Bei der Beurteilung der Zahlungsunfähigkeit sind nur fällige Verbindlichkeiten maßgeblich. Prozessverfangene Verbindlichkeiten sind, weil vorerst nicht zu bezahlen, bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung nicht zu berücksichtigen. Lediglich wenn es sich um eine strittige Verbindlichkeit handelt, mit deren Durchsetzbarkeit aber in Kürze zu rechnen ist, etwa weil das Finanzamt mit einem Rückstandsausweis Exekution führen wird, ist die Forderung zu passivieren. Weitergehende Prognosen sind bei der Zahlungsunfähigkeitsprüfung nicht anzustellen, weil hier grundsätzlich nur auf fällige Verbindlichkeiten abzustellen ist (OLG Wien 28 R 90/15h).
Eine insolvenzrechtlich bedeutsame Überschuldung einer Kapitalgesellschaft ist nicht schon beim Überwiegen der Passiven über die Aktiven anzunehmen; vielmehr ist die rein rechnerische Überschuldungsprüfung durch eine Fortbestehensprognose zu ergänzen. Ihr ist eine realistische Einschätzung der künftigen Erträge und Aufwendungen zugrunde zu legen. Solange noch eine künftige positive Unternehmensentwicklung erwartet werden kann, die sich im Ertragswert und im good will niederschlägt, fehlt es an einer insolvenzrechtlich relevanten Überschuldung (RIS-Justiz RS0064962). Die Last der Glaubhaftmachung für die Überschuldung des Schuldners trägt der antragstellende Gläubiger. Es bestehen faktisch Grenzen, weil dem Gläubiger regelmäßig die notwendige Informationsquelle, nämlich das Rechnungswesen und die Buchhaltung des Schuldners, verschlossen bleibt. Der Umstand, dass der Gläubiger regelmäßig, aus welchen Gründen auch immer, nicht in der Lage sein wird, eine negative Fortbestehensprognose bzw entsprechende Indizien zu bescheinigen, rechtfertigt (nach der bestehenden Gesetzeslage) nicht den Entfall seiner Bescheinigungsverpflichtung im Fall der Behauptung. Vielmehr hat er seinen Gläubigerantrag, der (im Gegensatz zum Eigenantrag des Schuldners) keiner Frist unterliegt und jederzeit gestellt werden kann, auch hinsichtlich Überschuldung durch Darlegung von ausreichenden Indizien vorzubereiten.
Denkbar wäre, dass der Gläubiger eine negative Fortbestehensprognose in den Fällen bescheinigt, in denen eine Gesellschaft bereits ihre Auflösung beschlossen hat. Im Liquidationsstadium einer Gesellschaft kann nämlich keine positive Fortbestehensprognose mehr abgegeben werden. Ein weiterer denkbarer Fall wäre, dass der Gläubiger ein Amtslöschungsverfahren nachweist. Die Schwierigkeit des Gläubigers bei der Vorlage einer negativen Fortbestehensprognose bzw bei der Bescheinigung entsprechender Indizien führt nicht zum Übergang der Bescheinigungslast für eine positive Fortbestehensprognose auf den Schuldner. Solange der Antragsteller nicht beide Elemente der Überschuldung zumindest durch ausreichende Indizien ansatzweise bescheinigt hat, muss der Schuldner keine Gegenbescheinigung im Insolvenzeröffnungsverfahren antreten. In diesen Fällen ist das Insolvenzgericht nicht verpflichtet, auf die Überschuldung näher einzugehen. Insbesonders ist auch der Hinweis des Gläubigers, der Schuldner sei gemessen an seinem Stammkapital überschuldet, schon seinem Ansatz nach keine ausreichende Glaubhaftmachung.
ZIK 2017/142
IO: §§ 67, 70 Abs 1 und 3
OLG Wien 9. 5. 2016, 28 R 107/16k
Diesen Gläubigerschutztipp finden Sie im forum.ksv 4/2017.
Weitere Ausgaben des KSV1870 Mitgliedermagazins forum.ksv finden Sie auf www.ksv.at/forumksv .