann ist es wichtig, kurz innezuhalten und die Situation strategisch zu analysieren. So weiterzumachen wie bisher wird nicht funktionieren. Es muss zu einer Veränderung kommen. Dabei ist eine starke Priorisierung nötig – zum Beispiel nach dem bekannten Eisenhower-Prinzip: Man muss sich darauf konzentrieren, was wirklich dringlich und wichtig ist, und den Mut haben, Dinge wegzulassen. Was kann ich auslagern oder delegieren? Kann ich Zeitarbeiter oder Studenten einstellen? Kann ich Tätigkeiten automatisieren oder durch Künstliche Intelligenz ersetzen? Wichtig ist, die Veränderungen auch klar zu kommunizieren und die Mitarbeiter in die Entscheidungen einzubinden. Dann ist die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass sie die Veränderungen auch mittragen.
Was kann man vorbeugend tun, damit diese Situation gar nicht erst eintritt?
Einerseits kann man versuchen, die Mitarbeiter im Unternehmen zu halten, damit es gar nicht erst zum Arbeitskräftemangel kommt – zum Beispiel durch Lob und durch Feedback. Dafür ist es wichtig, die richtige Unternehmenskultur zu etablieren. Damit es eine Vertrauensbasis gibt und die Mitarbeiter sich trauen, Konflikte auszutragen und Probleme anzusprechen. Das führt dazu, dass sie selbst auch motivierter sind. Wichtig ist auch, das Unternehmen so attraktiv wie möglich nach außen zu zeigen, damit Arbeitnehmer gerne in das Unternehmen kommen – beispielsweise über Social Media. Und es geht auch darum, neue Arbeitszeitmodelle zu finden, um für die junge Generation attraktiv zu sein.
Wie kann der Unternehmer für eine kurzfristige Entlastung sorgen?
Natürlich muss man zuallererst versuchen, die Arbeitslast des Mitarbeiters zu reduzieren. Klare Arbeitsverteilung und neue Ziele und Erwartungen setzen. Pausen einzuhalten ist extrem wichtig, da sie regenerativ sind. Auch wenn es nur fünf Minuten sind. Zeitarbeiter können für Entlastung sorgen. Künstliche Intelligenz bringt eine wesentliche Arbeitsersparnis, vor allem in den Bereichen Administration, Buchhaltung, Marketing, Datenverarbeitung, Personalmanagement und auch Kundendienst. Österreich ist hier noch ein Schlusslicht, aber wir werden sehr schnell auf den Zug aufspringen müssen. Studien haben ergeben, dass es 70 % der Jobs in fünf Jahren heutzutage noch gar nicht gibt. Es wird ganz andere Jobprofile geben, die heutzutage noch gar nicht denkbar sind. Die Arbeitswelt wird eine neue Umstrukturierung erleben.
Und wenn trotz dieser Maßnahmen keine Entlastung der Mitarbeiter möglich ist?
Dann muss man sich überlegen, wie man das Unternehmen umstrukturiert, und ganz neue und innovative Konzepte finden. Hier braucht es oft neue Ideen, die den Need der aktuellen Zeit treffen. Diese können von Unternehmen zu Unternehmen komplett anders aussehen. Bei diesen Überlegungen ist es ratsam, sich professionelle Unterstützung von außen zu holen, um alle unterschiedlichen Aspekte zu sehen und vielseitige Ideen zu bekommen.
Franziska van Zijl, Unternehmensberaterin für Personal- und Organisationsentwicklung, spricht im Interview über gesundheitliche Auswirkungen des Personalmangels auf bestehende Mitarbeiter, den Mut, Dinge zu streichen, und Künstliche Intelligenz als Gamechanger.
Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 02/2024.