Bernadette Kamleitner, Leiterin des Institute for Marketing & Consumer Research an der WU Wien, forscht im Bereich der Verbraucherpsychologie. Im Interview erklärt sie, welche Rolle der Körper bei der Kaufentscheidung spielt und warum uns Fakten allein nicht überzeugen.
Interview: Markus Mittermüller
Wie läuft eine Kaufentscheidung im Kopf eines Konsumenten ab? Ist es möglich, diesen Prozess exemplarisch darzustellen?
Sehr lange ist man davon ausgegangen, dass es so etwas wie einen stereotypischen Kaufprozess gibt. Das heißt, ich habe ein Bedürfnis, irgendetwas fehlt mir, und ich versuche, dieses Bedürfnis zu stillen. Zuerst suche ich entsprechende Alternativen, vergleiche diese und treffe dann eine Entscheidung. In der Realität sind die Abläufe aber deutlich komplexer.
Haben Sie ein Beispiel dafür?
Nehmen wir folgendes täglich mehrmals auftretende Bedürfnis: Ich habe Hunger. Den kann ich sofort stillen, oder ich kann noch warten. Oder ich möchte ein zweites meiner offenen Bedürfnisse gleichzeitig befriedigen und einen für mich wichtigen Menschen treffen und mit ihm gemeinsam meine Mittagspause verbringen. Dann überlegt man sich zugleich, was die andere Person möchte oder wer die Entscheidung trifft, wohin man essen geht. Das Ganze wird dann auch noch durch das beeinflusst, was in meinem Kopf aus unterschiedlichsten Gründen gerade sehr salient, also sehr vordergründig präsent, ist. Zum Beispiel könnte ich zuvor einen Pizzakarton gesehen haben oder in einem Vorgarten Salat gesehen haben. Man sieht, wir haben als Konsumenten ein großes Feld an Optionen, und die Vorgänge sind komplex.
Bei dieser Vielfalt an Auswahlmöglichkeiten: Treffen wir die Entscheidungen, die zu einem Kauf führen, überwiegend bewusst oder unbewusst?
Die meisten Entscheidungen reflektieren wir sehr wenig, weil wir sehr gut darin sind, Entscheidungen mehr oder minder automatisch zu treffen. Viele Faktoren, die uns wirklich beeinflussen, sind uns nicht bewusst. Es hat viel mit dem zu tun, was wir gelernt haben. Dazu kommen noch unsere persönlichen Geschmäcker, die teilweise einfach damit zu tun haben, wie sich unsere Körper unterscheiden. Am Ende des Tages geht es nicht objektiv um Fakten, sondern wir interpretieren alles, was auf uns zukommt. Es geht immer um unsere Wahrnehmung von etwas. Ein klassisches Beispiel dafür ist: Eine Cola kostet 2,50 Euro. Wir finden das sehr günstig, wenn wir im Lokal sind, und teuer, wenn wir im Geschäft sind. Also selbst wenn es dasselbe Produkt ist, ändert sich unsere Interpretation, abhängig davon, in welchem Kontext wir etwas antreffen.
Der körperliche Aspekt ist interessant. Das heißt, auch der Körper entscheidet mit?
Unser eigener Körper spielt immer eine zentrale Rolle, das wird oft vergessen. Intelligenz oder Entscheidungen werden als etwas sehr Kognitives gesehen, aber jede Entscheidung wird in einem Körper getroffen. Ob ich jetzt Hunger habe, meine Augen stärker aufgehen, weil ich etwas toll finde, oder ich hingreifen möchte, wenn mir etwas gefällt. Ich fühle immer als Gesamtwesen, und wir reagieren als physische Wesen ganz unmittelbar auf die Dinge, die uns angeboten werden.
Welchen Einfluss haben andere Menschen bei unseren Entscheidungen?
Ob ein Produkt gut oder schlecht ist, ist für uns schwer zu beurteilen. Daher vergleichen wir es und bringen es mit etwas anderem in Verbindung.
Menschen sind immer sehr rezeptiv für den Einfluss anderer Menschen. Wir sind soziale Wesen und beeinflussen uns ständig gegenseitig. Selbst dann, wenn die anderen nicht da sind und uns Gedanken durch den Kopf gehen, was eine andere Person von einem selbst denken würde. Und das verwenden wir als Richtschnur, um aus allen Möglichkeiten auszuwählen. Auch das ist eine Erkenntnis der Sozialpsychologie. Ob ein Produkt gut oder schlecht ist, ist für uns schwer zu beurteilen. Daher vergleichen wir es und bringen es mit etwas anderem in Verbindung. Diese Referenzpunkte, die den Vergleich ermöglichen, sind ein extrem wichtiges Tool für uns. Als Menschen vergleichen wir uns ja auch ständig mit anderen Menschen und fühlen uns dann entsprechend gut oder schlecht, je nachdem, wen wir als Referenz gewählt haben. Das funktioniert auch für Produkte, und diese Vergleichspunkte kann man natürlich durch das beeinflussen, was man über ein Produkt sagt oder wo man es platziert.
Auch die Entscheidung, nachhaltig einzukaufen und umweltbewusst zu leben, fällen wir nicht rational?
Was uns sehr stark steuert, sind Werte, die unserem Leben eine gewisse Orientierung bieten. Also was ist uns wichtig, was bedeutet es für uns, ein gutes Leben zu führen, wie soll die Welt sein, in der wir gerne leben würden, was fühlt sich falsch und was fühlt sich richtig an? Wir alle haben einen moralischen Kompass. Unsere Überzeugungen reflektieren diesen Kompass und können durchaus auf rationalen Gründen fußen. Das ist aber nicht genug. Damit etwas unser Verhalten nachhaltig und beständig beeinflusst, müssen wir es auch spüren. Es muss eine emotionale, affektive Reaktion dazukommen.
Das bedeutet, nicht rationale Fakten überzeugen uns, sondern wir werden von Emotionen gelenkt?
Zahlen, Daten und Fakten sind schon wichtig, aber sie machen nicht die Essenz von einem Produkt oder einer Lebensentscheidung aus. Wenn wir zum Beispiel Markenlogos sehen, bekommen wir ein eigenes Gefühl für das Produkt. Eine Marke ist immer etwas, das eine Bedeutung jenseits dessen hat, was das Unternehmen produziert. Mit ihr verbinden wir automatisch Assoziationen wie Freiheit oder Vertrauen. Die einzelnen Elemente eines Logos, wie Farben und Formen, beeinflussen uns ständig, und wir reagieren darauf. Kleinigkeiten helfen uns, ein Gesamtbild von etwas zu entwickeln, das dann nicht nur logisch begründbar ist, sondern sich auch stimmig anfühlt.