Der demografische Wandel sorgt dafür, dass neue Absatzmärkte entstehen. Die wachsenden Zielgruppen der älteren Menschen zu finden und richtig anzusprechen ist jedoch eine Kunst.
Text: Markus Mittermüller
Sie heißen „Best Ager“ oder „Silver Surfer“ und sind am „Silbermarkt“ zu finden. Die „graue Revolution“ sorgt dafür, dass sie mehr und mehr werden. Die Rede ist von der stetig älter werdenden Bevölkerung, die sich aufgrund ihrer Größe zu einer immer interessanteren Zielgruppe für die Wirtschaft entwickelt. In Japan – der am schnellsten alternden Volkswirtschaft der Welt – hat der Konzern Fujitsu bereits 2013 große Aufmerksamkeit mit dem Prototyp eines Hightech-Gehstocks, dem „New Generation Cane“, erregt. Dieser verfügt über GPS, Bluetooth und WLAN. Ist das ein Paradebeispiel dafür, wie sich Unternehmen auf diesen wachsenden Markt einstellen müssen, oder ein vorprogrammierter Flop?
Europa der älteste Kontinent.
Sicher ist eines: „Es wird keinen Wirtschaftsbereich geben, der nicht von der demografischen Entwicklung betroffen sein wird“, sagt Monika Riedel vom Institut für Höhere Studien (IHS) und Autorin der Studie „Zukunftschance Demografie“. Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache. Für die Altersgruppe der über 65-Jährigen prognostiziert die Statistik Austria die größten Zuwächse. Bis 2050 wächst diese Bevölkerungsgruppe auf 2,64 Millionen Menschen an. Im Jahr 2080 würden demnach in Österreich 2,89 Millionen Personen der Generation 65+ angehören – um knapp 80 % mehr als heute.
Anti-Aging auf dem Vormarsch. Dass die Pflegebranche dadurch massiv boomen wird, steht außer Zweifel. Der Anti-Aging-Markt profitiert bereits heute von der immer älter werdenden Gesellschaft. Doch schon hier offenbart sich eine Besonderheit: „Kosmetikprodukte funktionieren nur bei Personen, die ihr eigenes Alter nicht akzeptieren“, erklärt Robert Zniva, Forscher an der WU Wien und FH Salzburg. Personen ab 50 Jahren bezeichnet Zniva als „die heterogenste Gruppe, die man finden kann“. Und fügt hinzu: „Die individuellen Altersprozesse, Lebensumstände und -ereignisse begründen und verändern die Bedürfnisse von älteren Konsumenten und agieren als Antriebskräfte für deren Kauf- und Konsumgewohnheiten.“ Das bedeutet: Wird jemand in der Werbung beispielsweise als 50+ angesprochen, empfindet er diese Zuordnung zu „den Alten“ als negativ. So hat bereits im Jahr 2003 eine Lebensmittelkette in Salzburg versucht, mit einem speziell auf die Zielgruppe der über 50-Jährigen zugeschnittenen Ladenkonzept zu reüssieren. Ohne Erfolg.
Psychologische Hürde. Ähnliche Erfahrungen hat Paul Szisz, Geschäftsführer des Wiener Smart-Home-Anbieters Integius, gemacht. Schon seit 2008 bietet sein Unternehmen Ambient-Assisted-Living-Lösungen (AAL) an. Also technische Systeme, die ältere Menschen und Personen mit Handicap in die Lage versetzen, möglichst lange selbstbestimmt in ihren eigenen vier Wänden zu leben. Ein Konzept, das absolut dem Trend entspricht, wie Riedel bestätigt: „Der Wunsch, im Alter erst so spät wie möglich ins Heim zu gehen, wird größer.“ Und dennoch: „Ältere Menschen wollen meist keine als ‚AAL‘ vermarkteten Lösungen. Es gibt eine große psychologische Hürde, da man sich damit eingesteht, alt und gebrechlich zu sein“, weiß Szisz.
Videokonferenz per Smart TV. Schon jetzt ist laut Szisz jedes Smart Home seines Unternehmens gleichzeitig „eine perfekte AAL-Lösung“. So wird bei Bedarf etwa der Schalter der Nachttischlampe durch zweimaliges Drücken zum leicht erreichbaren Notrufschalter – und das nicht nur für ältere Menschen. Eine digitale Schließanlage kann vom Bett aus via Tablet oder Lichtschalter gesteuert werden, um beispielsweise dem Pflegedienst oder Angehörigen die Tür zu öffnen. Über das vorhandene Smart TV können digitale Medien konsumiert oder Arztgespräche per Videokonferenz geführt werden. „Die Lösungen sind bereits vorhanden. Doch die Zielgruppe der über 70-Jährigen weigert sich oftmals aus emotionalen Gründen, diese Technik einzusetzen“, sagt Szisz.
Einkaufen mit Virtual-Reality-Brille. Ein Problem dabei besteht auch in der digitalen Kluft zwischen den Generationen. Ralph Keller hat ein Start-up gegründet, um diese Kluft – zumindest im Bereich des täglichen Einkaufs – zu schließen. Seine Antwort lautet MyHilda, ein seniorengerecht aufgebauter Online-Shop. Das Besondere dabei: Ein persönlicher Einkaufsberater unterstützt die Kunden bei ihrem Einkauf via Tablet. „Ältere Menschen verlieren sich auf normalen Internetseiten, da sie häufig mit der Flut an Informationen nicht zurechtkommen“, weiß Keller. Bei MyHilda ist der Warenkorb genau auf die Zielgruppe 65+ angepasst. Der Hannoveraner denkt jedoch weiter und bastelt bereits am nächsten Schritt: einer virtuellen Einkaufswelt mit Virtual-Reality-Brille. „Ein virtuelles Geschäft ist für Ältere einfacher zu begreifen, da sie solche Räume bereits kennen. VR-Shopping wird künftig zum Standard werden“, ist Keller überzeugt.
„Universell denken“. Deutschland zählt neben Japan und Schweden zu den Vorreitern im Umgang mit dem demografischen Wandel. Lösungen werden im Nachbarland ganzheitlich gedacht und sind nicht ausschließlich auf ältere Personen zugeschnitten, wie sich am Beispiel Straßenverkehr zeigt: Wer schlechter sieht und hört, bekommt Probleme, sich zu orientieren. „Eine übersichtlichere Gestaltung von Kreuzungsbereichen hilft aber gleichzeitig auch Kindern, Unfälle zu vermeiden“, so Riedel. Das Stichwort lautet „Universal Design“, wie Zniva erklärt: „Je universeller ein Produkt ist und je weniger es als Spezialbedarf für ältere Menschen definiert ist, desto erfolgreicher wird es sein.“