Als KSV1870 sehen wir das kritisch. Denn Insolvenzen haben weitreichende finanzielle Auswirkungen und sollten eine ernste Angelegenheit bleiben. Sie nebenbei per Video abzufrühstücken, birgt die Gefahr der Bagatellisierung.
Autor: Karl-Heinz Götze
Die österreichische Insolvenzordnung wird von der Politik oft und gerne novelliert. Aktuell steht ein Teilaspekt auf der Agenda: die Durchführung von Verhandlungen im Rahmen von Insolvenzverfahren als Videokonferenzen. Einzug gehalten hat diese zeitlich begrenzte Praxis aufgrund der COVID-19-Pandemie auf Basis von § 3 1. COVID-19-JuBG. Nun liegt ein Entwurf (Artikel 5) zur Änderung der IO (§ 254 Abs. 3 IO) auf dem Tisch, der die Nutzung von Videokonferenzen auch weiterhin ermöglichen soll. Wir sehen das sehr kritisch, denn die Praxis während Corona hat gezeigt, dass eine stringente Verfahrensabwicklung nicht immer gewährleistet ist, die Wahrung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes in Gefahr ist und auch datenschutzrechtliche Überlegungen dagegensprechen.
Stichwort Unmittelbarkeitsgrundsatz
Wie in sämtlichen Zivilverfahren ist auch im Insolvenzverfahren der Unmittelbarkeitsgrundsatz ein zentrales Element und ein verfassungsrechtlich geschützter Verfahrensgrundsatz. Tagsatzungen in Insolvenzverfahren sollen dazu führen, dass alle Beteiligten einen umfassenden Eindruck über die Schuldner sowie deren wirtschaftliche Gebarung erhalten. Der persönliche Eindruck ist von entscheidender Bedeutung. Die Befragungen sind intensiv. Auch persönliche, sogar strafrechtlich relevante Sachverhalte werden erörtert. Insbesondere im Schuldenregulierungsverfahren werden Urkunden in der Tagsatzung vorgelegt, die die Gläubiger sichten müssen. Der Gang zu Gericht soll auf Seiten der Schuldner auch die Tragweite des Verfahrens deutlich machen – eine Videotagsatzung kann das nicht leisten. Aus unserer Analyse der Videotagsatzungen während der Corona-Pandemie geht in Summe hervor, dass bei Berichts- und Prüfungstagsatzungen aber insbesondere bei Abstimmungstagsatzungen ein spürbarer Qualitätsverlust in der Verfahrensabwicklung zu beobachten ist.
Einschränkungen bei der Abwicklung
Die Erörterung komplexer Themen - etwa die Fortführung eines Unternehmens, die Geltendmachung von Ansprüchen wie auch die Beantwortung von Fragen der Gläubiger - kann im Rahmen von Präsenzverhandlungen bedeutend besser abgehandelt werden. Aus unserer Sicht ist die Anwesenheit der Schuldner und der Gläubiger in Berichts- und Prüfungstagsatzungen erforderlich. Ein weiterer Aspekt ist die Entscheidungsfindung für die Gläubiger bei einer Abstimmungstagsatzung über einen Sanierungs- oder Zahlungsplan. Auch hier kommt es auf den Gesamteindruck (inkl. Körpersprache, Mimik usw.) des Schuldners an. Zudem wird der Sanierungs- bzw. Zahlungsplanantrag von uns in diesem Rahmen erneut auf Angemessenheit und Erfüllbarkeit überprüft und ist gegebenenfalls von den Schuldnern nachzubessern. Schwierig ist auch der Vorhalt von Unterlagen bei gleichzeitiger Befragung der Schuldner per Video. In Präsenztagsatzungen kann der Gläubiger den Schuldner zur Klärung offener Sach- und Rechtsfragen hingegen problemlos mit Urkunden konfrontieren.
Gläubigerinteressen schwerer zu wahren
Insbesondere bei Privatinsolvenzverfahren ist es üblich, dass im Rahmen der Tagsatzung eine Vielzahl von Urkunden von der Schuldnerseite vorgelegt wird: aktuelle Lohnzettel, Bewerbungsunterlagen, AMS-Bescheid, Bescheide zur Arbeitnehmerveranlagung der vergangenen fünf Jahre, etc. Diese Unterlagen sind zumeist tagesaktuell und können daher auch nicht vorab zur Verfügung gestellt werden. Zudem ist es nicht zielführend, ein Konvolut von Unterlagen über den digitalen Weg im Rahmen einer Videotagsatzung zu erörtern. Im Rahmen der Prüfungstagsatzung ist üblicherweise das Anmeldeverzeichnis und bekanntlich das Vermögensverzeichnis persönlich und tagesaktuell zu unterfertigen.
Last but not least, der Datenschutz
Dem Gericht werden im Rahmen der Verfahren hochsensible Daten zu Bescheinigungszwecken vorgelegt: die Einkommenssituation, die finanzielle Vermögenssituation, strafrechtliche Verurteilungen bis hin zu den insolvenzrechtlichen Ursachen, die regelmäßig im medizinisch-gesundheitlichen Bereich der Betroffenen liegen. Die Höhe der Forderungen der Gläubiger wird samt Rechtsgrund festgestellt. Sensible Urkunden werden zum Akt genommen. Daher hat der Gesetzgeber in der Vergangenheit zu Recht festgelegt, dass Verhandlungen in Insolvenzverfahren nur parteiöffentlich sind. Für Gläubigerausschüsse und deren Inhalt gelten nochmals verschärfte Regeln. Es herrscht absolute Verschwiegenheit, die wir bei Videotagsatzungen gefährdet sehen. Denn sie könnten aufgezeichnet und Dritten überlassen werden. Und natürlich kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass unberechtigte Dritte teilnehmen.
Zusammenfassend möchte ich hervorheben, dass die Digitalisierung auch im Rechtsbereich unumgänglich ist, jedoch müssen die Vorteile gegenüber den Nachteilen abgewogen werden. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass Präsenztagsatzungen am Gericht aus den angeführten Gründen zu bevorzugen sind. Die Anwesenheitspflicht bei Tagsatzungen sollte gesetzlich verankert werden. Nur so besteht für alle Verfahrensbeteiligten die entsprechende Rechtssicherheit.