Moderne Leader: Das Ende von „allwissenden“ Chefs?

Führungskräfte müssen sich ändern, da autoritären Chefs die Mitarbeiter weglaufen und auch Homeoffice neue Aufgaben mit sich bringt. Nur wer seinem Team dient, trägt zum Erfolg des Unternehmens bei.

Text: Markus Mittermüller

Moderne Leader

Die Situation kennt wohl jeder: Ein Mitarbeiter bringt gute Leistungen, ist seit Jahren im Unternehmen und verhält sich loyal. Der nächste Karriereschritt hin zur Führungskraft ist nicht nur logisch, sondern quasi unvermeidbar. Ob die Person dafür geeignet ist, spielt meist keine Rolle. „Das wird oft zu einer Lose-lose-Situation. Denn das Unternehmen verliert einen sehr guten Experten und bekommt dafür eine mittelmäßige Führungskraft“, sagt Max Lammer, der sich als Trainer und Employee Experience Designer mit Innovationsstrategien, digitaler Transformation und der „New World of Work“ beschäftigt. Dass herkömmliche Muster beim Thema Führung nicht mehr wirklich funktionieren, das spüren die heimischen Unternehmen. Das Bild des dominanten, mächtigen Chefs, der alles weiß und die Richtung vorgibt, hat schon länger Risse bekommen.

Erkenntnisse der 1980er nicht umgesetzt.

Eines vorweg: Neu ist das alles nicht. „Vieles, was wir heute dazu hören, kennen wir schon aus den 1980er- und 1990er-Jahren. Nur wurden und werden diese Erkenntnisse leider viel zu selten tatsächlich umgesetzt“, erklärt Birgit Feldhusen, Leiterin des Zentrums für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre an der Donau-Uni Krems. Aktuelle Entwicklungen wie die Digitalisierung, zunehmende Vernetzung und Dynamik haben jedoch sehr wohl einen bedeutenden Einfluss. „Diese zwingen Führungskräfte und Organisationen dazu, die Erkenntnisse in einen Zusammenhang zu setzen und tatsächlich umzusetzen, wenn sie in Zukunft wettbewerbsfähig bleiben wollen“, so Feldhusen. Sie bezeichnet Führungskräfte als „Architekten sozialer Systeme“, die ein System gestalten und dafür sorgen, dass es gut arbeitet. Dazu braucht es: psychologische Reife, den Blick aufs Ganze und eine Führungskraft, die in erster Linie dem sozialen System dient. „Die Lösung von Problemen kommt dann auch aus diesem System und nicht von der Führungskraft selbst“, so Feldhusen.

Strenge Hierarchien haben ausgedient.

„Mut zur Lücke wird künftig ein wichtiger Entwicklungspunkt sein“, bestätigt Eva-Maria Kraus von der Unternehmensberatung Newview. Die Führungskraft müsse nicht mehr alles selbst wissen, sondern könne sich auf ihr Netzwerk berufen. „Nur wenn es gelingt, Ressourcen und das Know-how der Mitarbeiter zu erschließen und zusammenzuschließen, sprudeln Innovationen, die notwendig sind, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, ist Kraus überzeugt. Mehr denn je kommt es daher auf das Verhältnis zwischen der Führungskraft und dem Team an – vor allem jetzt, wo wesentlich mehr Mitarbeiter von zu Hause aus arbeiten.

In den meisten Unternehmen sind Silodenken und steile Hierarchien immer noch vorherrschend.

 

Streng hierarchische Strukturen haben dabei ausgedient. „In der Praxis sieht es jedoch ganz anders aus. In den meisten Unternehmen sind Silodenken und steile Hierarchien immer noch vorherrschend“, sagt Kraus. Ihr Ausweg sind gemeinsame Schulungen von Führungs- und Fachkräften: „Wenn Fachkräfte etwa an der Strategieentwicklung beteiligt sind, erhalten Unternehmen einen ganz anderen Draht in die Abteilungen hinein. Führungskräfte bekommen so unmittelbar mit, welche Herausforderungen im Alltagsgeschäft bestehen, und können gemeinsam mit den Fachleuten an Lösungen arbeiten.“

Innere Kündigung.

Gelingt es den Führungskräften nicht, einen emotionalen Kontakt zu ihrem Team aufzubauen, sind die Folgen verheerend, wie eine deutsche Gallup-Studie aus 2019 zeigt. Demzufolge verrichten 69 % der Arbeitnehmer Dienst nach Vorschrift, 16 % sind emotional nicht mehr an ihre Unternehmen gebunden und haben innerlich gekündigt. Nur 15 % der Arbeitenden haben eine hohe emotionale Bindung an ihren Betrieb und sind mit Herz dabei. Das Kernthema in diesem Zusammenhang ist die „Employee Experience“ – also die Summe aller Momente, Eindrücke, Erlebnisse und Interaktionen, die Mitarbeiter mit einem Unternehmen haben und die sie emotional beeinflussen.

Damit diese Mitarbeitererfahrung positiv ausfällt, muss Führung als Dienstleistung verstanden werden. „Chefs mit dieser Haltung sind empathische, interessierte Unterstützer ihrer Teams, lassen andere größer werden und überlassen ihnen die Lorbeeren. Dazu ist auch viel Charakterstärke notwendig“, so Lammer. 

Log-in in die digitale Welt.

Und welchen Einfluss haben aktuelle Trends wie die Digitalisierung oder agiles Arbeiten? Keinen essenziellen – denn für alle Experten steht die Haltung der Führungskräfte im Vordergrund. Mit einem Zusatz, wie Feldhusen betont: „Auch die Chefs müssen den Log-in in die digitale Welt schaffen. Viele scheuen sich und schieben es derzeit noch auf ihre Mitarbeiter ab.“ Speziell die junge Generation fordert einen Kulturwandel: „Ihnen geht es vor allem um Authentizität und Menschlichkeit“, erklärt Feldhusen.

Wie die Navy Seals.

Wie kann ein Unternehmen diese modernen Führungskräfte finden? Lammer verweist hier auf eine Methode der Navy Seals. Man verortet dabei die Personen im Koordinatensystem zwischen Leistung und Vertrauen (im Team). Bei den Seals entscheidet man sich für solche Personen als Teamleads, die zwar vielleicht „nur“ eine gute Performance aufweisen, dafür aber besonders hohe Vertrauenswerte erzielen. Die klassische Karriereleiter hat damit ausgedient. Um jedoch berufliche Sackgassen für Personen zu vermeiden, die nicht zur Führungskraft geeignet sind oder eine solche gar nicht anstreben, schlägt Kraus eine neue Rolle für Fachexperten vor. „Sie können zu Wissensvermittlern im eigenen Unternehmen aufsteigen und somit auch dem Fachkräftemangel entgegenwirken.“