Eine Analyse über die Schlagkraft des „vorinsolvenzlichen Restrukturierungsverfahrens“ aus Sicht des Gläubigerschutzes.
Autor: Jürgen Gebauer, KSV1870 Insolvenzexperte
Im Zuge der Umsetzung der Restrukturierungs- und Insolvenz-Richtlinie (RIRL) wurde die Restrukturierungsordnung (ReO) aus der Taufe gehoben. Die ReO ist am 17.07.2021 in Kraft getreten. Ihr Kern: Insolvenzgefährdeten, aber noch nicht zahlungsunfähigen Unternehmen wird ermöglicht, in einem gerichtlichen Restrukturierungsverfahren den Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Einige Bestimmungen sind der österreichischen Insolvenzwelt neu, manches steht auch im Widerspruch zu den Grundsätzen des Insolvenzrechts, etwa was die Gleichbehandlung der Gläubiger betrifft. Denn im Rahmen des Restrukturierungsverfahrens kann der Unternehmer nun mit von ihm definierten Gläubigern, die in Gläubigerklassen einzuteilen sind, einen Deal über einen Schuldenschnitt ausverhandeln und sie von seinem Restrukturierungskonzept überzeugen.
Was bei dieser Restrukturierung notwendig ist
Strebt ein Unternehmer dieses Verfahren an, darf der Betrieb, wie bereits erwähnt, noch nicht zahlungsunfähig sein. Es kann nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sich - bildlich gesprochen - am Horizont ein Unwetter formiert, sprich die Zahlungsunfähigkeit droht bzw. bald wahrscheinlich ist. Zur Vorbereitung auf das Verfahren hat der Unternehmer ein Restrukturierungskonzept auszuarbeiten. Darin muss er glaubhaft beschreiben, wie er den zukünftigen Fortbestand des Unternehmens sichern will und welche Maßnahmen er dafür plant. Im Idealfall enthält der Antrag bereits einen Restrukturierungsplan. Er kann aber auch im Laufe des Verfahrens nachgereicht werden. Der Plan bedarf der Zustimmung der vom Schuldner miteinbezogenen Gläubiger. Welche das sind, entscheidet der Unternehmer. In der Regel wird er auf jene zugehen, die für den Fortbestand bzw. die Umsetzung des Restrukturierungsplans entscheidend sind. Die Forderungen der nicht involvierten Gläubiger bleiben vom Verfahren unberührt und müssen in vollem Umfang bezahlt werden. Dazu gehören auch Arbeitnehmerforderungen. Im Gegensatz zu den involvierten Gläubigern, können die nicht miteinbezogenen Gläubiger weiterhin Exekutionen führen.
Neu: Gläubigerklassen im Verfahren
Die in das Restrukturierungsverfahren miteinbezogenen Gläubiger werden in Klassen eingeteilt. An der Spitze stehen die besicherten Gläubiger. Die weiteren Klassen bilden unbesicherte Gläubiger, Anleihegläubiger, schutzbedürftige Gläubiger (Forderung unter 10.000 Euro) und nachrangige Gläubiger. Jede Klasse stimmt über den in der Restrukturierungsplantagsatzung vorgelegten Restrukturierungsplan, der im Unterschied zum Sanierungsplan im Rahmen eines Insolvenzverfahrens keine Mindestquote beinhalten muss, ab. Grundsätzlich müssen in jeder Klasse mehr als 50 Prozent der anwesenden Gläubiger und mehr als 75 Prozent der betroffenen Forderungen für die Annahme des Plans votieren. Aber das Gericht kann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen dem Restrukturierungsplan auch dann die Bestätigung erteilen, wenn nicht alle Klassen zugestimmt haben. Nicht zustimmende Klassen können also vom Gericht überstimmt werden (Cram-down). Das bedeutet eine Einschränkung der Mitbestimmungsrechte einzelner Gläubigergruppen und hat einen Mehraufwand für die Gerichte zu Folge, die prüfen und entscheiden müssen.
Restrukturierungsbeauftragter als Schnittstelle
Unterstützung erhält der Schuldner im Rahmen des Verfahrens von einem Restrukturierungsbeauftragten. Dieser ist nicht zwingend zu bestellen, außer das Gericht erachtet eine Bestellung für notwendig. Ganz allgemein gibt es aber gute Gründe, warum ein Restrukturierungsbeauftragter involviert sein sollte. Die Erfahrung aus Insolvenzverfahren zeigt, dass Insolvenzverwalter einen wesentlichen Beitrag für das Gelingen von Sanierungen leisten. Zudem können die Geschäftsführer der maroden Unternehmen nicht einfach weiterwirtschaften wie bisher, sondern werden gewissermaßen „beaufsichtigt“. Positiv betrachtet kommen so auch neue Impulse ins Unternehmen. Die Aufgaben eines Restrukturierungsbeauftragten sind zwar nicht unbedingt mit denen eines Insolvenzverwalters zu vergleichen, dennoch sorgt dieser als professionelle Schnittstelle zwischen Schuldner und Gläubiger für einen effizienten Ablauf des Verfahrens. Der Fokus der Arbeit des Restrukturierungsbeauftragten liegt in der Unterstützung des Schuldnerunternehmens bei der Ausarbeitung und Aushandlung des Restrukturierungsplans.
Rolle der Gläubigerschutzverbände
Im Unterschied zum Insolvenzverfahren sieht die ReO nicht vor, dass das Restrukturierungsverfahren von Amts wegen in der Ediktsdatei zu veröffentlichen ist. Auch eine Verständigung der bevorrechteten Gläubigerschutzverbände durch das Gericht ist nicht vorgesehen. Sie sind von der Akteneinsicht ausgenommen, wodurch sie in das Verfahren grundsätzlich nicht eingebunden sind. Aber der Schuldner oder ein Gläubiger kann einen Verband aktiv ins Verfahren holen. Diese Zurückdrängung ist dennoch nicht nachvollziehbar, schließlich hat sich die Mitwirkung der Gläubigerschutzverbände bei Insolvenzverfahren als ein in Europa einzigartiges Erfolgsmodell bewährt. Durch die Bündelung von Gläubigerinteressen sorgen die Verbände für gut vorbereitete Sanierungsplantagsatzungen. Aufgrund unserer Expertise werden Verhandlungsergebnisse erzielt, die rund einem Drittel aller insolventen Unternehmen eine Sanierung ermöglichen. Auch das Gericht wird durch die Mitwirkung der Gläubigerschutzverbände entlastet. Leider kennt das europäische Recht die „Institution Gläubigerschutzverband“ nicht, daher wurden die Verbände auch nicht so prominent berücksichtigt.
Sonderverfahren: zwei zusätzliche Möglichkeiten
Es handelt sich dabei um das Europäische Restrukturierungsverfahren und um das vereinfachte Restrukturierungsverfahren. Im Unterschied zum allgemeinen Restrukturierungverfahren wird das Europäische von den Gerichten öffentlich bekanntgemacht. Auch haben Gläubiger auf Antrag des Schuldnerunternehmens in diesem Verfahren ihre offenen Forderungen wie im Insolvenzverfahren bei Gericht anzumelden. Das Europäische Restrukturierungsverfahren entspricht den Anforderungen der EU- Insolvenzverordnung und ist insbesondere für jene Unternehmen zu empfehlen, die über Vermögenswerte im EU-Ausland verfügen, da es auch im EU-Ausland anerkannt wird. Sind von einer beabsichtigten Restrukturierung nur Finanzgläubiger betroffen, dann kann das Schuldnerunternehmen die Eröffnung eines sogenannten vereinfachten Restrukturierungsverfahrens beantragen. Hier wird dem Gericht bereits ein mit den relevanten Gläubigern ausverhandeltes Restrukturierungspaket vorgelegt. So kann dieses vom Gericht rasch bestätigt werden. Es bedarf keiner eigenen Abstimmungstagsatzung. Dieses Verfahren kann bei guter Vorbereitung sehr zügig über die Bühne gebracht werden.
Transparenz schützt Gläubiger
Die Konzeption des vorinsolvenzlichen Verfahrens als geheimes Verfahren halten wir für fragwürdig. Unsere langjährige Erfahrung aus Insolvenzverfahren zeigt, dass gerade zu Beginn eines Verfahrens ein erheblicher Beratungs- und Kommunikationsbedarf der Gläubiger besteht. Sie wollen über die wirtschaftlichen und rechtlichen Konsequenzen professionell aufgeklärt werden und das kann der KSV1870 leisten, weil er informiert ist. Darüber hinaus steht es aber auch potenziellen Vertragspartnern zu, über ein solches Verfahren informiert zu werden. Schließlich gehört es zur Sorgfaltspflicht eines jeden Unternehmens, das Ausfallrisiko seiner Geschäftspartner im Blick zu behalten und gegebenenfalls Zahlungs- und Lieferkonditionen anzupassen. Dies tun sie mithilfe von Bonitätsauskünften, die selbstverständlich alle relevanten Informationen enthalten müssen, um ein realistisches Abbild der finanziellen Situation eines Unternehmens zeichnen zu können.
Wird das Verfahren ein Renner?
Aus heutiger Sicht bleibt abzuwarten, ob sich das Restrukturierungsverfahren in der Praxis tatsächlich bewähren wird. Zwar steht das Verfahren allen Unternehmen offen, aus unserer Sicht eignet es sich aber eher für Unternehmen ab einer gewissen Größe bzw. für Unternehmen, die auf professionelle Wirtschaftsberatung zurückgreifen können. Denn das Verfahren muss gut vorbereitet sein, insbesondere das Restrukturierungskonzept bzw. der -plan. Das ist für kleinere Unternehmen mit weniger Ressourcen schwerer zu bewerkstelligen.
Und aufgrund der Tatsache, dass das österreichische Insolvenzrecht mit gut funktionierenden Sanierungsinstrumenten ausgestattet ist, sind wir skeptisch, ob das Restrukturierungsverfahren von angeschlagenen Unternehmen genutzt werden wird. Auch das 1997 ins Leben gerufene und nach wie vor in Geltung befindliche Unternehmensreorganisationsgesetz findet aktuell kaum Anwendung. Doch ein „aber“ gibt es: Im Vergleich zu außergerichtlichen Sanierungen punktet das Restrukturierungsverfahren durchaus, denn dabei wird der Restrukturierungsplan allen betroffenen Gläubigern klar kommuniziert und das Verfahren wird unter Aufsicht des Gerichts abgewickelt.
Wer mehr zu diesem Thema erfahren möchte, dem empfehlen wir unser aktuelles Webinar zur Insolvenzrechtsreform.