„Die großen Währungen sind unsinkbare Schiffe“

Guido Schäfer, Professor für Analytische Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und Experte für Kryptoökonomie, sieht das Bargeld noch lange nicht am Ende. Auch Bitcoin oder Facebook Libra kann kein Ersatz, sondern nur Ergänzung zu Euro, Dollar und Yen sein. Und gerade in Österreich lautet die Devise seit jeher „Nur Bares ist Wahres“. 

 

Viele Anbieter von neuen Zahlungslösungen läuten bereits das Ende von Bargeld ein. Sie haben jedoch unlängst eine Studie erstellt, die zeigt, dass die Beliebtheit von Bargeld in den großen Währungsräumen deutlich zugenommen hat und gerade Österreich ein klassisches Bargeldland ist. Warum ist das eigentlich so?

Guido Schäfer, Professor für Analytische Volkswirtschaftslehre an der Wirtschaftsuniversität Wien und Experte für Kryptoökonomie

Guido Schäfer: Das ist eine komplexe Frage. Um sie zu beantworten, müssen wir sie etwas verallgemeinern und die Faktoren finden, die Zahlungsverkehrsstrukturen in einem Land bestimmen. Es lassen sich vier Faktoren definieren: Erstens haben Zahlungssysteme einen deutlichen Netzwerkcharakter – nach dem Motto „Wo Tauben sind, fliegen Tauben zu“. Zahlungssysteme sind große Systeme, und große Systeme bleiben gerne lange bestehen: In den USA sind beispielsweise Schecks ein weit verbreitetes Zahlungsmittel – in Österreich gibt es diese gar nicht. In Großbritannien ist die Kreditkarte beliebt, in den Niederlanden die Debitkarte, und in China wird gerne über QR-Code und Handy bezahlt. Daraus ergibt sich der zweite Faktor: Die Gewohnheit ist sehr wichtig. Man überlegt gar nicht, wie man zahlt. Wer immer zur Bankomatkarte greift, wird auch immer zuerst so bezahlen wollen. Das bestehende System wird dadurch unterstützt.

 

In Österreich lautete die Devise seit jeher „Nur Bares ist Wahres“ …

GS: Das ist Faktor drei: die Geschichte. In Ländern, wo es in der Vergangenheit Finanzkrisen gab, ist die Bargeldhaltung weit verbreitet. Österreich oder Deutschland haben massive Erschütterungen ihres Finanzsystems erlebt, und auch aus diesem Grund sind das bis heute Bargeldländer. Man muss dabei gar nicht in die Vergangenheit blicken: In Island ist die Bargeldhaltung nach der Finanzkrise 2008 auf einmal enorm angestiegen. Faktor vier ist schließlich die Zahlungsverkehrspolitik – und in Österreich nimmt die Oesterreichische Nationalbank zu dem Thema eine sehr neutrale Haltung ein.

 

In Schweden ist das offenbar anders, dort hat die Notenbank das Ziel „Bargeldloses Land bis 2030“ ausgerufen. Also geht es auch ohne Cash?

GS: Die Zentralbank in Schweden ist von diesem Ziel inzwischen etwas zurückgerudert. Denn man hat gemerkt, dass man auch Bargeld braucht, etwa bei Cyberangriffen auf das Finanzsystem oder bei einem massiven Blackout.

 

„Cash is king“ ist also die Gegenwart. Aber ist Bezahlen nicht auch ein Generationenthema? Wird das Bargeld mittelfristig aussterben?

GS: Der Marktanteil des Bargelds bei Zahlungen geht zurück, das stimmt. Wer im Internet einkauft, kann das nicht mit Bargeld machen. Doch in den meisten Ländern steigt der Bargeldumlauf. Auch in Österreich, denn nur Bargeld ist angreifbar und hat somit eine unmittelbare Wertaufbewahrungsfunktion.

 

Das heißt, dieselben Menschen, die auf Amazon mit der Kreditkarte bezahlen, horten zu Hause Tausende von Euro in Cash?

GS: Das kann sein, ja. In Gurkengläsern, unter Matratzen und in Tresoren wird in Österreich noch immer sehr gerne Bargeld aufbewahrt – als Notgroschen für den Ernstfall.

 

Wenn irgendwann alles nur mehr online gekauft wird und Shops zu reinen Abholmärkten werden: Verschwindet dann das Bargeld?

GS: Das erwarte ich nicht: Neue Lösungen ersetzen nicht alte, sondern es gibt in der Regel eine Koexistenz. Höchstens Teilfunktionen können komplett ersetzt werden. Das ist ähnlich wie in der Medienwelt: Das Radio hat nicht die Zeitung verdrängt oder das Fernsehen das Radio und das Internet dann alles Bisherige. Vielmehr gibt es unterschiedliche Lösungen für unterschiedliche Ziele und Zielgruppen.

 

Sind Kriminelle, die große Geldbeträge bewegen wollen, auch eine Zielgruppe? Gerade Kryptowährungen haftet das Image des Kriminellen und der Schattenwirtschaft an.

GS: Das mag sein, aber nicht nur Kryptowährungen, sondern auch Bargeld wird für Schwarzgeldzahlungen verwendet. Die Moral einer Gesellschaft lässt sich nicht am Zahlungsinstrument festmachen. Im vorhin erwähnten Schweden, bekanntlich ein Hochsteuerland, ist der Anteil der Schattenwirtschaft am BIP beispielsweise deutlich höher als in Österreich.

 

Bitcoin lässt sich schwer regulieren. Mit Facebook drängt nun erstmals einer der Tech-Giganten in das Geschäft mit der eigenen Währung. Auch andere Großkonzerne wie Apple und Google arbeiten an entsprechenden Lösungen. Wird Facebook Libra zur neuen Weltwährung?

GS: Da wäre ich besonders vorsichtig mit Vorschusslorbeeren. Denn zunächst wird die regulatorische Seite zu klären sein. Die Notenbankchefs in den USA und Großbritannien haben schon angekündigt, dass Facebook Libra nicht wie Bitcoin „unter dem Radar“ wird fliegen können. Der britische Notenbankchef Mark Carney hat klargemacht, dass Libra enorm viele regulatorische Auflagen erfüllen muss. Es gibt sicher einen Nutzen für Libra, die Vorlaufzeit wird aber Jahre benötigen.

 

Ob Cash oder digital, werden wir also auch in Jahrzehnten noch in Euro, Dollar, Yen und Co. bezahlen?

GS: Ich glaube schon. Solange kein massiver Vertrauensverlust entsteht, ist ein einheitlicher Wertestandard sehr wichtig. Um die großen Währungen herum sind viele andere Lösungen als Nischenprodukte vorstellbar. Aber die großen Währungen an sich sind schon unsinkbare Schiffe. Es sind auch massive Gegenreaktionen der Behörden bis zum Totalverbot möglich: Bitcoin ist dezentral und daher schwer greifbar. Wer bekommt den Bescheid, dass er Regeln verletzt hat? Aber in dem Moment, wo eine Alternative zum Währungsregime ein großes System werden will, werden die Regierungen Ansatzpunkte finden. Denn die Politik wird sich die Souveränität ihrer Währungs- und Finanzpolitik nicht aus der Hand nehmen lassen.