Schreibtischburgen waren gestern. Moderne Bürokonzepte mit Lounge-Atmosphäre und Social Areas passen sich an das flexible Arbeiten an. Und scheitern, wenn sie ohne die Mitarbeiter entwickelt werden.
Text: Markus Mittermüller
Sitzen wir am WC, sind wir mehr als doppelt so innovativ als während unserer Zeit im Büro. Das behauptet zumindest die Forschung. Denn nur 6 % der Menschen haben ihre besten Ideen am Arbeitsplatz. Unter der Dusche oder eben am WC schnellt dieser Wert schon auf 14 % in die Höhe. „Diese Zahlen sind umso erschreckender, wenn man bedenkt, dass wir im Innovationszeitalter leben, in dem die Kreativität der Mitarbeiter entscheidend ist“, sagt Franz Kühmayer, Trendforscher am Zukunftsinstitut in Frankfurt. Dass diese Zahlen den gängigen Bürokonzepten kein gutes Zeugnis ausstellen, ist offensichtlich. Doch die Experten sind sich ohnehin einig: Die klassischen Schreibtischburgen haben ausgedient. Was stattdessen mancherorts bereits umgesetzt wird oder noch kommen soll, klingt beinahe schon paradiesisch. Die Rede ist von „überdimensionalen Kaffeehäusern“, „Büro-Erlebnislandschaften“, „Social Areas“ und „Orten der Identitätsfindung“. Die berechtigte Frage lautet daher: Wird in den Büros der Zukunft überhaupt noch gearbeitet?
Ende der „Beamtenburgen“.
„Es geht nicht um das Kopieren von Best Practices, sondern darum, der eigenen Unternehmenskultur, der individuellen Zukunftsvision und der tatsächlichen Nutzenorientierung auf die Spur zu kommen.“
Eines ist sicher: Die Arbeitswelten wandeln sich schon jetzt sehr stark. „Viele Unternehmen spüren, dass sie nicht mehr attraktiv sind. Die ‚Beamtenburgen‘ mit Kolonnen von Schreibtischen und langen, engen Gängen mit vielen Türen haben ausgedient“, sagt Sabine Zinke, Partnerin bei M.O.O.CON, einer Unternehmensberatung für Gebäude, Prozesse und Arbeitswelten. Die veränderte Arbeitsweise sollte sich auch in einer zeitgemäßen Büroinfrastruktur widerspiegeln. „Mit Laptop und Handy können die meisten von uns überall arbeiten. Ein fixer Schreibtisch für jeden ist daher nicht mehr notwendig. Büros werden vielmehr zu Orten der Begegnung und des Austausches“, so Zinke.
Fokus- und Kreativräume.
Bereits vollzogen haben diesen Wandel in Österreich Unternehmen wie die Erste Bank mit ihrem Campus direkt neben dem Hauptbahnhof in Wien. Ähnlich wie bei Microsoft Österreich wurden die fixen Arbeitsplätze abgeschafft. In den offenen Räumen, die nach Abteilungen organisiert sind, gibt es Tische, die teilweise auch zu Stehpulten für kurze Besprechungen umfunktioniert werden können. Klassische Bürosessel wechseln sich mit legeren Sitzgelegenheiten, Pflanzen und Aufenthaltszonen ab. Auch im neuen Gebäude der Post am Wiener Rochusmarkt ist kaum ein Stein auf dem anderen geblieben. Hier suchen sich die meisten Mitarbeiter jeden Tag aufs Neue ihren flexiblen Arbeitsplatz aus. Statt Schreibtischkolonien finden sich auf den insgesamt 22.000 Quadratmeter Arbeitsfläche jede Menge Fokus- und Kreativräume, offene Kojen und geschlossene Besprechungsräume, Rückzugszonen und Lounge-Bereiche.
Mitspracherecht für Mitarbeiter.
Doch nicht jeder Mitarbeiter wird in Jubel ausbrechen, wenn er sein Büro oder seinen fixen Schreibtisch verliert. „Diese Änderungen funktionieren nur, wenn sie zusammen mit den Mitarbeitern entwickelt werden. Sonst geht es nach hinten los“, weiß Michael Bartz vom International Business Institute an der IMC FH Krems. Aus diesem Grund gibt es seiner Ansicht nach auch kein Patentrezept, wie neue Bürowelten auszusehen haben. Was alle modernen Büroräume verbindet, sind jedoch Offenheit und Flexibilität. „Es geht nicht um das Kopieren von Best Practices, sondern darum, der eigenen Unternehmenskultur, der individuellen Zukunftsvision und der tatsächlichen Nutzenorientierung auf die Spur zu kommen. Und das gelingt durch enge Einbeziehung der Mitarbeiter am besten“, bestätigt Kühmayer. M.O.O.CON arbeitet hier mit sogenannten Nutzergruppen. „Das sind Vertreter der Mitarbeiter, die als Multiplikatoren gemeinsam neue Bürokonzepte entwickeln“, erklärt Zinke. Bei Neubauten zieht sich dieser partizipative Prozess über drei bis vier Jahre. Bei Umbauten dauert er bis zu zwei Jahre.
„Um seine grauen Zellen anzustrengen, muss man nicht in einer grauen Zelle sitzen – im Gegenteil.“
Dass sich solche Prozesse sowohl für Mitarbeiter wie auch das Unternehmen selbst bezahlt machen, hat die IMC FH Krems wissenschaftlich nachgewiesen. „Die Produktivität geht bei den Mitarbeitern um 3 bis 7 % nach oben. Das ist viel. Und die Mitarbeiterzufriedenheit steigt um 5 bis 15 %“, erklärt Bartz. Der Anteil der heimischen Unternehmen, die ihren Mitarbeitern eine freie Gestaltung der Arbeitszeit erlauben, liegt laut dem FH-Professor zwischen 15 und 22 %. „Die skandinavischen Länder sind hier schon weiter. Und in den Niederlanden ist das Recht auf mobiles Arbeiten schon seit drei Jahren verankert“, so Bartz. Aus gutem Grund: Denn es ist nachweisbar, dass Szenenwechsel während des Arbeitstages die Produktivität steigern – Home Office in der Früh, danach Meetings im Büro, Sport am Nachmittag, und anschließend geht es im Coworking Space ins Tagesfinale. „Diese Wechsel wirken wie eine körperliche und geistige Frischzellenkur“, sagt der Wissenschaftler. Und Kühmayer ergänzt: „Um seine grauen Zellen anzustrengen, muss man nicht in einer grauen Zelle sitzen – im Gegenteil.“
Aber: Büros wird es immer geben.
Während das Activity-based Working – also aktivitätsbezogene Arbeitsplätze – derzeit als State of the Art gilt, werden sich Unternehmen laut Zinke in Zukunft noch weiter öffnen: „Büros wird es immer geben. Aber in erster Linie als identitätsstiftende Begegnungsräume, quasi überdimensionale Kaffeehäuser.“ Was als sicher gilt, ist, dass Head Offices kleiner werden. Das ist eine logische Folge dessen, dass das Büro als Statussymbol ausgedient hat. Unternehmensgrenzen könnten künftig überhaupt verschwimmen. „Menschen werden sich in themenspezifischen Hubs treffen, es entstehen Communitys ähnlich der Tabakfabrik Linz“, meint die Expertin. Wohin die Entwicklung auch geht: Das WC als Kreativzelle sollte also in absehbarer Zeit von den neuen Bürowelten ernsthafte Konkurrenz bekommen.