In vielen Unternehmen werden längst gescheiterte Projekte zu lange am Leben gehalten. Anstatt diese „toten Pferde“ zu reiten, sollten sie sofort abgesattelt oder rasch adaptiert werden, um doch noch eine Erfolgsgeschichte daraus zu basteln. Im Ernstfall heißt es aber: Mut zur Entscheidung.
Text: Markus Mittermüller
„Zwei Jahre lang sind wir sprichwörtlich im Matsch herumgestapft und haben zu viele Ressourcen, Zeit und Geld verschwendet.“ Marika Sokol hat langjährige Erfahrungen im Führen von Unternehmen. Dennoch passiert es auch ihr, dass Projekte fortgesetzt werden, obwohl absehbar ist, dass diese nicht das gewünschte Ergebnis bringen. Wie im konkreten Fall, wo es um die Entwicklung einer neuen Software ging. „Die Erwartungshaltung unserer Kunden war groß, wir wollten es für sie umsetzen. Aber der IT-Fortschritt war so schnell, dass wir es nicht schaffen konnten“, erinnert sich Sokol, die heute bei Mind One die Leistungen von Schlüsselkräften und Organisationen optimiert. Trotzdem hat niemand die Reißleine gezogen und das Projekt gestoppt oder modifiziert. „Wenn du entdeckst, dass du ein totes Pferd reitest, steig ab“, lautet eine Weisheit der Dakota-Indianer. Die Realität in heimischen Unternehmen sieht oftmals anders aus. Warum setzen so viele auf das falsche Pferd?
Frage der Verantwortung
„Je weiter ein Projekt fortgeschritten ist, desto schwieriger wird es, dieses zu beenden und das tote Pferd abzusatteln“, erklärt Unternehmensberater Helmut Erler. Denn wer es dann abstellt, muss auch die Verantwortung für sämtliche Ressourcen übernehmen, die bereits im Projekt versickert sind. Ein weiterer Hauptgrund für dieses Phänomen ist für Erler klar: „Das Scheitern ist bei uns kulturell nicht verankert, wir haben keine Fehlerkultur.“ Als Beispiel dafür nennt Erler Kooperationen zwischen Start-ups und größeren Unternehmen. „Hier entscheidet oft der Eigentümer allein, diese Zusammenarbeit einzugehen. Oft fehlt auf beiden Seiten das Know-how, die Start-ups sind darauf nicht vorbereitet. Das führt zu einer Überforderung, und viele Start-ups lösen sich dann auf“, sagt Erler. Das Scheitern von Start-ups werde jedoch nur selten analysiert. „Das wird einfach unter den Tisch gekehrt. Und das, obwohl insgesamt 95 % aller Start-ups innerhalb der ersten zwei Jahre scheitern“, so Erler.
Fehlende Ressourcen
in weiterer Grund, warum Projekte im Sand verlaufen, sind fehlende Kapazitäten innerhalb des Unternehmens. „Projekte sind oft Zusatzarbeit“, meint Alexander Kainer, Partner bei Deloitte Consulting. Zu Beginn wird nicht geklärt, wie viele Mitarbeiter, wie viel Budget und welches Know-how ein Projekt erfordert. Ein Punkt – und hier sind sich die Experten einig – ist besonders entscheidend: die Frage der Verantwortung. „Erfolgreiche österreichische Unternehmen haben eines gemeinsam: einen kompetenten Vorstand, der auch für seine Entscheidungen geradesteht“, sagt Kainer. Das bedeutet im Klartext: Strategische Entscheidungen müssen immer in der obersten Führungsebene angesiedelt sein. Und diese Führungsebene hat es dann auch in der Hand, erfolglose Projekte und Prozesse abzudrehen.
Wenn man Meilensteine definiert, hat man gleich eine Kontrolle auf dem Weg zum Ziel eingerichtet.
Meilensteine sorgen für Kontrolle
Damit die obersten Entscheidungsträger aber auch den richtigen Zeitpunkt erkennen können, wann ein Pferd zu lahmen beginnt, müssen ausreichend Informationen gesammelt werden. „Ich komme aus dem Controlling und habe oft gemerkt, dass zu wenige Informationen da sind, um Exit-Entscheidungen zu fällen“, meint Erler. Daher ist es notwendig, von Beginn an klare Szenarien, Rahmenbedingungen und Ziele festzulegen. Dazu gehört auch ein eindeutiges Bekenntnis zum Risiko, wie Kainer erklärt. Und Erler ergänzt: „Wenn man Meilensteine definiert, hat man gleich eine Kontrolle auf dem Weg zum Ziel eingerichtet.“ Ist es auch möglich, tote Pferde wieder zum Laufen zu bringen? Marika Sokol hat mit ihrem Software-Projekt gezeigt, wie auch das funktionieren kann: „Wir haben uns Unterstützung geholt und das Projekt an eine Tochtergesellschaft ausgelagert.“
Mit einem Team aus Personen, deren Alter, Ausbildung oder auch sozialer Status unterschiedlich sind, können wir auch ganz andere Zielgruppen erreichen.
Besser mit Diversity-Teams
Die Konsequenzen aus ihren bisherigen Erfahrungen sind, dass sie Projekte nicht mehr im Alleingang entscheidet, sondern auf Teams setzt, die nach Diversity-Kriterien zusammengestellt sind. „Mit einem Team aus Personen, deren Alter, Ausbildung oder auch sozialer Status unterschiedlich sind, können wir auch ganz andere Zielgruppen erreichen“, sagt Sokol. Eine konsequente Kontrolle von vorab festgelegten Zwischenzielen soll aber nicht nur von einem Team erfolgen, sondern auch digital. „Programme müssen Projekte mitsteuern. Damit kann ich schon sehr früh erkennen: Wie läuft mein Pferd eigentlich?“, meint Sokol. Darüber hinaus rät sie zur direkten Kommunikation mit den Kunden: Bei der Erarbeitung neuer Lösungen überprüfe ich immer auch das Stimmungsbarometer und die Leidenschaft der Kunden. Durch diese Rückkoppelung und direkte Validierung durch die Endkunden bin ich viel schneller, wenn es darum geht, das Produkt oder die Dienstleistung zu adaptieren.“
Keine Raketenwissenschaft
Im Grunde ist es keine Raketenwissenschaft, tote Pferde im eigenen Unternehmen zu vermeiden. Risikobereitschaft, klare Zielsetzungen und Kontrolle sowie eine entscheidungsfreudige Führung sind das richtige Futter, um das Pferd am Leben zu halten. Denn damit verhindert man nicht nur das Versickern wertvoller Ressourcen, sondern vermeidet auch eine gefürchtete Konsequenz, wenn tote Pferde ans Tageslicht kommen. „Eine der größten Ängste ist es, die Anerkennung in der eigenen Organisation zu verlieren“, so Erler.