Mit Augen und Ohren immer am Kunden

Eine geniale Idee allein ist zu wenig, um ein Produkt später auch zu verkaufen. Nur wer die Kunden von Beginn an mit einbindet, kann am Markt erfolgreich sein.

Text: Markus Mittermüller

Mit Augen und Ohren immer am Kunden

Selbst Deutsche werden sich schwertun, die Gemeinde Haßloch in Rheinland-Pfalz auf der Landkarte zu finden. Doch der 20.000-Einwohner-Ort hat es schon zu einer gewissen Berühmtheit gebracht. Hier entscheidet sich nämlich, ob neue Produkte auf den Markt kommen oder nicht. Denn was die Haßlocher einkaufen, das wird in ganz Deutschland oder sogar europaweit in die Regale gestellt. Was die Bewohner von Haßloch nicht überzeugt, bekommen andere erst gar nicht zu sehen.

Blick in den Einkaufswagen.

Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) betreibt in Haßloch seit 1986 einen einzigartigen Testmarkt. Von den über 12.000 Haushalten lassen sich 3.400 freiwillig in den Einkaufswagen blicken. Diese Käufer sind so ausgewählt, dass sie die deutsche Bevölkerung im Kleinen abbilden. Dass der Ort ein idealer Testmarkt ist, zeigen die erhobenen Daten der GfK – diese stimmen zu 90 % mit den späteren Marktdaten überein. Und nicht nur das Produkt selbst, auch die dazugehörige Werbung lässt sich testen. Sie kommt – in Form von speziellen TV-Spots, die in Haßloch eingespeist werden – via Kabelfernsehen in die Testhaushalte, ohne dass diese es merken. 1986 waren bereits 90 % des Ortes mit Kabelfernsehen ausgestattet – ein Grund, Haßloch den Zuschlag als Testmarkt zu geben. Ein Unternehmen, das so einen Produkt-Testlauf durchspielen will, muss allerdings schon tiefer in die Tasche greifen. Die Kosten dafür starten bei 200.000 Euro.

Teures Testland.

„Das ist schon die Luxusvariante, um ein Produkt zu testen“, sagt Christina Holweg, Associate Professor am Institut für Handel und Marketing der Wirtschaftsuniversität Wien. Sie selbst war für den Konsumgüterhersteller Procter & Gamble tätig, wo sie Produkte mitentwickelt und getestet hat. So wurde damals etwa für die Bounty-Küchenrolle Österreich als Testland ausgewählt. „Auch die Niederlande sind ein beliebtes Testland, weil es klein ist und weltoffen“, so Holweg.

Ich habe eine Idee, entwickle ein fertiges Produkt und werfe es auf den Markt. Wer so agiert, macht einen großen Fehler.

Doch sind wirklich hunderttausende Euro nötig, um ein Produkt oder eine Idee zu testen? Was können kleinere Unternehmen tun, um einen teuren Flop zu vermeiden? „Ich habe eine Idee, entwickle ein fertiges Produkt und werfe es auf den Markt. Wer so agiert, macht einen großen Fehler“, sagt Katja Hitz, Geschäftsführerin des deutschen Unternehmens five digital. Sie kümmert sich um den Aufbau digitaler Vertriebskanäle und neuer Geschäftsmodelle für mittelständische Unternehmen. Der erste Gedanke vor einer Produktentwicklung sollte hingegen sein: Wer ist meine Zielgruppe, und welche ihrer Probleme und Bedürfnisse kann ich mit meiner Idee lösen? Um das herauszufinden, sind keine großen finanziellen Mittel notwendig. Zu Beginn reicht es, das Internet zu durchforsten: „Gibt es zum Problem bereits Suchanfragen auf Google? Oder existieren Foren und Gruppen, in denen das Thema von der Zielgruppe diskutiert wird?“, listet Hitz Möglichkeiten auf, sich den potenziellen Kunden zu nähern.

Betroffene kennen die Ideallösung.

Im zweiten Schritt empfiehlt die Expertin, bis zu zehn persönliche Gespräche mit Personen aus der Zielgruppe zu führen. „Damit kann man sich schnell Feedback holen, und man bekommt oft völlig neue Hinweise“, sagt Hitz. Zum Beispiel, wie die Zielgruppe das Problem derzeit löst und welche Vorstellungen sie davon hat, wie eine Ideallösung aussehen könnte. In der Phase dieses „Konzepttests“, wie Holweg ihn nennt, existiert immer noch kein Produkt: „Erst danach entwickle ich das Produkt und teste es ab, zum Beispiel mittels Fokusgruppe oder Befragung.“ Dies kann im kleineren Kreis mit bis zu sechs Personen geschehen. Bei Befragungen, persönlich oder online, auch breiter.

„Minimal überlebensfähiges Produkt“.

Aus der Essenz der Rückmeldungen entsteht dann ein Produkt – das allerdings noch lange nicht das Endprodukt ist. Vielmehr handelt es sich um ein Minimum Viable Product (MVP), also ein „minimal überlebensfähiges Produkt“. Ursprünglich stammt der Begriff aus dem Silicon Valley, wo junge Tech-Start-ups bereits erfolgreich mit dem Konzept arbeiten. „Dieses Minimum Viable Product hat jedoch die wichtigsten Eigenschaften des zukünftigen Produkts und zeigt vor allem den Nutzen auf, den es den Kunden bietet“, erklärt Hitz.

Ein Minimum Viable Product hat die wichtigsten Eigenschaften des zukünftigen Produkts und zeigt vor allem den Nutzen auf, den es den Kunden bietet.

 

Ein Beispiel dafür ist der Online-Speicherdienst Dropbox. Statt einen Prototypen zu entwickeln, drehte das Start-up anfangs lediglich ein Video, das zeigte, wie der Dienst funktionieren sollte – und ermöglichte den Besuchern der Website, sich per E-Mail informieren zu lassen, sobald der Dienst verfügbar ist. Viele trugen ihre E-Mail-Adresse ein, die Hypothese der Nachfrage nach dem Dienst bestätigte sich. „Interessenten konnten sich auch als Beta-Tester registrieren. Innerhalb weniger Wochen hatte das Unternehmen über 30.000 Tester“, so Hitz.

Mit Chatbots vorne dabei.

Wie man konkret Interessenten wie diese findet, wissen die Verkaufsexperten Gerhard Feiler und Gernot Krickl von der Unternehmensberatung wir-sind-verkauf.com. „Über vier Millionen Österreicher sind auf Facebook. Also auch Geschäftsführer, die hier oft mit privaten Profilen vertreten sind. Somit ist Facebook ebenfalls für den B2B-Bereich interessant“, erklärt Feiler. Mit einer Werbeeinblendung, die direkt auf eine ganz konkrete Zielgruppe abgestimmt wird, können mehrere Tausend Personen erreicht werden – und das laut Krickl mit einem Budget von nur ein paar hundert Euro. Ziel dieser Werbung ist, die Interessenten auf eine Landing Page zu leiten. Wenn die potenziellen Kunden dort ihre Kontaktdaten eintragen, können sie über weitere Details und Entwicklungen zum Produkt informiert werden. Um möglichst nahe am Kunden zu sein, sind Chatbots eine Überlegung: Hier liegt die Öffnungsrate oftmals bei 85 %, weil die Nachricht direkt am Handy aufpoppt. Beim E-Mail-Marketing liegen die Öffnungsraten hingegen bei 20 %.

Erst dann empfiehlt Hitz, „den Geldhahn ganz gezielt aufzudrehen“. Also auch mehr ins Marketing und den Webauftritt zu investieren. Und selbst nach dem Markteintritt lohnt es sich laut Holweg, „Augen und Ohren weiter am Kunden zu haben“.