1.000 neue Start-ups schießen in Israel jedes Jahr aus dem Boden. Militär, Mentalität und Mut zu scheitern sind Faktoren, die internationale Konzerne in das Land locken.
Text: Markus Mittermüller
Start-ups und das Silicon Valley gehören einfach zusammen. Die kalifornische Region gilt als das weltweite Flaggschiff junger wie auch prominenter Unternehmen der IT- und Hightech-Industrie. Den Rekord für die höchste Konzentration von Start-ups pro Einwohner hält jedoch ein anderes Land: Israel. Mit mehr als 6.000 Jungunternehmern liegt das Land am östlichen Mittelmeer auch nach absoluten Zahlen weltweit auf Platz zwei hinter dem US-Bundesstaat Kalifornien. Zum Vergleich dazu ein Blick nach Österreich: Laut dem Austrian Start-up Monitor 2018 gibt es hier rund 1.500 Jungunternehmen. Während in Israel pro Jahr 1.000 neue Start-ups hinzukommen, sind es in Österreich lediglich 250. Wie schafft es Israel, das ein Viertel der Fläche und eine ähnliche Einwohnerzahl wie Österreich hat, so zu reüssieren?
20 Jahre Vorsprung. „Das Land und speziell Tel Aviv haben 20 Jahre Vorsprung, daher ist es schwierig, die beiden Länder zu vergleichen“, erklärt Günther Schabhüttl. Er ist seit 2013 als österreichischer Handelsdelegierter in Israel und kennt die Gründe für den Start-up-Boom. „Hier gibt es im eigenen Land keinen Markt. Daher war es immer schon notwendig, auf internationalen Märkten zu verkaufen. Der Austausch mit globalen Konzernen ist überlebenswichtig“, so Schabhüttl. 320 weltweit agierende Unternehmen haben sich allein in Tel Aviv niedergelassen – von BMW über Siemens bis zu Continental. Dass die Start-up-Kultur hier so floriert, liegt auch an der besonderen Rolle der israelischen Armee, die Hightech-Experten ausbildet und die Ergebnisse ihrer Forschungen auch zivilen Institutionen zur Verfügung stellt. Israelis fragen einander nicht, wo sie studiert haben, sondern in welcher Einheit des Militärs sie gedient haben. Und zwar Männer und Frauen.
"Funktioniert eine Geschäftsidee eines Gründers nicht, bekommt er in Israel dennoch Kapital für seinen nächsten Versuch."
„Coopetition“ als Teil der Kultur. Die israelische Mentalität stellt einen elementaren Baustein der erfolgreichen Wirtschaft dar. So ist etwa „Coopetition“, die Mischung aus Kooperation und Wettbewerb, tief in der Kultur verankert. „Der ganze Tag ist hier ein Pitch. Jeder erzählt jedem, was er gerade macht. Und das völlig unverkrampft“, so Schabhüttl. Was auf Neudeutsch Informations-Sharing genannt wird, das hat in Israel seine Wurzeln im Mentoring. „Erfolgreiche CEOs erzählen ihre Geschichte, geben ihr Know-how weiter und unterstützen junge Unternehmer beim Aufbau ihres Geschäfts“, erklärt der österreichische Handelsdelegierte. Außerdem: Im Gegensatz zu Österreich ist Scheitern hier kein Tabu. Anna Dunietz, Managerin bei Deloitte, reist jede Woche nach Israel, um die neuesten Fintech-Lösungen aufzuspüren. „Funktioniert eine Geschäftsidee eines Gründers nicht, bekommt er in Israel dennoch Kapital für seinen nächsten Versuch“, erzählt Dunietz.
Hand in Hand: Staat und Private. Apropos Kapital: Der Staat fördert seine Jungunternehmer nicht nur mit finanziellen Anreizen, sondern auch mit Infrastruktur. Zudem wurde als zentrale Anlaufstelle die National Authority for Technology and Innovation geschaffen. Staat, Private und Forschungseinrichtungen gehen hier Hand in Hand. Es gibt über 100 Accelerator-Programme – also Initiativen, bei denen Gründer intensiv bei der Entwicklung ihres Geschäftsmodells unterstützt werden. Alleine in Tel Aviv hat sich die Anzahl von Accelerators, Co-Working Spaces und Innovationszentren innerhalb von drei Jahren mehr als verdoppelt.
Und was ist speziell für österreichische Banken und Finanzdienstleister am israelischen Start-up-Markt interessant? „Natürlich die digitalen Technologien – insbesondere die Themen Künstliche Intelligenz und Cyber Security“, meint Dunietz. Dabei geht es etwa um Programme, die Financial Health Checks für Kunden ermöglichen oder Finanzangestellte bei der Arbeit unterstützen. Während heimische Unternehmen vorrangig neue Technologiepartner suchen, übernehmen globale Konzerne meist gleich das gesamte Start-up und engagieren israelische Talente. Dieser „Ausverkauf“ kann jedoch auch zum Problem werden, so Schabhüttl: „Viele Start-ups sind daher bemüht, so lange wie möglich unabhängig zu bleiben.“ Viele multinationale Firmen seien sogar aus reinen Werbezwecken in Israel. „Allein die Präsenz nutzen Unternehmen zum Marketing. Es geht darum, vor Ort und sichtbar zu sein.“
Österreich zieht nach. Dieser Erfolgslauf ist auf Österreich nicht eins zu eins übertragbar. Organisatorische Rahmenbedingungen könnten aber durchaus auf israelisches Niveau gehoben werden, wie Dunietz erklärt: „Eine Gründung in Österreich dauert 21 Tage und mehr, in Israel nur ungefähr die Hälfte. Die Regierung unterstützt die jungen Unternehmen sehr stark.“ Bei den Förderungen sieht Rudolf Dömötör, Direktor des Gründungszentrums der WU Wien, Österreich gut aufgestellt: „Mehr als die Hälfte der Gründer nimmt diese Förderungen auch in Anspruch.“ Überhaupt ist er mit der Entwicklung der heimischen Start-ups zufrieden. Zwischen 2004 und 2016 sind die Gründungszahlen im Schnitt jährlich um rund 20 % gestiegen.
Ein leidiges Thema sei hingegen der Bereich Wachstumskapital: „Finanzierungen bis 500.000 Euro funktionieren gut. Alles, was darüber hinausgeht, ist nur über das Ausland möglich“, erklärt Dömötör. Zwei Drittel der heimischen Start-ups verfolgen ein digitales Geschäftsmodell. „Speziell Wien ist beim Thema Chatbot oder Blockchain gut unterwegs“, sagt der Direktor. Ein Trend lässt sich bereits heute erkennen: Unternehmerisches Denken werde immer stärker genutzt, um gesellschaftliche Probleme wie Armut zu lösen. Und in Israel? Dort hat sich vor kurzem der Internet-Gigant booking.com drei Stockwerke in einem Businesstower gemietet. „Das Feld Tourismus, kombiniert mit Hightech, ist absolut im Wachsen“, so Schabhüttl.