Der heimische Wirtschaftsstandort verliert im internationalen Vergleich zunehmend an Attraktivität. Um das zu ändern, braucht es Reformen – doch obwohl die notwendigen Maßnahmen bekannt sind, fehlt den Entscheidungsträgern der Mut, die heißen Eisen endlich anzugreifen.
Politische Aussagen können schwerwiegende wirtschaftliche Folgen haben: Als Italiens Innenminister und Lega-Nord-Parteiboss Matteo Salvini im August seinen Wunsch nach vorgezogenen Neuwahlen verlautbarte, hat dies gereicht, um Anleger an der Börse Mailand sofort in Angst und Schrecken zu versetzen und die Risikoaufschläge italienischer Staatsanleihen umgehend durch die Decke zu schicken. Wien ist hier offenbar anders: In Österreich tätigte ein Minister und Parteichef Aussagen, die zu einem beispiellosen Polit-Erdbeben geführt haben – aber weder die Aktienkurse noch die Renditen der Anleihen sind auch nur ansatzweise in Bewegung geraten. Das unerwartete Aus für die Regierung, das politische Interregnum bis zum Herbst, die Ungewissheit, ob es nach den Neuwahlen überhaupt eine handlungsfähige Mehrheit geben wird: All das ließ die Investoren vollkommen unbeeindruckt.
Daraus zu folgern, dass Österreich das wirtschaftlich stärkste Land der Erde ist, eine Insel der Seligen sozusagen, die selbst ohne Regierung Höchstleistungen am laufenden Band vollbringt und den Mittelpunkt auf jeder Karte von Investoren darstellt, die einen sicheren Hafen für ihr Kapital suchen, wäre jedoch fatal. Die Wahrheit ist vielmehr ernüchternd: Der Wirtschaftsstandort Österreich taucht kaum noch auf dem Radar der internationalen Investoren-Community auf. Der Grund: Investoren hören auf Ökonomen aus dem In- und Ausland. Diese geben seit Jahren zu bedenken, dass es viel Reformbedarf gibt, die Entscheidungen jedoch von oben kommen müssen. Dennoch hat sich bisher keine Regierung der jüngeren Vergangenheit getraut, die wirklich heißen Eisen anzugreifen.
Internationale Investoren meiden Österreich.
Wie sehr Österreich in der Gunst der Investoren bereits unter „ferner liefen“ rangiert, zeigt die neuste „European Attractiveness Survey“ des globalen Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsunternehmens EY: Während die Hälfte aller ausländischen Investitionen in Europa auf Großbritannien, Frankreich und Deutschland entfällt, befindet sich Österreich mit einem Anteil von weniger als 1 % am Investitionskuchen auf den hinteren Rängen. Gleichzeitig sind auch jene Zeiten vorbei, in denen Wien das „Tor zum Osten“ war. Während in diesem Ranking drei deutsche Städte in den Top 10 landen, schafft es die Donaumetropole nicht einmal unter die Top 30. Selbst die starke Investitionstätigkeit österreichischer Konzerne kann den Mangel an ausländischem Kapital nicht wettmachen, denn auch OMV, Voest & Co. tätigen ihre großen Investitionen lieber im Ausland als auf ihrem Heimmarkt, sagt Gunther Reimoser, Country Managing Partner EY Österreich: „Die Alpenrepublik bietet derzeit offenbar nicht die passenden Rahmenbedingungen für Investoren. Die Attraktivität Österreichs leidet unter der belastenden Bürokratie, hohen staatlichen Ausgaben und dem zunehmenden Fachkräftemangel.“
Top-3-Problemfelder: Bürokratie, Steuern, Demografie.
Das bestätigt auch die jüngste Austrian-Business-Check-Umfrage des KSV1870: Für vier von zehn Unternehmen stellt die überbordende Bürokratie die größte Hürde für Investments dar. Viele der Befragten sehen auch in den aktuellen Steuergesetzen eine klare Investitionshürde. Dazu kommt, dass Unternehmen zunehmend ein demografisches Problem haben: Ihnen gehen die Mitarbeiter aus. Zwar wächst die Bevölkerung dank der positiven Zuwanderungsbilanz, doch gerade bei hoch qualifizierten Arbeitskräften reicht das nicht aus, um den „Brain Drain“ Richtung Ausland wettzumachen. Um hier gegenzusteuern, bräuchte es einen Willen der Politik, etwa in Form von steuerlichen Maßnahmen: niedrigere Lohnnebenkosten, eine Senkung der Grenzsteuersätze auf das Arbeitseinkommen sowie eine Steuerentlastung der Unternehmen selbst. Hier ging die angekündigte Steuerreform der Regierung Kurz bereits in die richtige Richtung – ob und wann diese umgesetzt wird, steht allerdings aufgrund der Neuwahlen in den Sternen. Was schade ist, denn jede Verzögerung kostet in den internationalen Standort-Rankings weitere Plätze – was mittelfristig auch die derzeit noch guten Wachstumsaussichten eintrübt, wie Martin Kocher, Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts IHS, warnt.
Um diese Abwärtsspirale zu stoppen, bedarf es weiterer Investitionen, um neue Arbeitsplätze zu schaffen. „Wenn Österreich es nicht schafft, genügend Facharbeitskräfte zu rekrutieren, reduziert sich das Potenzialwachstum unseres Landes“, so Kocher. Er befürchtet, dass sich auch der „Brain Drain“ künftig verstärken wird. „Die Tatsache, dass Deutschland und andere europäische Länder vergleichbare demografische Entwicklungen aufweisen, führt dazu, dass es sehr wahrscheinlich bald einen noch stärkeren Wettbewerb um sehr gut qualifizierte Arbeitskräfte geben wird.“
Fokus auf Bildung stärken.
Lohnnebenkosten- und Einkommensteuersenkung, Bürokratieabbau, Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel: Das Pflichtenheft der nächsten Regierung wäre damit bereits prall gefüllt. Doch auch im Bildungsbereich fordern Ökonomen Maßnahmen, um den Standort zu stärken – und dabei ist noch gar keine Rede von der Entwicklung zum „Wissensstandort“. So würde bereits die Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung der Kinder helfen, dass beide Elternteile Vollzeit arbeiten können – das empfiehlt auch die OECD. „Man muss es Unternehmen erleichtern, Fachkräfte aus dem Ausland zu holen. Eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Karte ist dringend notwendig“, nennt Bernhard Ehrlich, Gründer der Arbeitsmarktinitiative „10.000 Chancen“, die arbeitslose Akademiker, Frauen nach der Karenz oder Jugendliche mit Arbeitgebern zusammenbringt, einen weiteren Punkt: „Parallel muss Geld in die Hand genommen werden, um die Umschulung arbeitswilliger Menschen, die keinen Job finden, zu finanzieren. Viele gehen ins Ausland, weil sie hier nicht die Bereitschaft dazu vorfinden.“ Das stimmt, meint Gernot Brandweiner, Geschäftsführer des Verbands Österreichischer Beton- und Fertigteilwerke (VÖB): „Doch wir dürfen bei aller Sorge um die Hochqualifizierten nicht vergessen, dass es auch Handwerker für die Umsetzung von Ideen braucht.“ Jedes neue Schulungsangebot sollte daher auf den bestehenden Bildungsmöglichkeiten aufbauen.
Dem demografischen Wandel anpassen.
„Österreich ist ein wirtschaftlich und politisch sicherer Standort. Wir müssen uns aber auf die demografischen Veränderungen, hin zu einer alternden Gesellschaft, einstellen“, sieht Christoph Gruber, Österreich-Geschäftsführer des Optik-Einzelhändlers Pearle, gerade bei der Vorbereitung auf den demografischen Wandel auch die Unternehmen selbst in der Pflicht. Die Menschen werden im Durchschnitt immer älter, gleichzeitig steigt der Bedarf an Brillen, was gut für das Geschäft ist. Aber ohne gut ausgebildetes Fachpersonal kann die Nachfrage nicht bedient werden. Doch dieses muss auch besser bezahlt werden. Hier schließt sich der Kreis zu den Lohnnebenkosten, die im Europavergleich zu den höchsten gehören. „Regulierungen haben ein Übermaß angenommen, das stark in die Gestaltungsfreiheit von Unternehmen eingreift“, resümiert Gruber. „Gemeinsam mit den hohen Lohnnebenkosten ergeben sich finanzielle Belastungen, die für viele Unternehmer schwer zu stemmen sind und Innovation hemmen.“
Heimische Unternehmen stehen bei Investitionen auf der Bremse |
Text: André Exner