Start-ups als Krisen-Gamechanger?

Die Corona-Pandemie setzt vielen Unternehmen kräftig zu. Zugleich eröffnet sie aber neue Geschäftsmöglichkeiten. Wer diese zu nutzen versteht, kann gestärkt aus der Krise hervorgehen. Start-ups haben hierbei einen Vorteil.

Text: Raimund Lang

Startups

Maurice Beurskens gehört der Minderheit jener Menschen an, die aus wirtschaftlicher Sicht derzeit keinen Grund zum Klagen haben. Der gebürtige Holländer ist Geschäftsführer des Start-ups Gurkerl.at, das unter anderem Biolebensmittel innerhalb von drei Stunden ab Online-Bestellung nach Hause liefert. Seit Dezember 2020 ist es auf dem Markt aktiv, der Launch erfolgte also mitten in der Pandemie. Ursprünglich wollte man erst 2021 starten, doch das Management erkannte die Krise als Treiber großer Nachfrage nach einem modernen Lieferdienst. Die Krise als Gunst der Stunde? Das ist keineswegs eine Floskel aus dem Handbuch für Motivationstrainer, sondern vielmehr die Realität des Start-up-Denkens.

Schnell reagieren.

Zu behaupten, dass das Corona-Virus die globale Wirtschaftswelt radikal durcheinandergewirbelt hat, wäre wohl eine dezente Untertreibung. Wo Lockdowns den Konsum zum Erliegen bringen, liegen schnell ganze Branchen brach.

Bei uns ist alles digitalisiert, deswegen können wir schnell auf individuelle Bestellungen reagieren.

Doch gerade Start-ups haben aufgrund ihrer schlanken Struktur, aber auch wegen ihrer unkonventionellen Denkweise optimale Voraussetzungen, um Krisen nicht nur gesund zu überstehen, sondern sogar gestärkt aus ihnen hervorzugehen. Gurkerl.at etwa trifft mit seinem Konzept das Bedürfnis vieler Menschen, Supermärkten eher fernzubleiben, aber dennoch rasch an regionale Waren zu kommen. Neben österreichischen Biolebensmitteln bietet das Unternehmen im Grunde alles an, was es auch in Supermärkten gibt. Auf rund 5.000 m2 Lagerfläche sind etwa 8.500 Artikel vorrätig, von der Zahnpasta bis zum Raumspray. Dabei versteht sich Gurkerl.at keineswegs primär als Händler, auch nicht als Logistiker. „Wir sind im Herzen ein IT-Unternehmen“, sagt Beurskens. „Bei uns ist alles digitalisiert, deswegen können wir schnell auf individuelle Bestellungen reagieren.“ Die Software kommt komplett aus dem eigenen Haus, nichts ist zugekauft, betont der Manager. Und das Geschäft brummt offenbar. Bei Firmengründung im Juli 2020 startete man mit rund einem Dutzend Mitarbeitern, derzeit sind es etwa 150. Bis zum Jahresende sollen weitere 100 eingestellt werden.

Pläne revidieren.

Für Nikolaus Franke, Vorstand des Instituts für Entrepreneurship und Innovation an der Wirtschaftsuniversität Wien, sind Beispiele wie jenes von Gurkerl.at wenig überraschend. Vielmehr

Egal, was der Plan war – jetzt

ist jetzt.

sieht er darin die zentralen Tugenden von Start-ups in idealtypischer Weise umgesetzt. „Keine andere Organisationsform ist so schnell, flexibel und wendig wie Start-ups“, erklärt er. „Sie können sich rasch an Veränderungen anpassen.“ Ganz von selbst fliegt der Erfolg allerdings auch Start-ups nicht zu. Ein wenig Gehirnschmalz und offene Augen sind jedenfalls vonnöten. „Man muss als Erstes analysieren, was die Menschen wollen bzw. was ihnen in der aktuellen Situation fehlt“, rät Franke. Sein Credo: Jedes Problem hat eine Lösung, die zugleich die unternehmerische Chance ist. Dabei sollte man nicht davor zurückschrecken, Pläne zu revidieren, wenn diese nicht mehr passen: „Egal, was der Plan war – jetzt ist jetzt.“

Investorenstimmung steigt.

Ein ewiges Damoklesschwert ist die Finanzierung. Gerade in Krisenzeiten ist die Investitionsbereitschaft zumeist nicht stark ausgeprägt. Dennoch gibt es von der Finanzierungsfront auch positive Signale zu vermelden. So weist der Mitte des Vorjahres eingebrochene „European Venture Sentiment Index“ (EVSI) des Beteiligungsunternehmens Venionaire für das vierte Quartal 2020 eine Steigerung auf das Niveau des Frühjahres 2020 aus (bleibt dabei jedoch klar unter dem Niveau von 2019). Der EVSI quantifiziert die Stimmung unter europäischen Risikokapitalgebern. Über die Entwicklung der heimischen Start-up-Landschaft wiederum gibt der „Austrian Startup Monitor“ die wohl umfassendste Auskunft. Dem aktuellen Monitor zufolge, in dem das Jahr 2020 noch nicht erfasst ist, wurden zwischen 2008 und 2019 rund 2.200 Start-ups in Österreich gegründet. Die Anzahl der Neugründungen wuchs dabei um durchschnittlich 15 % pro Jahr. Wie stark sich die Pandemie auf diese Dynamik ausgewirkt hat, wird wohl der kommende Monitor zeigen.

Vorausdenken.

Doch besteht nicht die Gefahr, dass sich die Verhältnisse nach Beendigung der Pandemie wieder umdrehen? Dass all die innovativen Lösungen für die Krise nur während derselben funktionieren? Beurskens befürchtet das nicht. Er ist davon überzeugt, dass seinem Unternehmen mit der Kombination aus umfangreichem Produktsortiment und kurzer Lieferzeit eine nachhaltige Kundenbindung gelingen wird. Wirtschaftswissenschaftler Franke rät Start-ups dennoch dazu, immer auch an die „Zeit danach“ zu denken. Denn: „Die Krise wird nicht ewig dauern.“

Krisen-Tipps für Gründer

  1. Beobachten Sie den Markt: Was ändert sich durch die Krise? Welche Bedürfnisse verschwinden, welche entstehen neu?
  2. Sichern Sie Ihre Finanzierung nachhaltig.
  3. Haben Sie Mut zum Risiko.
  4. Seien Sie bereit, Pläne zu revidieren.
  5. Denken Sie an die Zeit nach der Krise. 

 

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