Richter Holzhammer mit EU-Flagge im Hintergrund.

Nein, danke! EU-Insolvenz-Richtlinie zum Nachteil Österreichs

Die Europäische Union hat einen Vorschlag zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts veröffentlicht, der eine massive Verschlechterung für das heimische Insolvenzwesen bedeuten würde. Der KSV1870 wehrt sich im Sinne der Gläubiger.
 

Autor: Karl-Heinz Götze, Leiter KSV1870 Insolvenz
 

Zur Ausgangslage: Am 7. Dezember 2022 hat die Europäische Union einen Vorschlag zur Harmonisierung des EU-weiten Insolvenzwesens auf den Tisch gelegt, der insbesondere auf die Verschlankung und Effizienzsteigerung von Verfahren insolventer Kleinstunternehmen (per EU-Definition: max. 10 Mitarbeiter, 2 Mio. Euro Umsatz, 2 Mio. Euro Bilanzsumme) abzielt. Mit dieser Richtlinie (RL) sollten die Mitgliedstaaten nationales Recht schaffen, um das materiellrechtliche, vorinsolvenzrechtliche Verfahren europaweit zu vereinheitlichen.

Das angestrebte Ziel, Geldrückflüsse für Gläubiger und Anleger zu erhöhen und damit einhergehend deren wirtschaftliches Risiko zu reduzieren, klingt auf den ersten Blick vielversprechend. Doch bei genauerer Betrachtung würde dieser Vorschlag in seiner aktuellen Fassung eine nachhaltige Verschlechterung von Österreichs Insolvenzwesen darstellen. Ein Insolvenzwesen, das im internationalen Vergleich zu den besten und effizientesten zählt. Zwar würde diese Richtlinie in erster Linie Einfluss auf Verfahren von insolventen Kleinstbetrieben nehmen, doch nachdem in Österreich allein im Jahr 2022 rund 92 Prozent aller 4.775 Firmenpleiten Kleinstunternehmen (per EU-Definition) betroffen haben, hätte eine solche Neuregelung Auswirkungen auf das gesamte heimische System.

Vier Aspekte, die zeigen sollen, warum der KSV1870 einer solchen Neugestaltung mit größter Skepsis gegenübersteht, werden an dieser Stelle näher beleuchtet:

1. Definition von Kleinstunternehmen

Österreichs Wirtschaft ist kleinstrukturiert. Folglich fallen die meisten in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Betriebe unter die vom Vorschlag aufgestellten Parameter für Kleinstunternehmen. Für Österreich würde dies bedeuten, dass rund 90 Prozent der Insolvenzverfahren als Sonderverfahren für Kleinstunternehmer abzuwickeln wären. Die Folge: Deutlich mehr Aufwand für die heimischen Gerichte, der jedoch aufgrund der aktuellen Auslastung kaum bis gar nicht zu stemmen wäre. In weiterer Folge würde das deutlich längere (und damit auch teurere) Verfahren und für die Gläubiger ein zusätzliches finanzielles Risiko bedeuten. Um das zu entschärfen, wäre es aus Sicht des KSV1870 angebracht, die Definition von Kleinstunternehmen zu überdenken.

2. Kein Insolvenzverwalter

In Österreich wird die wirtschaftliche Gebarung eines Unternehmens nach der Insolvenzeröffnung einer detaillierten Prüfung durch einen Insolvenzverwalter unterzogen. Gerade bei Kleinstunternehmen, wo es erfahrungsgemäß oftmals schwierig ist, wirtschaftliche Entwicklungen im Nachhinein zu eruieren, wäre der Verzicht auf einen Insolvenzverwalter ein massiver Nachteil für die betroffenen Gläubiger und das Verfahren an sich. Das Fehlen eines Insolvenzverwalters würde es defacto unmöglich machen, pflichtwidriges Verhalten der Schuldner aufzudecken und daraus Ansprüche gegen unredlich handelnde Personen abzuleiten. Außerdem müssten die Gerichte sehr viele Funktionen zusätzlich übernehmen, was aufgrund der verfügbaren Ressourcen kaum machbar ist.

3. Die Zahlungsunfähigkeit

Dieser RL-Vorschlag sieht in der Zahlungsunfähigkeit den zentralen Insolvenzgrund bei Kleinstunternehmen. Die rechtliche Definition einer Zahlungsunfähigkeit wird jedoch den einzelnen Mitgliedstaaten überlassen, was wiederum die Gefahr unterschiedlicher Definitionen in sich birgt. Die Folge wären unterschiedliche Voraussetzungen für das Vorliegen der Insolvenzreife. Ein Aspekt, der gegen die ursprüngliche Idee der Harmonisierung sprechen würde. Zudem besteht die Befürchtung, dass auf europäischer Ebene häufiger als in Österreich keine ordnungsgemäßen betrieblichen Aufzeichnungen zur Erkennung einer Zahlungsunfähigkeit vorliegen würden. Und selbst in Österreich braucht es sehr häufig einen Sachverständigen, um die Frage der Zahlungsunfähigkeit zu klären. Auch deshalb, weil der Kleinstunternehmer mit lückenhaften wirtschaftlichen Aufzeichnungen erfahrungsgemäß oft gar nicht in der Lage ist, seine eigene Zahlungsunfähigkeit zu erkennen. Womit es auch schwierig wäre, verwertbare Assets in die Insolvenzquote einzubringen.  

4. Die Anfechtbarkeit und das System der Forderungsanmeldung

Laut dem RL-Vorschlag sollen anfechtungsrelevante Sachverhalte durch Mindeststandards europaweit vereinheitlicht werden. Damit würde insbesondere in Österreich ein gut funktionierendes System nachhaltig geschädigt werden. Aktuell erhalten Gläubigerschutzverbände wie der KSV1870 die Unterlagen von Gläubigern, prüfen und übergeben diese gesammelt an das jeweilige Gericht, wo sie vom Insolvenzverwalter bestätigt werden oder nicht. Der aktuelle Vorschlag sieht hingegen vor, dass der Schuldner die Schuldenhöhe bekannt gibt (mitunter ohne das tatsächliche Schuldenausmaß zu kennen), was deutlich höhere administrative Aufwände aufseiten der Gläubiger und Gerichte nach sich ziehen würde.
Gleichzeitig wird aber die Anfechtbarkeit im geplanten Liquidationsverfahren für Kleinstunternehmen massiv zurückgedrängt. Gerade bei Kleinstunternehmen mit kaum werthaltigem, körperlichem Vermögen stellen Anfechtungsansprüche oftmals den für die Insolvenzmasse einzigen, bzw. relevanten Wert dar. Aus Sicht des KSV1870 geht mit dem aktuell vorliegenden Vorschlag das Bestreben nach einem einfachen und schnellen Verfahren stark zu Lasten der Gläubigerinteressen.

Gläubigerinteressen im Fokus

Kurzum: Das Ziel, Liquidationsverfahren von Kleinstunternehmen zu verbessern (Effizienzsteigerung von Insolvenzverfahren; Verkürzung der Verfahrensdauer; Kostensenkung der Abwicklung), kann aus Sicht des KSV1870 mithilfe dieser Richtlinie nicht erreicht werden. Deshalb steht der Gläubigerschutzverband einer EU-weiten Harmonisierung des Insolvenzrechts auf Basis dieser Richtlinie äußerst kritisch gegenüber. Vor allem deshalb, weil sämtliche dieser geplanten Maßnahmen zu Lasten der Gläubiger gehen würden. Darüber hinaus verfügen die Gerichte über keine ausreichenden Ressourcen, zusätzliche Aufgaben zu übernehmen. Die Folgen wären eine deutliche Verlängerung sämtlicher Verfahren, was auch den Kostenfaktor unnötig belasten würde. Zudem würde so manche Sanierung überhaupt zum Scheitern gebracht werden.

Um unseren Einschätzungen zusätzlichen Nachdruck zu verleihen, haben wir eine umfassende Stellungnahme an die zuständige EU-Kommission sowie die österreichische Reformkommission übermittelt.

Die Stellungnahme des KSV1870 zur Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts – COM(2022) 702 stehen hier zur Verfügung:

Stellungnahme DE
Stellungnahme EN