Während der Pandemie hat sich unsere private und berufliche Lebensrealität komplett verändert. Extreme Belastungsphasen bieten allerdings auch die Möglichkeit, neue Perspektiven zu entwickeln und über den eigenen (unternehmerischen) Tellerrand hinauszuwachsen.
Text: Christina Mothwurf
Abstandsregelungen, gesplittete Bürozeiten, Homeoffice als Dauerzustand, Kurzarbeitsanträge und Plexiglasscheiben: Die Liste an Maßnahmen, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber seit knapp zwei Jahren umzusetzen bzw. auszuhalten haben, ließe sich noch um einiges verlängern. Die Zeitrechnung wird in ein mittlerweile wissendes „Vor-“ und ein hoffnungsvolles „Nach-der-Pandemie“ eingeteilt, wobei Letzteres wohl in absehbarer Zukunft eher nicht rot im Kalender anzustreichen sein wird. Grund genug, den Kopf in den Sand zu stecken? Keineswegs. Freilich soll das nicht heißen, dass es für die zahlreichen Branchen, die seit Monaten von drastischen Umsatzausfällen gebeutelt werden, eine einfache Situation ist. Aber der Blick auf das Positive hilft allemal: Diese Krise schafft den Nährboden für Lerneffekte, von denen wir auch in Post-Corona-Zeiten noch profitieren können.
Die gute alte Zeit.
Zugegeben, der Satz „Früher war eh alles besser“ kommt einem in Zeiten wie diesen nur allzu leicht über die Lippen. Dort, wo viele Unternehmen – oft erfolgreich – den Leitsatz „Never change a running system“ verfolgen, gibt uns die Krise die Chance, Dinge ganz neu zu denken – von der Unternehmensstruktur bis hin zur wirtschaftlichen Gesamtplanung. Während sich laut Daten der Oesterreichischen Nationalbank die Wirtschaftsleistung im September knapp über Vorkrisenniveau eingependelt hat und auch die Exporte wieder deutlich zunehmen, könnte uns die Krise in wirtschaftlicher Hinsicht vor allem eines lehren – dass es sich lohnt, etwas auf der hohen Kante zu haben. Oder zumindest auf wirtschaftliche Ausfälle so gut vorbereitet zu sein, dass man das unternehmerische Schiff auch durch stürmische Zeiten navigieren kann. Effizientes Finanzmanagement ist dabei im Übrigen keine Frage der Unternehmensgröße: Auch für EPU ist vorausschauende Planung mittlerweile ein Muss.
Fokus Regionalität.
Die coronabedingten Einschränkungen haben uns auch gezeigt, dass Waren und Dienstleistungen nicht mehr grenzenlos zur Verfügung stehen – für viele Unternehmen der Startschuss für die Implementierung einer regionalen Lieferkette, die in unsicheren Zeiten nicht nur verlässlicher, sondern langfristig auch nachhaltiger ist. Apropos Nachhaltigkeit: Schon mal am Donnerstag früh mit dem Flieger nach Frankfurt gedüst und am späten Nachmittag wieder zurück? Dann wissen Sie ja, dass das nicht nur Vorteile hat. Soll heißen: Auch die veränderte Meetingkultur hat uns zuletzt gezeigt, dass sich mit deutlich weniger Aufwand und einem massiven Plus an Flexibilität selbst wichtige Dinge virtuell besprechen lassen. Die Digitalisierung hat zusätzlich auch auf Unternehmerseite Fahrt aufgenommen. Die Implementierung von Online-Shops oder der rasante Anstieg an Lieferdiensten im Handel und der Gastronomie zeigen, welches Potenzial hier noch geborgen werden kann.
My home is my office.
Bei allen Vorteilen des Von-zu-Hause-Arbeitens und den neu gewonnenen Erfahrungen mit digitalen Besprechungsmodi hat sich der Fokus auch stark in Richtung physischer und psychischer Gesundheit entwickelt. Ergonomie ist dabei keineswegs eine Frage des persönlichen Wohlbefindens, sondern hat Auswirkungen auf den Bewegungsapparat – viele Unternehmen haben in der Zeit der Krise für ihre Mitarbeiter umfassende Angebote zusammengestellt, die das Arbeiten von daheim erträglicher machen. Arbeitnehmer haben zum Gutteil die Vorteile des Homeoffice erkannt, die ebenfalls nicht ohne Lerneffekt einhergehen: Neben der Vereinbarkeit von Privat- und Berufsleben haben selbst viele „Homeoffice-Fanatiker“ gelernt, dass es auch in den eigenen vier Wänden wesentlich ist, Pausen einzuhalten und sich eine funktionierende Tagesstruktur zu schaffen. Zwar mag es verlockend sein, mit der Jogginghose das nächste Meeting zu meistern, langfristig ist es jedoch wichtig, im Sinne der Selbstfürsorge auch daheim den Arbeitsbereich vom Privaten zu trennen. Was unsere Gesundheit betrifft, ist das durchaus ein Learning, das wir in Zukunft beibehalten können und sollen. Glücklicherweise setzen mittlerweile immer mehr Unternehmen gezielt Maßnahmen, um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter langfristig zu fördern – und zwar auf physischer und psychischer Ebene gleichermaßen. Ein Zukunftsmodell.
Selbst & ständig oder autonom & frei?
Eines wurde durch die Krise sichtbar: die berufliche Sinn-Frage. Nie zuvor waren Menschen so sehr damit konfrontiert, sich neu zu orientieren. Das hat, gemeinsam mit dem deutlichen Digitalisierungs-Boost, auch dazu geführt, dass neben der Unternehmensberatung die Neugründungen im Bereich Informationstechnologie die größte Gruppe der Jungunternehmer ausmachen. Gerade Tech-Start-ups haben den Blick über den Tellerrand gewagt, neue Geschäftsfelder erschlossen und neue Perspektiven für die Bereiche E-Commerce, Homeschooling oder Dienstleistung entwickelt. Auch damit werden immer mehr Geschäftsbereiche sichtbar, die noch vor wenigen Jahren leicht als unwirtschaftlich oder schlicht nicht zukunftsträchtig eingestuft wurden. Was bleibt? Ganz egal, ob man als Unternehmen neue Perspektiven für Teams und Mitarbeiter entwickeln muss oder als Mitarbeiter neue Kompetenzen im Arbeitsalltag erlangt: Bisher hat uns die Krise einiges gelehrt. Bleibt zu hoffen, dass es in Sachen Krisen-Lebensschule zumindest irgendwann eine große Pause gibt.