Zuerst war es nur die „Grüne Wende“, nun zeigt auch der Russland-Ukraine-Konflikt, dass das Thema Energie in Europa neu gedacht werden muss. Zwar haben heimische Energieunternehmen die Weichen bereits gestellt, doch nun steigt der Zeitdruck.
Text: Stephan Scoppetta
Die Invasion Russlands in die Ukraine bringt nicht nur viel menschliches Leid mit sich, sie hat auch auf unser tägliches Leben massive Auswirkungen. Ein äußerst sensibler Punkt ist das Thema Energie. Schließlich kommen 80 % des im Inland benötigten Gases aus Russland. Seit Jahrzehnten müssen wir uns erstmals wieder Sorgen darüber machen, ob uns die nur zu 18 % gefüllten Gasspeicher über den Winter bringen, ohne dass jemand frieren muss. Was vor wenigen Wochen noch undenkbar schien, ist heute bittere Realität. Nun kann es mit der „Grünen Wende“ nicht schnell genug gehen, um die Abhängigkeit vom russischen Gas zu reduzieren.
Inflationstreiber Energie.
Die Österreicher spüren den Krieg Russlands mit der Ukraine und die „Gründe Wende“ auch in der Geldbörse, denn die steigenden Energiekosten sind einer der größten Inflationstreiber. Laut Schätzungen der Statistik Austria dürfte die Inflation im Februar bei ca. 5,9 % im Vergleich zum Vorjahresmonat liegen. Das ist der höchste Wert seit November 1984. Michael Strugl, Vorstand von VERBUND: „Wir müssen noch länger mit hohen Strompreisen rechnen. Es wurde erwartet, dass es nach der Heizperiode zu einer gewissen Entspannung kommt – das sieht aber nicht mehr so aus.“
Die Chancen der erneuerbaren Energie.
Österreich hat aufgrund seiner Topografie eine ausgezeichnete Ausgangsposition, um Strom aus unterschiedlichen nachhaltigen Energiequellen beziehen zu können. Leonhard Schitter, CEO Salzburg AG: „Wir können in Österreich drei Viertel unserer Stromerzeugung aus Wasserkraft, Wind- oder Sonnenenergie abdecken. Die Salzburg AG hat hier aufgrund der starken Wasserkraft einen Vorteil, dennoch haben wir Gasbedarf. Dieser wird derzeit mit rund 40 % aus Russland abgedeckt. Fest steht aber, dass wir die Abhängigkeit vom russischen Gas jetzt rasch abbauen müssen.“ Auch die LINZ AG hat sich ambitionierte Ziele gesetzt und ist hier bereits auf einem guten Weg. Zum Beispiel wird schon heute die Fernwärme zu einem großen Teil aus erneuerbaren bzw. nicht fossilen Brennstoffen erzeugt, wobei der Erneuerbaren-Anteil in den nächsten Jahren deutlich ausgebaut wird. „Nachhaltigkeit ist neben höchster Versorgungssicherheit längst im LINZ-AG-Leitbild, der Konzernstrategie sowie in der täglichen Unternehmenstätigkeit verankert“, erklärt Josef Siligan, Energievorstand der Linz AG.
Ambitionierte Ziele.
In der öffentlichen Diskussion wird häufig übersehen, dass der globale Umbau des Energiesystems das größte und ambitionierteste Infrastrukturprojekt dieses Jahrhunderts ist.
Das klimapolitische Ziel Europas ist es, massiv und möglichst schnell nachhaltige Energien, darunter vor allem Wind und Sonnenstrom, auszubauen. „Es sind heute schon die günstigsten Formen der Erzeugung und die Antwort auf die Frage, wie man längerfristig für günstigere Strompreise sorgen kann“, weiß Strugl. Aber weil die Erzeugung dezentral und schwankend ist, braucht es für eine sichere Stromversorgung auch Netze und Speicher. Das Gesamtsystem muss daher ebenfalls ausgebaut werden – und zwar synchron, ansonsten gibt es Verwerfungen. Schitter: „In der öffentlichen Diskussion wird häufig übersehen, dass der globale Umbau des Energiesystems das größte und ambitionierteste Infrastrukturprojekt dieses Jahrhunderts ist. Österreich gehört mit einem Anteil von 75 % an erneuerbaren Energien zu den Spitzenreitern in Europa. Dafür haben wir allerdings gut 130 Jahre gebraucht. Für die fehlenden 25 % bleibt uns angesichts der geopolitischen Situation jetzt wenig Zeit. Damit wir hier unabhängiger und nachhaltiger werden können, brauchen wir rasch regulative und wirtschaftliche Rahmenbedingungen, die uns eine baldige Transformation des Energiesystems ermöglichen. Wir können unsere Projekte nur dann realisieren, wenn wir auch die Menschen auf unserer Seite haben. Die Akzeptanz und – mehr als das – die Unterstützung der Bevölkerung ist für das Gelingen daher essenziell.“ Auch VERBUND-Chef Strugl ist davon überzeugt, dass es zu schaffen ist: „Europa will bis 2050 klimaneutral werden, Österreich bereits 2040. Ab 2030 soll der Gesamtstromverbrauch in unserem Land bilanziell und national gänzlich aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt sein. Die Zeit läuft, und die Aufgabe ist gigantisch. Aber ja, es ist schaffbar, wenn wirklich alle in diesem Land an einem Strang ziehen: von der Politik über die Industrie und die Wirtschaft bis zu jedem Bewohner Österreichs. Wir alle können und müssen dazu beitragen, die Energiewende gemeinsam zu schaffen.“
Atomstrom bleibt in Österreich ein Tabu.
Nachdem Gas aufgrund des Russland-Ukraine-Krieges keine stabile Alternative für die Zukunft mehr sein kann, „feiert“ Atomstrom ein Revival. Frankreich möchte 14 neue Atomkraftwerke bauen, und in Deutschland wird darüber nachgedacht, die bereits geplante Abschaltung der bestehenden Kernkraftwerke aufzuschieben. Strugl: „In Österreich gibt es ein verfassungsrechtliches Verbot von Atomkraftwerken. Dass in der EU-Taxonomie Atomkraft mit erneuerbaren Erzeugungstechnologien gleichgestellt wird, ist paradox. Es ist klar, dass die Atomstromerzeugung kein CO2 emittiert. Aber sie birgt andere erhebliche Risiken und ist deshalb umstritten. Die Taxonomieverordnung soll Finanzströme in die Technologien lenken, die darin als nachhaltig klassifiziert werden. Insofern ist es für uns als Erneuerbarer-Player schon irritierend, wenn Technologien wie Atomkraft und Gas dasselbe Gütesiegel bekommen.“ Auch für die Salzburg AG ist Atomenergie keine grüne Alternative: „Atomenergie produziert keinen ‚grünen‘ Strom. Wer aber heute Nein zur Atomenergie sagt, muss im selben Atemzug Ja zum Ausbau von Wasserkraft, Wind- und/oder Solarenergie sagen – auch wenn dies bedeutet, dass diese Energiewende vielleicht auch vor der eigenen Haustüre sichtbar wird“, so Schitter.