Jahrelang wurde verhandelt und diskutiert, nun liegt die EU-Lieferkettenrichtlinie vor. Sie legt die Verantwortung großer Unternehmen in der EU für allfällige Menschenrechts- oder Umweltverstöße ihrer Zulieferer fest und sieht drakonische Strafen vor. Vorerst wird aber noch nicht so heiß gegessen, wie gekocht wurde.
Text: Harald Klöckl
Das Unglück in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch im Jahr 2013 gilt als ein Auslöser: Damals kamen über 1.000 Menschen ums Leben, die letztlich im Auftrag von internationalen Konzernen arbeiteten. Eine EU-Richtlinie, die die Verantwortung für Menschenrechts- und Umweltverstöße inklusive Sicherheitsmaßnahmen bei der Produktion außerhalb der EU-Länder festlegt, kam auf das Tapet.
„Vollversion“ der Verantwortung erst im Jahr 2032.
Seit Februar 2022 wurde in den Organen der EU um ein „Lieferkettengesetz“ gerungen, im Frühjahr 2024 erfolgte der Beschluss für die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CSDDD). Dann müssen die EU-Länder das Gesetz binnen zwei Jahren in nationales Recht umsetzen. Als erste stehen frühestens drei Jahre nach Inkrafttreten der nationalen Regelung EU- und somit auch österreichische Unternehmen mit mehr als 5.000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von 1,5 Milliarden Euro in der Verantwortung. Ein Jahr später werden auch Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten und 900 Millionen Euro erfasst, ein weiteres Jahr später schon Unternehmen mit 1.000 Beschäftigten und 450 Millionen Umsatz. Durch diese Fristen wird die „Vollversion“ des EU-Lieferkettengesetzes erst 2032 in Kraft sein. Dann gilt es für rund 5.500 Unternehmen in der EU. Als Sanktionen gegen Verstöße drohen unter anderem Geldstrafen von bis zu 5 % des Umsatzes sowie Schadenersatzpflicht.
Zwischen Meilenstein und Gefahr für Klein- und Mittelbetriebe.
Der Beschluss im EU-Parlament erfolgte mit einer relativ knappen Mehrheit von 374 Ja- zu 235 Nein-Stimmen. Auf eher wenig eindeutige Begeisterung stößt die EU-Lieferkettenrichtlinie auch bei Regierung und Interessenvertretern in Österreich: Kanzler Karl Nehammer äußerte sich beiläufig, dass diese „eine richtige Absicht“ verfolge, aber falsch umgesetzt sei und kleine Betriebe überfordere. Ähnlich argumentierte auch Wirtschaftsminister Martin Kocher. Der Grüne Parlamentsklub hingegen bezeichnete das Gesetz als „Meilenstein im Kampf für Umweltschutz und Menschenrechte“.
Für Christoph Neumayer, Generalsekretär der Industriellenvereinigung, bedeutet die EU-Richtlinie „enormen bürokratischen Aufwand und erhebliche Kosten vor allem für Klein- und Mittelbetriebe“ und beschädige die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Europa. Seitens der Wirtschaftskammer hält Rosemarie Schön, Leiterin Abteilung Rechtspolitik, die CSDDD für ein „Bürokratiemonster, das die eigentlichen Ziele nach wie vor verfehlt“. Dass Klein- und Mittelunternehmen formal ausgenommen sind, sei in der Praxis irrelevant, wenn die Verpflichtungen entlang der Lieferkette weitergegeben werden müssen. „Der administrative Aufwand und die Kosten müssen bei der nationalen Umsetzung so gering wie möglich gehalten werden.“
Und die Unternehmen selbst?
Das Lieferkettengesetz hilft, Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten zu prüfen und einzuhalten.
Laut ausgesprochene Positionen sind rar. Unter dem Dach von WWF und Global 2000 forderten im Oktober 2023 70 Unternehmen die Regierung auf, sich bei der EU für ein ambitioniertes Lieferkettengesetz starkzumachen. Darunter IKEA Austria, Vöslauer, Oekostrom AG und die VBV-Vorsorgekasse. Mit dem finalen Text der EU-Lieferkettenrichtlinie (die Kriterien, welche Unternehmen betroffen sind, wurden im Vergleich zum Herbst deutlich aufgeweicht) gibt es nun Fakten, an denen man sich orientieren kann. Andreas Zakostelsky, CEO der VBV-Vorsorgekasse: „Mehr Umweltschutz und die Einhaltung der Menschenrechte weltweit sind seit Jahren auch unsere Anliegen. Das Lieferkettengesetz hilft, Sorgfaltspflichten entlang der Lieferketten zu prüfen und einzuhalten, das unterstützen wir.“ Er hofft, dass die finale Umsetzung möglichst dem Umweltschutz dient. „Dass es hier natürlich immer wieder Kompromisse geben wird, ist klar.“
Mehr Aufwand, aber Hilfe bei Transformation im Business.
Auch bei IKEA Austria begrüßt man die Sorgfaltspflicht in Bezug auf die Nachhaltigkeit grundsätzlich. „Das wird eine verbesserte Governance, fundierte Entscheidungsfindung und gezieltes Handeln ermöglichen“, so Country Sustainability Manager Florian Thalheimer. Konkret ändert sich für IKEA mit dem Lieferkettengesetz offenbar wenig: „Wir erwarten, dass die CSDDD uns dabei unterstützen wird, die Integration sozialer und ökologischer Erwägungen in Geschäftsbetrieb, Wertschöpfungskette und Geschäftsbeziehungen weiter zu verbessern“, man hoffe, dass die Umsetzungsleitlinien „zeitnah verabschiedet werden, damit Unternehmen und Behörden ausreichend Zeit haben, sich auf die Umsetzung entlang ihrer Lieferketten vorzubereiten“.
Die VBV ist wegen ihrer geringen Größe als Unternehmen konkret zwar nicht betroffen, aber, so Zakostelsky: „Indirekt spielt das Thema Lieferkette jedoch sehr wohl eine Rolle, vor allem in der Veranlagung unserer Kundengelder. Wir erwarten, dass sich die Datenlage in Bezug auf Verstöße gegen Menschenrechte sowie negative Auswirkungen auf die Umwelt bei den Unternehmen in unseren Portfolios deutlich verbessern wird. Das wird hoffentlich unsere Analyse der Veranlagungsprodukte vereinfachen.“ Beizeiten geäußerte Bedenken, wonach betroffene Unternehmen global einen Wettbewerbsnachteil erleiden könnten, kann er „in einem ersten Impuls nachvollziehen, weil natürlich ein bürokratischer Mehraufwand für die Unternehmen entstehen wird. Aber durch diese EU-weite einheitliche Regulierung für alle in der EU wird ein ‚level playing field‘ geschaffen. Es führt kein Weg an der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft vorbei, dafür ist die Einbeziehung der ganzen Wertschöpfungskette notwendig.“
Aus dem Magazin forum.ksv - Ausgabe 03/2024.